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Archiv-Artikel

„Wir trauern im Wohnzimmer“

Susanne Osthoff brachte einst für Medeor Medikamente in den den Irak – heute ist sie in Geiselhaft. Medeor-Chef Pastors in Tönisvorst erklärt, warum der laute Aufschrei in Deutschland ausbleibt

Osthoff war unersetzlich für uns – heute schickt niemand mehr Helfer in den Irak

INTERVIEW ANNIKA JOERES

taz: Sind Sie zufrieden mit der Reaktion auf die Entführung ihrer Mitarbeiterin?Bernd Pastors: Naja, zufrieden können wir nicht sein. Der erhoffte laute Aufschrei blieb bisher aus. Wir brauchen mehr Öffentlichkeit für die Freilassung von Susanne Osthoff. Wir wenden uns jetzt an alle: Eine Unterschriftenaktion soll permanent für ihre Freilassung kämpfen.

Eine Unterschriftenaktion? In Frankreich und Italien sind die Menschen zu Zehntausenden auf die Straße gegangen, die Titelblätter waren gepflastert mit Bildern der entführten Franzosen und Italiener.

Hier in Deutschland ist eine andere Kultur. Die Menschen sind nicht darin geübt, ihre Solidarität öffentlich zu machen, das muss sich erst noch entwickeln.

Die Deutschen trauern im Wohnzimmer?

Ja, so könnte man es sagen. Ich höre oft von Menschen, die Mitleid mit Osthoff haben, die sprechen darüber am Küchentisch oder beim Kirchenbesuch. Da ist eine große Betroffenheit. Aber sie rennen nicht sofort auf die Straße. Bisher sind nur die großen Institutionen aktiv, die Kirche zum Beispiel, das muss jetzt in die Bevölkerung hineingetragen werden.

Wie wollen Sie die Öffentlichkeit bei der Stange halten?

Die Unterschriften sollen helfen, in drei Wochen noch, wenn die Entführung so lange dauern sollte, an Susanne Osthoff zu erinnern. Selbst wenn keiner mehr darüber berichtet, wollen wir für sie kämpfen. Andere Geiseln wie die beiden Franzosen haben berichtet, wie wichtig das Interesse ihres Heimatlandes für sie war – auch in der Geiselhaft. Dass da Menschen sind, die sie nicht vergessen.

Wann helfen Menschen? Wann schaffen sie es, sie zu mobilisieren?

Wenn sie eine Perspektive sehen. Wenn sie daran glauben, wirklich etwas bewegen zu können. Da gibt es keine Typologie von links oder rechts oder religiös, die Hoffnung ist ganz entscheidend. Und ich muss von der Sache überzeugt sein.

Wie können Menschen überzeugt werden? Sie werden doch täglich überfrachtet mit der weltweiten Not, vor einem Jahr war der Tsunami in jeden Nachrichten, dann kamen Wirbelstürme, Erdbeben …

Ich glaube, Anteilnahme ist unerschöpflich. Und dann gibt es den Schneeballeffekt: Sobald es eine Lichterkette gibt, folgen auch viele weitere. Aber das ist leider nicht zu planen. Bisher gibt es ein paar zaghafte Versuche. Aber die Person oder das Ereignis muss einem nahe sein.

Susanne Osthoff ist den Deutschen nicht nahe – sie ist zum Islam übergetreten, wohnt schon lange nicht mehr hier …

Ja, da fällt die Reaktion schwerer. Wir haben 2003 mit ihr zusammen gearbeitet, sie hat uns sehr geholfen. Jetzt arbeitete sie selbstständig, hat also kein großes Netzwerk hinter sich. Es ist das allererste Mal seit Beginn des Krieges im Irak, dass eine Deutsche entführt wird, dass überhaupt ein Mensch von hier zu Schaden kommt. Irak war immer sehr weit weg für die Deutschen, nach dem Motto: Mit denen haben wir nichts zu tun.

Wieso ist Irak gefühlt so weit entfernt? Die USA sind geographisch doch zum Beispiel viel weiter weg.

Uns ist es ja mehr oder weniger gelungen, uns aus dem Krieg rauszuhalten, die meisten halten ihn ja nach wie vor nicht für rechtens. Das dokumentieren öffentliche Umfragen. Dann kommen noch die CIA-Skandale und Guantanamo dazu, mit all dem wollen die Menschen nichts zu tun haben.

Trotzdem gehen Menschen wie Susanne Osthoff in den Irak. Reine Unvernunft?

Das ist immer eine persönliche Entscheidung. Osthoff ist ja auch Halb-Irakerin und hat geglaubt, damit sei sie geschützt. Sie wollte sich gegen das Elend der Menschen einsetzen. Es gibt andere Krisenregionen auf der Welt, sei es Kongo oder Sierra Leone, wo es unglaublich schwierig ist. Doch wir akzeptieren das.

Sie akzeptieren das? Sie sind doch auf solche Leute wie Osthoff angewiesen.

Ja, natürlich. 2003 war Susanne Osthoff für uns unersetzlich und hat geholfen, Medikamente an die Menschen im Irak zu verteilen. Heute würden wir niemanden mehr beauftragen, in das Land zu gehen. Unsere MitarbeiterInnen wurden bedroht. Es ist so unkalkulierbar, die Gefahr für Leib und Leben ist so groß – so eine Entscheidung kann nur persönlich getroffen werden. Wir können einfach nicht mehr weiter vor Ort sein.

Ist überhaupt noch eine Hilfsorganisation im Irak?

Nein, soweit ich weiß, sind alle rausgegangen. Wir können jetzt nur noch Lobby-Arbeit leisten und versuchen, aus den Nachbarländern Medikamente zu schicken. Wir suchen zum Beispiel pharmazeutische Betriebe in Jordanien. Das ist im Sinne von nachhaltiger Hilfe ja sogar besser.

Sehen Sie überhaupt eine Besserung, wird es bald wieder möglich sein, ohne Gefahr in den Irak zu reisen?

Wir würden es uns sehr wünschen. Aber es gibt ja viele Stimmen die behaupten, was jetzt im Irak passiert ist schlimmer als unter Saddam Hussein – ich kann das nicht beurteilen, aber wir werden auf längere Sicht nicht in den Irak können. Das Land zerfällt.

Könnte die Bundesregierung denn noch mehr tun?

Kann ich nicht beurteilen. Davon sind wir zu weit weg.