: „Wir sollten nicht sagen, wir halten uns raus“
Deutschland sollte zur Beteiligung an einer Friedenstruppe im Nahen Osten bereit sein, findet Grünen-Chef Bütikofer
taz: Herr Bütikofer, wenn Sie Außenminister wären, würden Sie etwas anders machen als Frank-Walter Steinmeier im Umgang mit der Nahostkrise?
Reinhard Bütikofer: Am Anfang der Krise hat die Regierung nicht erkennbar genug versucht, eine aktive Rolle zu spielen. Das hat sich aber geändert. Der Außenminister macht deutlich, dass es ein virulentes deutsches Interesse an einer schnellen Eindämmung des Konflikts gibt, an einer Umkehrung der Entwicklung hin zu einer Friedensdynamik.
Bisher sieht die Dynamik doch eher so aus: Die EU-Außenminister treffen sich, danach geht der Krieg weiter.
Deutschland wie die Europäer haben klargemacht, dass Israel keinen Freibrief erhält. Ich glaube aber, dass man die Beratungen der EU-Außenminister realistisch betrachten muss. Die EU kann im Nahen Osten nur im Konzert mit den anderen drei Teilen des Quartetts, UN, Russland und USA, Einfluss nehmen.
Musste die EU deshalb auf die Forderung nach sofortigem Waffenstillstand verzichten?
Es kann, insbesondere aus Perspektive der zivilen Opfer, keine bessere Lösung geben als sofortigen Waffenstillstand. Aber man sollte sich nicht einreden, dass dieser Kampf um Worte und Nuancen entscheidend ist. Entscheidend ist, die Deeskalation in der Realität durchzusetzen.
Sie haben zu Kriegsbeginn Verständnis geäußert: Israel könne nicht hinnehmen, mit Raketen beschossen zu werden.
Dieses Verständnis habe ich immer noch. Das heißt aber nicht, dass man die Art der Kriegsführung, die Israel praktiziert, von Kritik ausnehmen oder rundweg unterstützen kann. Da gibt es ganz vieles, von dem man sagen muss, das ist nicht akzeptabel.
… zum Beispiel?
Der Beschuss des Dorfes Kana oder der UN-Blauhelme. Die Zerstörung ziviler Infrastruktur im Nordlibanon erklärt sich auch nicht aus dem Kampf gegen die Hisbollah. Aber Tatsache bleibt, dass in dieser Auseinandersetzung die Hisbollah der Aggressor war. Dass sie terroristisch vorgeht und Israels Existenz bedroht wird. Das darf man bei aller Kritik an Israel nicht vergessen.
Denken Sie dabei an Ihren Vorgänger Ströbele, der 1991 wegen Israel-Kritik als Grünen-Chef zurücktreten musste?
Nein, das liegt wirklich lange hinter uns. Die damalige Position Ströbeles steht in klarem Gegensatz zu der eindeutigen Position, die wir in den letzten Jahren eingenommen haben. Dazu gehörte immer die Solidarität mit Israel.
Halten sich die Grünen deshalb zurück? Es gibt bisher keine Erklärung des Vorstands, geschweige denn Demo-Aufrufe.
Wir halten uns nicht zurück. Ich äußere mich jeden Tag. Claudia Roth, Jürgen Trittin, Kerstin Müller, wir alle äußern uns. Die Fraktion hat eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses initiiert. Wir haben uns aktiv in die Diskussion über eine mögliche Friedenstruppe eingeschaltet.
Was ist die grüne Haltung? Sie zeigen sich für deutsche Beteiligung offen, andere nicht.
Es gibt gute Gründe für Skepsis. Das ändert für mich aber nichts daran, dass wir als Deutsche eine besondere Verpflichtung für die Sicherheit Israels haben. Deshalb bin ich zur Diskussion bereit. Unter der Bedingung, dass vorher die Waffen schweigen, dass es ein UN-Mandat gibt, dass Israel und Libanon es wünschen. Dann sollten wir nicht prinzipiell sagen, wir halten uns da lieber raus.
Müssten Deutsche notfalls auch auf Israelis schießen?
Jeder, der die Geschichte des Holocaust in Erinnerung hat, muss sich eine solche Konfrontation als schreckliche Situation vorstellen und vermeiden.
Wenn man das ausschließt: Welche Aufgaben könnte Deutschland übernehmen?
Man kann sich da viel vorstellen. Das könnte die Sicherung der syrisch-libanesischen Grenze sein, Polizeiausbildung und Ausbildung für die libanesische Armee.
Joschka Fischer war im Iran. Er empfiehlt, auch Syrien in die Konfliktlösung einzubeziehen. Sollte er dort vermitteln?
Wir Grüne können nicht Fischer als Vermittler nominieren. Aber ich teile seine Auffassung: Man muss Syrien zeigen, dass es eine Wahl hat: Selbstisolierung mit dem Iran oder Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft, was dann einschließt, dass Syriens Interessen ernst genommen werden müssen.
INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF