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Archiv-Artikel

„Wir sind keine türkische Insel“

Die deutsch-türkische Europaschule in Kreuzberg geht mit Demet Siemund erstmals mit einer Schulleiterin türkischer Herkunft ins neue Schuljahr

DEMET SIEMUND, 36, leitet seit Montag die deutsch-türkische Europaschule in Kreuzberg. Sie ist Berlins erste Schulleiterin türkischer Herkunft.

taz: Frau Siemund, sind Sie stolz?

Demet Siemund: Ein bisschen schon. So als Vorbild für die Jugend. Vielleicht kann das ja motivierend sein.

Vorbild für die Jugend? Sie sind doch selbst noch sehr jung.

Ich habe gerade die fünf Jahre Berufserfahrung, die man laufbahnrechtlich braucht, um Schulleiterin zu werden.

Haben Sie, als Sie Lehrerin wurden, daran gedacht, einst einmal Schulleiterin zu werden?

Überhaupt nicht. Ich bin sehr gerne Lehrerin und habe mir die Europaschule wegen meiner Herkunft und der zweisprachigen Erziehung gezielt ausgesucht. Als nach einer Nachfolgerin für die bisherige Leiterin gesucht wurde, habe ich lange überlegt. Ich habe aber so viel Unterstützung von meiner Vorgängerin und den anderen KollegInnen bekommen, dass ich mich dazu entschlossen habe.

Welche Geschichte steckt hinter Ihrer Karriere: Aus dem anatolischen Dorf gegen den Widerstand des Vaters auf die Uni und dann auf den Schulleiterposten?

Ich bin zwar in einem Dorf aufgewachsen, aber nicht in Anatolien, sondern bei Aschaffenburg. Meine Eltern sind Einwanderer aus der Türkei, aber ich bin in Deutschland geboren. Und es war mein Vater, der sich für meine Bildung eingesetzt hat. Oft übrigens gegen den Widerstand meiner Mutter, die befürchtete, dass die türkischen Nachbarn und Verwandten schlecht reden würden, wenn ich zu viel Freiheiten hätte.

Waren die Befürchtungen berechtigt?

Teilweise schon. Es gab zum Beispiel eine Tante, die immer, wenn ich vom Gymnasium nach Hause kam, gleich anrief, um mich zum Tee einzuladen. Da hat dann aber auch meine Mutter interveniert und mich gewarnt: Die Tante wolle mich nur davon abhalten, meine Hausaufgaben zu machen, meinte sie. Bildung war meinen beiden Eltern wichtig. Sie selber waren Arbeiter. Meine Mutter hat nur die Grundschule besucht, mein Vater hatte eine Ausbildung als Konditor. Aber es gab eben auch den gesellschaftlichen Druck: Warum braucht denn ein Mädchen Abitur?

Wie hat Ihr Vater Sie unterstützt?

Mein Vater war sehr tolerant, sehr weltoffen. Er hat mir zum Beispiel erlaubt, zu Klassenfahrten mitzufahren. Meine Mutter dagegen hat uns oft mit erhobenem Zeigefinger daran erinnert, was die anderen denken könnten. Das war immer so eine Bremse. Sie hatte viel stärker den türkischen Hintergrund im Kopf.

Werden Ihr persönlicher Hintergrund, Ihre Erfahrungen einen Einfluss auf Ihre Arbeit als Schulleiterin haben?

Ich denke schon. Auch unsere bisherige Schulleiterin hatte eine intensive Beziehung zur türkischen Sprache und Kultur, zu den Migranten aus der Türkei und hat das in ihre Arbeit eingebunden. Aber ich kann mir vorstellen, dass ich durch den gemeinsamen Migrationshintergrund noch einen anderen Draht zu Eltern und Kindern bekommen kann, dass sie sich vielleicht sicherer und verstandener fühlen.

Das gilt für die Familien türkischer Herkunft. SchülerInnen deutscher Herkunft gibt es nur wenige an der Schule. Warum?

Das Interesse für die türkische Sprache ist bei den Deutschen leider gering. Wenn es um zweisprachige Erziehung geht, bevorzugen sie Englisch oder Französisch. Wir wünschen uns viel mehr Interesse von deutscher Seite und sammeln Anregungen und Verbesserungsvorschläge, wie wir das ändern können.

Es gibt ja durchaus auch Eltern – nicht nur deutsche – mit Vorbehalten gegenüber Schulen, an denen viele Migrantenkinder sind.

Was unsere Schule betrifft, erlebe ich das nicht. Unsere Eltern sind unabhängig von ihrer Herkunft ziemlich hinter der Bildung ihrer Kinder her. Das Konzept unserer Schule, die Zweisprachigkeit, erfordert das.

Warum halten Sie es für richtig, dass Kinder türkischer Herkunft noch in der dritten und vierten Generation Türkisch lernen?

Ich finde es wichtig, seine Herkunft zu kennen, sich damit identifizieren zu können. Das spielt eine große Rolle für die Persönlichkeitsentwicklung, das Selbstbewusstsein. Außerdem ist es eine Bereicherung, in zwei Sprachen und Kulturen aufzuwachsen. Das öffnet den Weg für weitere Kulturen und Sprachen. Das ist für jeden, nicht nur für Einwandererkinder, eine Bereicherung. Als Europaschule sind wir ja keine türkische Insel.

Was haben Sie sich sonst vorgenommen?

Wir haben bereits den Stundenplan so verändert, dass zum einen mehr Zeit für Sprachförderung im Deutschen wie im Türkischen da ist. Zum anderen haben unsere Klassenstufenteams, die immer aus deutschen und türkischen Lehrkräften zusammengesetzt sind, mehr Zeit für Planungen und Beratungen. Und im Oktober findet ein Tag der offenen Tür statt, bei dem wir unsere Schule der Öffentlichkeit präsentieren wollen.

INTERVIEW: ALKE WIERTH