: „Wir haben uns selbständig gemacht“
■ Zwei Wochen lang versorgte der Mediziner Peter Pallon, 53, als Care-Helfer Flüchtlinge im Lager Kimbumba bei Goma / Sonntag nacht kehrte er mit anderen Helfern zurück
taz: Auf dem Rückflug nach Deutschland haben Helfer scharfe Kritik an der Hilfsorganisation Care geübt. Was bemängeln Sie?
Peter Pallon: Der Organisation war mehr an der Selbstdarstellung gelegen als am Einsatz. Niemand wußte, was wir tun sollten. In den ersten drei Tagen hat man uns in ein Gebiet geschickt, wo es keine Flüchtlinge gab. Daraufhin bin ich mit sechs anderen Leuten ins Lager Kimbumba gefahren.
Hatten Sie ausreichend Medikamente zur Hand?
Wir Care-Helfer hatten nicht ein Medikament für Kinder, dabei sind sie die Hauptpatienten. Wir hatten keine Wurmmittel, keine Antibiotika, nichts gegen Pilze. Normales Pflaster, das jeder Doktor hat, hatten wir nicht, auch keinen Verbandmull. Keine Tupfer zur Desinfektion...
Sie hatten keinen Arztkoffer?
Nur eine Gruppe hatte einen Arztkoffer dabei. Aber ein Stethoskop ist im Notfall dort nicht so wichtig. Wenn ein Mensch ausgetrocknet ist, dann helfen Sie ihm damit nicht, dann muß man ihn infundieren. Wir hatten bloß ein paar Mittel gegen Durchfall und Elektrolytlösungen.
In den gesamten 14 Tagen kam kein Nachschub?
Nein. Und was wir hatten, war viel zuwenig. Die verwurmten Menschen erbrachen ja richtig die Würmer, wie Regenwürmer. Wir hatten vielleicht für zehn Leute am Tag Medikamente, haben aber jeden Tag vierhundert Menschen behandelt. Und jeder zweite in den Lagern ist verwurmt.
Wie ist Ihnen zumute gewesen?
Wenn Sie in ein Camp fahren, sehen Sie links und rechts am Weg die Toten. Die werden irgendwann weggebracht, vielleicht nachts. Wir haben das nicht mitbekommen... Dort unten haben Sie keine Möglichkeit, Mitleid zu entwickeln.
Konnten Sie sich mit den Patienten unterhalten?
Wir hatten Dolmetscher. Afrikaner, die sowohl Deutsch wie auch die verschiedenen Dialekte sprechen, einige Flüchtlinge sprechen Französisch. Wir hatten zeitweise sogar zwei Dolmetscher.
Was würden Sie Care für eventuelle kommende Einsätze raten?
Die Leute von Care sind einfach überfordert. Die Hilfe muß in professionelle Hände. Es ist auch eine Frage der Sicherheit. Die anderen Organisationen kommen mit bewaffnetem Begleitschutz.
Habe Sie sich denn bedroht gefühlt?
Nicht, daß wir als Weiße bedroht worden wären. Aber im Lager gab es eine Schießerei. Da sind wir in Panik geflohen. Es kommt oft vor, daß bewaffnete Hutus, noch in ihrer Uniform, sich mit dem zairischen Militär Schießereien liefern. Interview: Annette Rogalla
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