: „Wir fühlen uns frei“
Glückliches Holland: Marco van Basten hat die Elftal mit neuem System zur bislang spektakulärsten EM-Mannschaft gemacht. Auch die Rumänen konnten nur staunen
BERN taz ■ Marco van Basten behagte das alles gar nicht. Eine Überdosis Bewunderung wird den Niederländern derzeit zuteil, sie haben die WM-Finalisten Italien und Frankreich besiegt, dann Rumänien mit einer B-Elf geschlagen. Ob ihn dieser Durchmarsch an das gewonnene EM-Turnier von 1988, das er als Spieler prägte, erinnere, wurde van Basten nach dem 2:0-Sieg gegen Rumänien gefragt. „Nein, nein, das kann man nicht vergleichen“, lautete seine Antwort. „Jetzt beginnt ein neues Spiel.“
Ein Viertelfinale ist eben kein Gruppenspiel, „ganz andere Gefühle“ spielen nun eine Rolle, referierte der Trainer, Torhüter Edwin van der Sar ergänzte, Holland sei nicht mehr Außenseiter, sondern Favorit. „Das ist eine ganz neue Situation für uns.“ Sie müssen sich mit einer neuen Identität anfreunden, das ist die große Herausforderung.
Die Leistung, die dieses Team vollbracht hat, ist schon jetzt enorm: Neben dem Gruppensieg sind sie auch noch die vielleicht entscheidenden Schritte zu einer nachhaltigen niederländischen Fußballrevolution gegangen. Van Basten hat das traditionsreiche 4-3-3 abgeschafft und damit die Gilde der holländischen Fußball-Gurus in einen Sturmlauf der Kritik getrieben. Man fürchtete, der junge Trainer verkaufe die Schönheit des Spiels, nun sind sogar die konservativen Geister beeindruckt vom Überfallfußball ihrer Mannschaft.
Auch für die Rumänen war dieses überlegene Spiel eine Nummer zu groß. „Das Leben geht weiter“, sagte Trainer Victor Piturca nach dem Ausscheiden mit regungsloser Miene, und Kapitän Christian Chivu erzählte, der Mannschaft habe „einfach irgendwie die Kraft“ gefehlt. Es gab keinen Moment des Aufbäumens, kein Phase, in der sie ernsthaft auf ein Tor drängten, ihr Abschied war geprägt von tiefem Fatalismus.
Möglicherweise waren sie doch schon zufrieden, in der so genannten Todesgruppe nicht untergegangen zu sein. Sie haben sich neuen Respekt verschafft in der Fußballwelt, das war das primäre Ziel im langfristig angelegten Plan von Trainer Victor Piturca und Ioan Lupescu, dem Generaldirektor des Verbandes. „Viele unserer Spieler haben noch nie auf diesem Niveau gespielt“, sagte Piturca, „sie werden wertvolle Erfahrungen mitnehmen.“ Die Mannschaft erlag einem Reflex, der nicht selten ist im Fußball: Sie basteln an einer großen Zukunft und haben darüber die Chancen der Gegenwart vergessen.
Dabei war die Gelegenheit günstig wie nie. Van Basten hatte auf neun Positionen umgestellt, sogar Torhüter van der Sar durfte pausieren, in Orange spielte ein Team, das so noch nie auf einem Fußballplatz stand. „Vielleicht sind die Ersatzspieler ja besser als die erste Elf“, sagte Piturca hinterher. Grundsätzlich sprach er von einem „insgesamt guten Turnier“ der Rumänen und sah die Hauptursache für das Ausscheiden in deren einzig wirklich gutem Spiel, dem 1:1 gegen Italien. „Hätten wir unseren Elfmeter dort verwandelt, stünden wir jetzt im Viertelfinale.“
Doch ein gutes Spiel ist zu wenig, und am Ende wurde auch sichtbar, warum es nicht zu mehr reichte: Die Gruppe funktionierte nicht. Piturca schimpfte an der Linie wahllos mit Spielern und Betreuern, Stürmerstar Adrian Mutu erledigte diesen Job gestenreich auf dem Platz. So fingen auch die Mitspieler an, sich ihre vielen Fehler vorzuwerfen. Hinterher verwendete Piturca sehr treffend den Begriff „Mentalität“, in dieser Kategorie waren die Rumänen den Holländern maßlos unterlegen. Leichtfüßige Freude besiegte ein seltsames Kollektiv der Verbissenen. Van Basten sagte: „Wir fühlen uns sehr wohl miteinander. Das macht uns alle froh, wir fühlen uns frei. Ich weiß nicht, wo das enden wird.“ DANIEL THEWELEIT
Niederlande: Stekelenburg – Boulahrouz (58. Melchiot), Heitinga, Bouma, de Cler – de Zeeuw, Engelaar – Afellay, van Persie, Robben (61. Kuyt) – Huntelaar (83. Hesselink) Rumänien: Lobont – Contra, Tamas, Ghionea, Rat – Chivu – Codrea (72. Dica), Cocis – Nicolita (82. Petre), Mutu, M. Niculae (59. D. Niculae) Tore: 1:0 Huntelaar (54.), 2:0 van Persie (87.)