Wir Kinder von Dutschke & Co

Vor 25 Jahren, am 24.12.1979, ist Rudi Dutschke gestorben. Wir fragten aus diesem Anlass drei Kinder aus der Generation der rebellischen 68-er Studenten, was das politische Engagement der Eltern ihnen bedeutet hat – und bedeutet

Von Studentenbewegung konnte in Bremen 1967/8 schon deshalb keine Rede sein, weil es keine Uni gab. Aber die Aufbruchstimmung in Berlin, Frankfurt und Heidelberg war auch an der Weser zu spüren – lange bevor im Februar 1968 die Preiserhöhung bei der BSAG den Funken abgab, der die Protestkultur für alle sichtbar machte. Die 68-er Rebellen von Bremen waren dabei meist Mitglieder der SPD.

Olaf Dinné zum Beispiel, der Architekt, der am 27. November 1967 Rudi Dutschke persönlich in Berlin abholte, abends in der „Lila Eule“ zu sprechen, weil ein wenig von der Atmosphäre der richtigen Berliner Studentenbewegung nach Bremen schwappen sollte. Der junge SPD-Abgeordnete Thomas Franke war da und schrieb einen begeisterten Artikel in der „Bremer Bürgerzeitung“ der SPD, auch der spätere Staatsrat im Innenressort, Waldemar Klischies, saß in der ersten Reihe und lauschte dem Mann aus Berlin. Irgendwo in der hinteren Reihe saß damals auch der 14-jährige Robert Bücking, heute Ortsamtsleiter im Viertel, der sich in die Versammlung hineingeschmuggelt hatte.

Was machen die Kinder der damaligen Bremer 68-er?

Jonas Kuckuk ist 1966 geboren, Vater Peter Kuckuk hat das Standard-Werk über die Bremer Räterepubik 1918/19 in Bremen geschrieben, ein „muss“ im Bücherregal jedes 68-ers. „Mein Vater war damals SPD-Mitglied, er hat sehr viel für seinen Ortsverein gearbeitet“, erinnert sich der Sohn. Er konzentrierte sich auf die wichtige politische Arbeit und eben auf seine Doktorarbeit über die Räterevolution. „Er war natürlich einer von den ignoranten Männern der 60-er Jahre, die das Wort Emanzipation nicht verstanden hatten“, sagt der Sohn kritisch. Nach der Bewegung, 1972, kam das Jahr der großen Trennungen, Jonas Kuckuk wuchs bei seiner Mutter auf.

Mit seiner Mutter ist er dann auf 1. Mai-Demonstrationen und Ostermärsche gegangen, die Mutter orientierte sich weit links von der SPD. Der Name Rudi Dutschke sagt ihm viel – aus den Berichten der Freundeskreise seiner Eltern. „Ich gehöre nicht zu den Kindern von 68-ern, denen die Politik verdorben worden ist. Ich bin nie gedrängt worden, mich politisch zu engagieren. Ich musste auch nicht die Ostereier auf dem Ostermarsch suchen wie andere“, sagt Jonas Kuckuk heute.

Schon als Schüler war er engagiert: Schülerrat, Jugendzentrum, Schülerzeitung. Mit 15 Jahren hatte er seine erste Hausdurchsuchung. Was geblieben ist von den politischen Ideen der Eltern? „Mein Vater war einer der ersten Kriegsdienstverweigerer“, sagt er, „da war für mich selbstverständlich, dass ich auch den Kriegsdienst verweigere. Nach einem Jahr Ersatzdienst habe ich gemerkt, dass Zivildienst genauso ein Zwangsdienst ist. Ich hätte Totalverweigerung machen müssen.“ Heute engagiert sich Jonas Kuckuk für die Abschaffung des Meisterzwangs im Handwerk. „Interessant finde ich Leute, die ihre alten politischen Ziele weiter denken. Wir sind ja noch nicht am Ziel. Damals ging es um Gleichberechtigung“ – auch für Frau und Mann im Handwerk, und für qualifizierte Handwerker, die keinen Meisterbrief haben.

Ignaz Dinné ist Saxophonist. „Nein, mit Olaf Dinné habe ich nichts zu tun“, sagt er manchmal, um zu viele Nachfragen abzuwehren. Mit seinem Vater Ed Kröger verbindet ihn vielmehr die Musik – ausgerechnet in der Lila Eule tritt er jetzt am 25. und 26. Dezember mit dem „Ed Kröger Quintett“ auf, der Vater an der Posaune, der Sohn am Saxophon. In der Bremer „Wallkommune“ ist Ignaz Dinné 1971 geboren worden, in der WG Rutenstraße dann aufgewachsen. „Ich hatte Milch- und Brotdienst, und Abwaschen.“ Das Leben mit vielen Erwachsenen und Kindern hat er in guter Erinnerung, nur einmal in der Grundschulzeit gab es einen Freund, den er um die klaren Verhältnisse zu Hause beneidete: Die Schuhe mussten am Eingang ausgezogen und ordentlich in Reihe aufgestellt werden. Zu Demonstrationen hat ihn die Mutter Lolo Dinné nicht mitgeschleppt, „das war dann schon vorbei“. Über den Vater prägte ihn Musik mehr als die Politik.

Franziska Pierwoß ist 1981 geboren, sie studiert heute Kunst und Medienpädagogik in Leipzig. Das politisierte Elternhaus hat sie schon geprägt, sagt sie. 1968 hatte ihr Vater in Wien studiert, also eher in einem Nebenzentrum der Studentenbewegung. Sie erinnert sich an manchen Streit mit ihrem Vater, aber ein klassischer Generationenkonflikt ist schwierig mit Eltern, die für (fast) alles Verständnis haben und die Selbständigkeit der Kinder schätzen.

In der Schule, so sagt Franziska Pierwoß, hat es fatale Auswirkungen, wenn eine ganze Lehrergeneration die SchülerInnen nicht richtig fordert. „Ich hatte das Gefühl, dass die Lehrer meinten, sie dürften nichts fordern von den Schülern. Gerade hier in Bremen. Gleichzeitig wurde uns von den Lehrern und von den Eltern alles serviert – die politischen Eltern und die politischen Lehrer diskutieren schon alles und die Schüler haben keine Chance, etwas Eigenes zu machen.“

Der Name Rudi Dutschke sagt der Pierwoß-Tochter etwas – als Idol der Studentenbewegung von damals, nicht weil seine Ideen heute noch relevant oder bekannt wären. Bei der Frage nach den Werten der 68-er Generation fällt ihr vor allem Radikalität ein, mit der um eine Sache gestritten wird. Die Standfestigkeit, wenn man von etwas überzeugt ist. „Das habe ich an meinem Vater immer geschätzt und auch etwas übernommen.“

Klaus Wolschner