: Wir Deutschenhasser
DAS SCHLAGLOCH von MICHAEL RUTSCHKY
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die deutsche Filmwirtschaft „auf dem richtigen Weg“. Dies zeigten auch „die viel versprechenden deutschen Beiträge im Wettbewerb, denen ich jeden Erfolg hier auf der Berlinale, aber auch an den Kinokassen wünsche“, sagte Merkel bei einem Besuch der Berlinale. Die Bundesregierung hat den Berlinale-Filmmarkt, auf dem die neuesten Produktionen weltweit gehandelt werden, mit 1,2 Millionen Euro bezuschusst. Insgesamt fördert der Bund die Berlinale mit rund 7,5 Millionen Euro.
Frankfurter Rundschau, 11. 2. 06
Lange Jahre galt in unseren Kreisen als Komment, dass alles Deutsche Misstrauen und Ablehnung verdient. Die deutsche Geschichte, deutsche Touristen im Ausland, schon das Wort selber: peinlich und ekelhaft. (Deshalb gingen wir ja massenhaft nach Westberlin, weil es außerhalb Deutschlands zu liegen schien.)
Wie viele jugendliche Festüberzeugungen hat der Lauf der Zeit auch diese abgeschliffen. Zwar habe ich noch gar keine Lust, mich an den Grübeleien zu beteiligen, was deutscher Patriotismus heute positiv beinhalten könnte, doch den Vergnügungen des Deutschenhasses gebe ich mich mit dem alten Furor nur noch bei einem einzigen Thema hin: wenn es um den deutschen Film geht. Wobei ich leicht alte Freunde finde, die sich gern an den Tiraden beteiligen.
Als bekannt wurde, dass ausgerechnet Oskar Roehler Houellebecq verfilmt, brach man in begeistertes Hohngelächter aus – „die Franzosen sind einfach zu schlau und lassen gleich die Finger davon“. Die Besetzungsliste, von Moritz Bleibtreu über Franka Potente bis zu Corinna Harfouch und Uwe Ochsenknecht, tönte ich wütend, lese sich wie ein ganzer Schurkenstaat.
Moritz Bleibtreu mit Haarausfall und Fusselbart, wie er sich der sexuellen Unlust hingibt, das ist der Nachkomme des notorischen deutschen Vatti, der in der Nachkriegszeit sein Auto mit kurzen Hosen, Socken und Sandalen in die Ferien steuert, das Essen und die Manieren der Einheimischen bemäkelnd.
Franka Potente nenne ich Licht schluckend, so K. Statt die Kamera strahlend von ihrer Präsenz zu überzeugen, gibt sie eine Art graue Abwesenheit. Man war heilfroh, dass sie in dem zweiten Bourne-Film schon nach kurzer Zeit das Zeitliche segnet und uns für den Rest der Zeit mit Matt Damon allein lässt. Dass Hollywood mit ihr nichts anfangen konnte, spricht wieder sehr für Hollywood. Dafür hat sie, weiß unser alter Freund Theckel, nach der Rückkehr prompt ein Buch veröffentlicht, das Hollywood und Amerika perhorresziert und dem europäischen, dem deutschen Nationalismus ranschmeißerisch zu schmeicheln versucht; beim Zappen sei er auf ein Kulturfeature gestoßen, das im Klageton Potente bescheinigt, sie allein verschaffe den Bourne-Filmen ein wenig Menschlichkeit. „Man reiche mir mein Kotzkübelchen.“
Und so geht es weiter. Dass sogar Christian Petzold, von dessen „innerer Sicherheit“ man sich erhoffte, sie eröffne eine ganze Serie gelungener innerdeutscher Filme, mit „Wolfsburg“ und dann „Gespenster“ nur noch vagen, will sagen: flachen Tiefsinn produziert habe; „und der Hundeblick von Benno Fürmann, der chronische Flunsch von Julia Hummer werden von Filmminute zu Filmminute lästiger.“ Für „Wolfsburg“ ebenso wie „Gespenster“ ist zu vermerken, dass unsereins sie immerhin angeschaut hat. Bei „Elementarteilchen“ und dem anderen Zeugs reichten Trailer und Presseberichte vollkommen, damit man das Lichtspiel vermeiden wollte. Er freue sich jetzt schon, höhnt Theckel, wenn kurz nach der Berlinale der Hype um den deutschen Film in sich zusammenbreche wie der Sexualtrieb in Roehlers Filmen.
Man komme auf Verschwörungstheorien, so K. Warum verschweigen die Kritiker, dass das alles schlechte Filme mit Schauspielern sind, die in den USA in neuen Qualitätsserien von HBO („Die Sopranos“, „Six Feet Under“) gerade mal den Chauffeur und die Frisöse geben dürften. Man stelle sich Uwe Ochsenknecht in einer Szene mit Ed Harris oder Kenneth Branagh vor; vernichtend. Ochsenknecht, höhnt Theckel überglänzt, könnte vielleicht eine der Leichen machen, die stets am Anfang von „Six Feet Under“ anfallen …
Es wird so sein, so K., wie die Kanzlerin es gesagt hat. Sie wollen Profite erzielen; ganz unabhängig von der Qualität der Produkte. Und weil alle Kritiker irgendwie in der Filmförderung engagiert sind, können sie hinterher, wenn wieder mal das Malheur passiert ist, nur noch Lobpreis singen, zur Not flüsternd, um das Gesicht zu wahren. Was der deutsche Film dringend brauche, sei ein Morgenthau-Plan für die Filmförderung und eine Sturmflut an Neoliberalismus. Gelächter.
Und dann lassen wir Kinogeher uns wieder genießerisch in das unendliche Gespräch hineingleiten, wie eben doch Hollywood die Filme dreht, die wahrhaft angeschaut, kritisiert, verglichen und verknüpft zu werden verdienen. George Clooney, nicht wahr, beherrschte die Berlinale, mit „Syriana“ ebenso wie mit „Good Night, and Good Luck“. Clooney, so Theckel, macht schon jetzt die Wandlung durch, die Robert Redford oder Clint Eastwood erst viel später in ihrem Leben vollzogen haben. Wie schön in dem SW-Film („Good Night, and Good Luck“) der Zigarettenrauch und die weißen Oberhemden kommen. „Schon für den Zigarettenrauch“, höhnt Theckel manisch, „lass ich Nina Hoss jederzeit stehen“, während K. für Clooney schwärmt: „ein echter Schmanddackel, wie man in meiner Heimat sagt.“
Und dann „Capote“ mit Philip Seymour Hoffman. Wie er die tuntige Quiekstimme und die Hässlichkeit des Männchens hinkriegt, kein Augenschmaus, aber man geht mit und ist am Ende in Tränen (folgt ein ausführlicher Exkurs über die Notwendigkeit des Weinens im Kino sowie ein Vergleich der Eindrücke, die man von Philip Seymour Hoffman in seinen verschiedenen Filmen gewinnen konnte).
Nein, als Patriot müsse er, Theckel, eingestehen, dass der deutsche Film eine Mixtur aus Verachtung und Mitleid produziere, anhaltend, von den Heimatschnulzen der Fünfziger über Volker Schlöndorffs Lehrlingswerke und den kulturkritischen Quatsch von Wim Wenders bis zu solchem Dreck wie Eichingers Hitler-„Untergang“ und dem Firlefanz von Dresen, Levy und Konsorten. Wer den deutschen Film lobt, möglichst den allerneuesten, der wieder etwas gelte beim deutschen wie beim internationalen Publikum – und man hört diese Rede jede Saison mindestens einmal –, der verfolgt politische Ziele.
Die Propaganda ist nationalistisch. Deutsche, kauft deutsche Bananen, Deutsche, schaut deutsche Filme. Es geht gegen Hollywood, den größeren Zusammenhang, das Imperium. Ein wenig gepflegter (oder ungepflegter) Antiamerikanismus macht sich immer gut, auch wenn jeder viel lieber Michele Pfeiffer als Katja Riemann, James Gandolfini als Michael Gwisdek zuschaut.
Das deutsche Kino schneidet gegen Hollywood seit langem so schlecht ab wie im 19. Jahrhundert die deutsche Literatur gegen die französische und englische. Niemand möchte heute noch Loser wie Otto Ludwig oder Friedrich Spielhagen gegen Charles Dickens oder Gustave Flaubert ins Treffen führen. Also bleibt aus meinen Augen mit Schlöndorff, Adorf, Elsner u. dgl.
Fotohinweis: Michael Rutschky lebt als Publizist in Berlin.