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Willkürliche Ermittlungen

Weiße Flecken auf der Landkarte gibt es nicht: Die Repression gegen vermeintliche Verbreiter der „Radikal 132“ ist flächendeckend. Ermittlungsverfahren gegen Buchläden und Einzelpersonen sind landauf, landab anhängig. Die Generalstaatsanwaltschaft am Oberlandesgericht Celle ermittelt gegen vier Buchläden ebenso streng wie die Hamburger Staatsanwälte. In München wird ebenfalls fleißig ermittelt und auch Buchläden und Projekte in Bremen, Gießen, Kassel, Frankfurt, West–Berlin, Bonn und Köln müssen noch mit der Erhebung von Anklagen gegen ihre Geschäftsführer rechnen. Insgesamt 76 Ermittlungsverfahren gegen etwa 150 Leute hat Generalbundesanwalt Rebmann im Juli letzten Jahres eingeleitet, nachdem im Paketamt Bielefeld zahlreiche Adressaten der „Radikal“–Sendungen ermittelt worden waren. Zuständig war der Generalbundesanwalt, weil ganz oben auf der langen Liste der Tatvorwürfe Verdacht auf Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a) stand, direkt gefolgt von den eher „üblichen“ Vorwürfen: Aufforderung zur Begehung von Straftaten, Anleitung zur Begehung von Straftaten und Beleidigung der Bundesrepublik Deutschland. Nach den Durchsuchungen zahlreicher linker Buchläden und, vor allem in West–Berlin, anderer linker Projekte verlor die Bundesanwaltschaft aber rasch das Interesse an den mutmaßlichen „Radikal“– Verbreitern: „Wegen der minderen Bedeutung der Verfahren“, so der Pressesprecher Rebmanns, Prechtl, wurden sie an die Generalstaatsanwaltschaften bei den Oberlandesgerichten delegiert. Willkürliche Handhabung der Ermittlungsverfahren Wie dort die Ermittlungen geführt werden, wann Anklagen erhoben bzw. die Verfahren eingestellt werden, ist äußerst unterschiedlich. Da auch die betroffenen Buchläden und Handverkäufer/innen nur teilweise miteinander Kontakt haben, existieren keine exakten Zahlen über den Stand der Verfahren. Genauer sind die Informationen aus West–Berlin. Von insgesamt 50 Verfahren ist gegen 13 Leute Anklage erhoben worden, in drei Fällen wird noch ermittelt, die übrigen 34 Leute haben Einstellungsbescheide erhalten. Noch ist unklar, ob das zuständige Kammergericht alle Anklagen zulassen wird, auf jeden Fall ist mit einem Prozeßbeginn vor Oktober diesen Jahres nicht zu rechnen. Das Verhältnis von eingestellten Verfahren zu tatsächlich eröffneten Anklagen dürfte im Bundesgebiet ähnlich sein. Die Kriterien, nach denen Anklagen eröffnet bzw. nicht eröffnet werden, sind in jedem Fall unklar. Das ist nicht nur mit den unterschiedlichen Gerichtsstandorten zu erklären, weil selbst identische Anklagebehörden betroffene Projekte ganz unterschiedlich behandeln. Die für Nordrhein–Westfalen zuständige Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Düsseldorf hat beispielsweise das Verfahren gegen die Geschäftsführer des Moerser „Aragon“–Buchladens eingestellt, während gegen den Bonner „Buchladen 46“ in gleicher Sache und ohne erkennbare Unterschiede im Verfahren weiterhin ermittelt wird. „Wir haben den Eindruck, die würfeln aus, wen sie sich greifen“, meinen denn auch Betroffene. Die Chancen, mit einer Einstellung davonzukommen, sind allerdings nicht ganz gleich verteilt. Das Risiko für die Projekte und Einzelpersonen, die dem Staatsschutz schon länger ein Dorn im Auge sind, ist ungleich höher, als es beispielsweise für diejenigen Buchhandlungen war, die sich schon zu Beginn der Ermittlungsverfahren von der „Radikal“ und ihren Inhalten distanziert hatten. Bemerkenswert an den „Radikal“–Ermittlungen ist aber vor allem die juristische Seite. Der Tatbestand der Werbung bzw. Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“ würde im Falle einer Verurteilung deutlich ausgeweitet. Da seit Inkrafttreten des novellierten § 129a zu Beginn des Jahres auch die Tatbestandsmerkmale zur Festlegung einer „terroristischen Vereinigung“ erheblich erweitert wurden, bekämen die „Anti–Terror“–Ermittlungen geradezu inflationäre Züge. Weitreichende Konsequenzen In der 42. Auflage des Standard–Kommentars zum Strafgesetzbuch, Dreher/Tröndle, wird der Begriff der Unterstützung folgendermaßen definiert: „Das Unterstützen der Vereinigung durch Nichtmitglieder ist zur Täterschaft verselbstständigte Beihilfe. Nicht erforderlich ist, daß die Beihilfe den erstrebten Erfolg hat oder der Organisation Nutzen bringt, es genügt, wenn sie für die Vereinigung irgendwie vorteilhaft ist und die Mitglieder im Zusammenwirken bestärkt...das bloße Vorrätighalten von Propagandamaterial erfüllt daher diesen Tatbestand nicht.“ Weiter gefaßt ist schon im Kommentar der Begriff der Werbung, die sich von der Unterstützung vor allem dadurch unterscheidet, daß sie „zu keinem nachweisbaren Erfolg führt“, aber „offene oder versteckte Propagandatätigkeit“ ist. Nach einem Urteil von 1982 fällt darunter bereits das Verteilen von Flugblättern - allerdings wurden die damals Angeklagten beim Verteilen erwischt. Bei den jetzt Verfolgten wurde, wenn überhaupt, jeweils nur ein Exemplar der inkriminierten „Radikal 132“ gefunden. Daß die Betroffenen im Besitz von mehreren Ausgaben waren, versucht die Staatsanwaltschaft über Empfangsbescheinigungen von Päckchen nachzuweisen. „Während bisher vor allem gegen die Hersteller von Schriften vorgegangen wurde“, meint der West–Berliner Rechtsanwalt Christoph Kliesing, „wird jetzt gegen die Verkäufer, also gegen die Infrastruktur, vorgegangen. Betreibern eines Cafes wird sogar vorgeworfen, die „Radikal“ ausgelegt zu haben: Lesenlassen soll also schon zum Straftatbestand erhoben werden.“ Ob die Staatsanwaltschaften damit zum Ziel kommen, ist noch nicht klar. Einen wichtigen Erfolg haben sie aber erzielt: Kaum einer der im Zuge dieser Verfahren durchsuchten Buchläden hat die auf die Nummer 132 folgenden „Radikal– Info“ und „Radikal–Provinzausgabe“ verkauft: „Wir müssen uns ja auch überlegen, wofür wir unseren Kopf hinhalten“, verteidigte sich in Bonn während einer Veranstaltung zu den Verfahren ein Buchhändler. „Für politische Aussagen, die ich selber für falsch oder gefährlich halte, riskiere ich doch nicht unsere Existenz.“ Eine Haltung, die bei etlichen anwesenden „Radikal“–Leser/innen auf wenig Verständnis stieß: „Ihr könnt doch nicht anfangen, zu zensieren, was ihr verkauft und was nicht. Damit hat der Staat doch sein Ziel schon erreicht.“

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