■ William S. Burroughs macht Werbung für Turnschuhe: Niked Lunch
New York (taz) – Der Zeremonienmeister erscheint auf mehreren flackernden Monitoren. Angetan mit seinen Markenzeichen – grauer Anzug, grauer Hut, graues Gesicht – doziert er mit unverkennbarer Reibeisenstimme, während um ihn herum junge Athleten ihren schweißtreibenden Beschäftigungen nachgehen. „Hey, ich spreche mit dir. Der Sinn der Technologie ist nicht, den Geist zu verwirren, sondern dem Körper zu dienen. Das Leben einfacher zu machen, alles, alles möglich zu machen. Es ist das Öffnen der Tür, der Beginn neuer Technologie. Heilige Kuh!“ Da rutscht ein Baseballspieler auf seinen Spikes gegen den Bildschirm und – schwups! – springt das Gesicht des alten Mannes auf einen anderen Monitor. „Diene dem Körper. Neu und unheimlich“, murmelt er ungerührt weiter.
Keine Szene aus einem New Yorker Untergrund-Video, sondern der neueste Nike-Werbespot. Der US-Turnschuhgigant, der schon Szenestars wie Spike Lee und Michael Jordan für sich werben ließ, hat sich für seine amerikanische TV-Kampagne diesmal einen ganz und gar unsportlichen Repräsentanten ausgesucht: William S. Burroughs, 80, bisexuell, Beat-Poet, Junkie, Ehefrauenmörder, Waffennarr. Turnschuhe hat er nie getragen. Der Autor psychedelischer Werke wie „Naked Lunch“, „Junky“ oder „Interzone“, hatte in den letzten Jahren nur noch selten Auftritte in der Öffentlichkeit. Seine bizarre Prosa und seine bewegte Biographie – im Heroinrausch erschoß er versehentlich seine Ehefrau – haben ihm in Teilen der 68er Generation zwar Kultstatus gewährt, doch die US-Fitneß-Generation der neunziger Jahre, die die Nike-Treter kaufen soll, hat den Greis im grauen Filzhut vorher vermutlich noch nie gesehen. Warum wurde Burroughs dennoch von dem Sportswear- Multi engagiert?
„Es ist o.k., daß die meisten nicht wissen, wer er ist“, sagt Werbetexter Jean Rhode von der Nike- Agentur Weiden & Kennedy. „Er ist eine Kultfigur, die Nike zu mehr Underground-Feeling verhilft.“ Der Untergrund-Poet selbst hat keine Probleme mit seinem Engagement. „Ich werbe für ein gutes, ehrliches Produkt“, rechtfertigte sich Burroughs gegenüber dem New Yorker Szenemagazin Village Voice. Nach Angaben seines Managers James Grauerholz zahlte der Turnschuhfabrikant Burroughs „eine gesunde fünfstellige Summe“ für den Anderthalb-Minuten-Auftritt. Und: „Viele unserer hipperen Freunde finden es absolut subversiv, daß Nike einen Mann mit Williams Hintergrund für die Kampagne ausgesucht hat.“
Werbung als subversive Tat. In Zeiten, in denen Autohersteller Honda den „Walk on the Wild Side“-Sänger Lou Reed für seine Commercials verpflichtet und Pepsi schlammbadende Jugendliche als Werbeträger benutzt, wird allerdings schnell klar, wer hier wen unterwandert. Der Branchenriese Nike erweitert mit dem Werbespot des Untergrund-Poeten seinen Käuferkreis jedenfalls gerade in dem Moment, wo seine Produkte unter den Teenagern aus der Mode kommen. Bei den 12- bis 22jährigen sind wieder altmodische Adidas- und Puma-Modelle angesagt. Nike bemüht sich derweil um die ältere Generation.
Hat der alte Burroughs, den man in dem TV-Spot nur von der Brust aufwärts sieht, etwa auch schon Nike-Sneakers an den Füßen? So oder so ist sein Werbeauftritt ein harter Schlag für all jene Fans, denen noch die Anfangszeilen seines 1964 erschienenen Romans „Nova Express“ in den Ohren klingen: „Laß Euch nicht sehen. Erzählt ihnen nicht, was Ihr tut. Um Gottes willen, laßt das Coca-Cola-Ding nicht raus!“ Ute Thon
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