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Wikileaks unter DruckSchwarze Listen der Taliban befürchtet

Gegenwind für Wikileaks: Neben Nato und US-Regierung hat auch "Reporter ohne Grenzen" die Veröffentlichung der Afghanistan-Dokumente als verantwortungslos und hochgefährlich abgelehnt.

Gefragter Interviewpartner: Wikileaks-Gründer Julian Assange. Bild: ap

OSNABRÜCK afp | Die NATO-Truppe ISAF und die US-Regierung haben die Internetplattform Wikileaks vor der Veröffentlichung weiterer geheimer Afghanistan-Dokumente gewarnt. Während ISAF-Sprecher Josef Blotz in einem Interview am Samstag sagte, schon die bisherigen Veröffentlichungen seien strafrechtlich relevant, befürchtete Washington eine noch größere Gefährdung Unschuldiger. Wikileaks versicherte, die Dokumente vorher genau zu prüfen.

Die Veröffentlichung der ersten geheimen Dokumenten zum Afghanistan-Einsatz sei nicht nur strafrechtlich relevant sondern auch "moralisch unverantwortlich" gewesen, sagte der deutsche ISAF-Sprecher Blotz der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Namensnennung von afghanischen Mitarbeitern der ISAF und von internationalen Hilfsorganisationen sei "besonders verwerflich, weil sie diese Menschen einer zusätzlichen Gefährdung aussetzt", sagte Blotz. Das Ganze sei eine "fehlgeleitete Aktion", die das Friedens- und Versöhnungsprogramm der afghanischen Regierung behindern könne.

Wikileaks-Gründer Julian Assange will nach den bereits Ende Juli ins Netz gestellten Dokumenten "in einigen Wochen" weitere, bisher zurückgehaltene Informationen preisgeben. Diese rund 15.000 der insgesamt 90.000 Dokumente würden derzeit "Zeile für Zeile" untersucht und gegebenenfalls bearbeitet, weil sie die Identifizierung einzelner Betroffener zuließen, sagte Assange am Samstag in Stockholm.

"Die Namen unschuldiger Parteien, die tatsächlich einer Gefährdung ausgesetzt sind", würden geschützt, sagte Assange. "Wir haben 8000 Dokumente analysiert, wenn wir den bisherigen Rhythmus beibehalten, sollte der Rest noch zwei Wochen dauern." Wer Wikileaks die geheimen Unterlagen zuspielte, ist weiterhin unklar. Die erste Veröffentlichungsserie machte unter anderem deutlich, dass die Lage in Afghanistan bei weitem schlimmer ist als von den Streitkräften und den verantwortlichen Politikern in der Öffentlichkeit dargestellt.

"Wir sind besorgt, dass die zusätzlichen Dokumente größere Gefahren darstellen als die bereits veröffentlichten", erklärte Pentagon-Sprecher David Lapan. Gefährdet sind nach seinen Worten vor allem Menschen, "die darum bemüht sind, den Afghanen Sicherheit und Frieden zu bringen". Die Afghanistan-Veröffentlichungen der auf die Enthüllung von Geheimdokumenten spezialisierten Internetplattform hatten vor allem bei den Regierungen in Washington und Kabul für Empörung gesorgt.

Auch die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) sprach von "unglaublicher Verantwortungslosigkeit". Es sei "hochgefährlich", die Namen von hunderten Afghanen offenzulegen, die mit der US-geführten Koalition zusammenarbeiten, hatte die in Paris ansässige Organisation erklärt. "Die Taliban und andere bewaffnete Gruppen können damit ohne Schwierigkeiten eine schwarze Liste von Menschen erstellen, die umgebracht werden sollen, und mörderische Vergeltung üben."

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9 Kommentare

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  • WM
    weißich morgenwieder

    rsf ist - leicht verspätet - auf einen schachzug hereingefallen. das ganze hatte mit amnesty begonnen. es erschien ein wsj-beitrag (wall street journal) mit einem angeblichen zitat von amnesty. und das wall street journal ist ja bekanntlich superpro bei kontaken zu menschenrechtsgruppen und fachspezialist in fragen zu menschenrechten und so. berlin hatte - so klang das am telefon - zur hälfte zero ahnung, was am nebenkontinent gerade abläuft und zur anderen hälfte steckte es noch im jetlag erm im gähn-muskelkater vom urlaub. es dauerte ein bißchen, amnesty london mußte auch etwas tätiger werden, dann kam das dementi der aussage schließlich an. es wurde offiziell mitgeteilt: es gab keine verifizierte stellungnahme von amnesty (ny).

     

    soweit.

     

    bis das aber durchkam, haben die vereinten cons-twitterzwerge (oh, doch, sekretär und sekretärin von thiessen und colin powell haben kräftig in die tasten gehauen) - herumgesendet, was ging und das gerücht, amnesty hätte was gesagt, landete schließlich wohl auf dem schreibtisch eines praktikanten bei rsf london. ohne rückfrage, was die anderen rsf's wohl so dazu sagen (und mit wohl noch nichtmal angeklickten collateral murder video, indem ja schließlich nur zwei reuters-mitarbeiter... aber man kann von praktikanten schließlich auch nicht alles erwarten) - wurde dann "weil wenn selbst amnesty"...

     

    den rsf-brief aber einfach so zu kopieren... schon komisch, liebe taz.

     

    achso und ein kleinen linktip zur nachlese von dies und das im vorfeld (für neueinsteiger ins thema) wäre hier so zum beispiel hier etwa

  • ON
    ohne namen

    Ich würde ja gerne einen Kommentar abgeben - aber in diesem unseren Staate ?

  • C
    Carsten

    Ach und ich dachte, es wären "moderate Taliban"?

  • C
    Charlot

    Und ich hatte immer geglaubt, Reporter ohne Grenzen seien neutral und der Wahrheit verpflichtet und nicht dem Pentagon und Geheimdiensten und dem "Krieg in der Grauzone" mit Todesschwadronen. Schade.

  • D
    Daniel

    Ganz mieser und erbärmlicher Versuch: eine Regierung, die Krieg führt und dabei unzählige unschuldige Menschen auf dem Gewissen hat, versucht durch moralische Anschuldigungen die eigene Weste rein zu halten.

    Was diese Liste angeht, so mag Reporter ohne Grenzen teilweise Recht haben und darauf sollte geachtet werden, dass niemand persönlich in Gefahr gebracht wird.

    Dennoch ist Transparenz dringend notwendig. Die Lügen müssen aufgedeckt und die Verbrechen aufgeklärt werden.

  • M
    muessenweg

    Ja, dann sieht man ja das gefährliche Gesicht der Taliban noch deutlicher und vielleicht kapieren es dann auch mal die letzten Hinterwäldler, dass diese Leute weg müssen.

  • S
    Simon

    Die sollen mal aufhören rumzuwettern. Wikileaks macht eine gute Sache. Würden nicht reihenweise Journalisten ihren Job schlecht machen, gäbe es keine Nachfrage nach diesem Dienst.

    Anstatt den Mächtigen auf die Finger zu schauen, produziert man ein wie etwa im Fall der Bild ein Blut und Spermablatt, dessen Höhepunkt der Woche es ist, wenn i.ein Wettermoderator einer Vergewaltigung beschuldigt wird. Oder bei DSDS eine Panne war. oder oder oder...

  • A
    agtrier

    Vor allem sind die veröffentlichen Dokumente peinlich für die etablierten Medien (die Taz inbegriffen), die sich allzu lange mit den Lügenmärchen von Militär und Politik abgefunden haben, und keine eigenen Recherchen betrieben, die zeigten, wie die Lage wirklich ist.

     

    Aber die wahren schuldigen sitzen (wieder mal) im Pentagon, Washington D.C. und natürlich in Berlin - wo man lange bemüht war, alle negativen Nachrichten über den Krieg in Afghanistan unter den Tepich zu kehren, weil sie sonst zuhause Probleme mit der Bevölkerung bekommen würden.

     

    All das fällt nun doppelt auf sie zurück. Kein wunder, dass sie nun einen anderen "Sündenbock" brauchen: Hier wird also auf den Überbringer der schlechten Nachrichten eingeschlagen, als könne er etwas dafür.

     

    Ach ja, und für's Töten und Morden brauchte es in Afghanistan bisher kein Wikileaks - und das wird in Zukunft auch nicht anders sein.

  • R
    rounald

    Vor einer afghanischen Imitation der Nato-Todeslisten habe ich weniger Angst, als vor der weiteren massenweisen Bombardierung von Unbeteiligten aus der Luft, der Invasion von Länder, dem präventiven Abwurf von Atombomben durch die Reichsten der Reichsten im Kampf für ihre Gier.

     

    Berichte, die offizielle Thesen affirmieren, bringen mir nichts.