■ Wieso es bald zu neuen Fährunglücken kommen wird: Hauptsache vorn und hinten eine Klappe
Vor knapp drei Jahren kostete ein Fährenbrand in Skandinavien 158 Menschenleben. Ein unverantwortlicher Reeder hatte ein verrottetes Schiff mit einer Besatzung eingesetzt, die nicht einmal die Notausgänge kannte. Jetzt sind wieder Menschenleben zu beklagen. Wie damals bei der „Scandinavian Star“ muß sich auch jetzt die behördliche Schiffsinspektion unbequeme Fragen stellen lassen. Ihre Qualität scheint nicht viel besser zu sein als die der privaten Klassifizierungsgesellschaften, die auf jeden Schrottanker ihren Stempel drücken.
Auf einen Monat lautete das Urteil gegen den Reeder der „Scandinavian Star“. Er durfte weiter seinem Beruf nachgehen und Passagierfährschiffe auf die Reise schicken. Die „Pol-Ferries“ haben keinen guten Ruf. Doch auch wer auf Reedereien mit „gutem“ Ruf setzt, kann heuer sein blaues Wunder erleben. Da setzt die renommierte Hamburger TT-Linie im Weihnachtsverkehr ein angechartertes Schiff ein, die griechische „Fedra“, die sofort von der Schiffsinspektion gestoppt werden muß, weil eine Brandübung zum reinsten Chaos führt. Die Reederei schmückt sich in ihrer Werbung mit dem „Sehr-gut“-Stempel der Stiftung Warentest über die Sicherheit von Fährschiffen, doch ist offenbar kaum interessiert, was sie zum Ersatz ihrer als sicher gestempelten Schiffe anbietet.
Seit der Öffnung Osteuropas hat sich der Fährverkehr in der Ostsee mehr als verdoppelt. Es gab und gibt eine regelrechte Inflation neuer Linien. Neubauten werden nicht eingesetzt, sie sind auch viel zu teuer. Angechartert und aufgekauft wird alles, was vorne und hinten eine Klappe hat, um Autos laden zu können, der Kalkulation und Konkurrenz wegen. Die Passagiere können sich allenfalls überlegen, ob sie sich einem Kahn ein zweites Mal anvertrauen wollen – wenn es ein zweites Mal gibt. Die Behörden sind gefragt, nicht nur die Rettungsboote auf Lecks und Feuerlöscher auf Funktionsfähigkeit zu überprüfen, sondern sich ausführlicher mit Schiffszustand und -konstruktion zu befassen als bisher. Eine Aufgabe, zu der ihnen bislang der staatliche Auftrag fehlt. Reinhard Wolff, Kopenhagen
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