Wiederveröffentlichung von Grace Jones: Diese Party wird niemals enden
Die ersten drei Alben von Grace Jones sind nun als Box neu veröffentlicht worden. Eine Hommage an eine Königin des Disco.
Als Grace Jones 1981 mit dem funky R&B-Song „Pull Up to the Bumper“ erstmals in den deutschen Charts landet, macht sie das Mainstream-Publikum mit einem Video irre, in dem sie unter ihrem Anzug völlig selbstverständlich unbekleidet ist. In krassem Gegensatz zur Nacktheit steht ihre zum Rechteck geschorene Frisur –sie wird ihr Markenzeichen –, die ihre hohen wulstigen Wangenknochen und den gewaltigen Mund noch mehr betont. Alle paar Takte huscht ein selten gezeigtes Lächeln über das markante Gesicht.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Künstlerin im Showbiz längst ein gefeierter Star. Geboren 1948 in Spanish Town auf Jamaika in eine streng gläubige Familie, kommt sie mit Zwölf nach Syracuse, Upstate New York, wo ihr Vater als Prediger arbeitet. Die völlig anderen Lebensumstände in Nordamerika und die Tatsache, dass sie das einzige schwarze Kind auf der Schule ist, machen sie zur Außenseiterin. Sie beginnt zu schauspielern und läuft sich in den frühen Siebzigern auf den Laufstegen von Paris für Modelabels wie Yves St. Laurent die Füße wund, ziert die Titelseiten von Vogue und Elle.
Die Modelkolleginnen Jerry Hall und Jessica Lange nehmen sie mit zum Feiern in den angesagten Pariser Club „Le Sept“. In jener Zeit fasst sie den Entschluss, ihr Geld mit Singen zu verdienen, und nimmt Demos auf. Eine erste Version des campy Songs „I Need a Man“ erscheint bereits 1975 und avanciert zum Discohit in Holland und Frankreich. Als der Discosound im Jahr darauf aus dem schwulem Underground in die Charts gespült und durch Donna Summer und Silver Convention auch im Radio vermarktet wird, suchen Si und Eileen Berlin für ihr kleines New Yorker Label Beam Junction nach einem Act, der Eurodiscosound erfolgreich in die Vereinigten Staaten importieren würde.
Der Conga-getriebene Hochgeschwindigkeits-Boogie von „I Need a Man“, ihr beeindruckendes Äußeres und ihr Talent als furchtlose Rampensau machen Grace Jones zur idealen Kandidatin. Die Berlins nehmen die 28-Jährige unter Vertrag und bringen sie mit Tom Moulton zusammen – jenem Produzenten, der sich mit einem aus drei aneinander montierten Songs bestehenden Mix auf Gloria Gaynors Debütalbum „Never Can Say Goodbye“ (1974) direkt in den Disco-Olymp katapultiert und nebenbei den Remix erfindet, angeblich um den DJs genügend Zeit zu verschaffen, in Ruhe pinkeln zu gehen.
Hang zum Cross-Dressing
Moulton zögert, weil er findet, Jones’ Stimme klinge wie Bela Lugosi. Doch die lässt sich nicht beirren und nimmt Gesangsunterricht. Schließlich produziert Moulton doch Jones’ Debütalbum „Portfolio“ in der Hitfabrik des warmen Philly-Soul-Sound, den Sigma Studios in Philadelphia. Zwischenzeitlich ist Grace Jones mit „I Need a Man“ und ihrem Hang, mit Cross-Dressing Verwirrung zu stiften, zum Darling der Gay-Disco-Community geworden. Auch in dem im April 1977 eröffneten Hedonisten-Tempel Studio 54 ist sie Stammgast, auf der Bühne wie im Publikum. Ein Türsteher erinnert sich: „Grace Jones kam öfter splitterfasernackt. Vermutlich öfter, als sie das hätte sollen.“
Weil Beam Junction der gewachsenen Popularität von Grace Jones nicht gerecht werden kann, bringen die Berlins ihren Schützling bei Island Records unter, wo ihr Debüt „Portfolio“ im Oktober 1977 erscheint – und sie zu einem der innovativsten und charismatischsten Acts in der Geschichte des Labels wird. Die A-Seite von „Portfolio“ besteht aus einem zusammenhängenden Mix dreier Uptempo-Broadway-Musical-Stücke und bietet eine Grace Jones, die konventionell singt. Der Endlos-Mix spiegelt eine lange Partynacht wider. Die B-Seite startet mit ihrem ersten internationalen Hit, einer Bossanova-getriebenen Discoversion von Edith Piafs „La vie en rose“, der man sich schlecht entziehen kann. Weitere Songs sind die „alten“ Stücke „I Need a Man“ sowie „Sorry“ und „That’s the Trouble“, die Jones auch mit komponiert hat.
Kaum acht Monate danach kommt ihr ebenfalls von Tom Moulton produziertes zweites Discoalbum „Fame“ heraus. Dessen Singleauskopplungen „Do or Die“ und „Autumn Leaves“ werden beide zu Dancefavoriten, erreichen aber nicht den Mainstream. Jones’ kraftvolle Stimme wird von Streichern und Bläsern flankiert, der stampfende Uptempo-Rhythmus aller Stücke wird nur kurz unterbrochen durch eine Bridge, der Wechsel der Tonart eingeleitet durch Bassläufe, die wissen, wo sie hinwollen, und die Tänzer auch heute noch in den Mittelkreis der Tanzfläche drücken. Rückblickend wirkt das sehnsuchtsvolle „Am I Ever Gonna Fall in Love in New York City“ als Wendepunkt, die endlose Party ist zwar noch in vollem Gange, aber einige Gäste rüsten bereits wieder zum Aufbruch.
Der Erscheinungstermin von „Muse“, 1979, dem dritten und letzten nochmals von Moulton produzierten Werk, fällt mit dem Ende der Discoära zusammen, es gilt als „das verlorene Album“ von Grace Jones. Hits landet sie damit keine. Ihr Gesang klingt abgeklärt, etwas Aggressives hat sich eingeschlichen, lieblich sind nur noch die Backingvocals. Der orchestrale Sound bemüht noch einmal die große Geste, tolle nervige Sounds, die an das Karussellgehupe auf Jahrmärkten und akustische Einparkhilfen moderner Autos erinnern, werden wohldosiert eingestreut. Die Songtitel lassen ahnen, dass sich hier etwas dem Finale nähert: „Sinning“, „Suffer“ oder „Repentance (Forgive Me)“.
Slave to the Rhythm
Zum 67. Geburtstag der Diva hat Island Records nun diese drei Alben in einer schmucken Box unter dem nackten Titel „Grace Jones – Disco“ neu veröffentlicht. Disco gibt es reichlich: Jedes der drei Alben ist mit unveröffentlichten Edits und verschiedenen Remixen aufgepolstert. Das ist für den nach Vollständigkeit lechzenden Nerd schön, beim Anhören gerät die Endlosschleife aber zum Fallstrick, die Tracks erscheinen dadurch etwas beliebig. Die erhellenden Linernotes und Fotos aus der Discoära rufen in Erinnerung, dass, anders als bei vielen heutigen Trillerpfeifen, sexy Posen und geschmackvolle Inszenierung eins sein können. Der auf „Muse“ gemachten Aufforderung im Song „On Your Knees“ kommt die Partycrowd jener Zeit nach.
Mit Beginn des neuen Jahrzehnts 1980 klinkt sich Jones aus der Disco aus und pflanzt ihr Oeuvre stärker ins kollektive Popgedächtnis. Sie verquirlt elegant musikalische Stilrichtungen wie Reggae, R&B, Funk und New Wave und bleibt mit ihrem androgyn unterkühlten Image, das ihr zeitweiliger Lebensgefährte, der Fotograf Jean-Paul Goude, wesentlich prägt, medial dauerpräsent. Ein Meilenstein sind das Artwork des 1985er-Konzeptalbums „Slave to the Rhythm“ und das Video zum Titelsong. Darin gerät der Mund der Jones zur Edelstahlgarage, aus der die barfüßige, kreischende Diva in einem flotten Auto sitzend herausbraust.
Dann adelt sie den James-Bond-Film „Im Angesicht des Todes“ mit ihrem Auftritt als böse May Day. Zusammen mit der britischen Champagner-Truppe Duran Duran, die den Titelsong beisteuert, sorgt die Jones damit für ein stylishes Highlight der Achtziger.
Alle kennen ihren von Trevor Horn maßgeschneiderten Hit „Slave to the Rhythm“ von 1985, weit weniger bekannt ist Frau Jones’ Gespür für extravagante Coverversionen: Die wütende Reggae-Version von „She’s Lost Control“ von Joy Division, die Reggae-Ohrfeige des Pretenders-Songs „Private Life“ oder der unterkühlt sparsame Wave von David Bowies und Iggy Pops „Nightclubbing“, in dem Grace Jones tiefes Timbre sich besonders gut mit ihrem markanten Sprechgesang der Post-Disco-Zeit stellt.
So, wie Jones heute alterslos auftritt – während ihres gesamten Auftritts anlässlich des Thronjubiläums 2012 von Elisabeth II. kreist der damals 64-Jährigen, angetan mit einem futuristischen Bunny-Kostüm, ein Hula-Hoop-Reifen um die Hüften –, gibt auch ihr gut gealtertes Werk keinen Anlass, an das Ende der Party zu denken. Und lässt verstehen, dass Künstlerinnen von Lady Gaga bis Roisin Murphy als Inspirationsquelle Grace Jones nennen.
Grace Jones: „Disco” (Island/Universal)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!