: Wiedergutmachung
■ Der jüdische Weltkongreß tagte weiter / Bronfman will DDR-Regierung Höflichkeit erweisen und begrüßt die Resolution zur Verantwortung für den Holocaust
Berlin (dpa/taz) - Auf der Tagung des Jüdischen Weltkongresses in Berlin bezeichnete der Präsident dieser Organisation seine am Dienstag geplante Begegnung mit der DDR-Regierung als „Höflichkeitsbesuch“, von dem er nicht viel erwarte. Bronfman würdigte jedoch die Resolution der neuen DDR-Volkskammer, die „die Verantwortung für den Holocaust“ übernommen habe. „Das ist eine Haltung, die wir anerkennen.“
Der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, Lionel Kopelowitz, meinte dazu, diesem bedeutenden Schritt „sollten auch Reparationen folgen“. Gestern wurden auf dem Kongreß auch Pensions- und Wiedergutmachungsleistungen durch eine deutsche Regierung für sowjetische Staatsbürger, die bei der Deutschen Wehrmacht während des Krieges dienen mußten, sowie für jüdische polnische Staatsbürger gefordert.
Vertreter polnischer und sowjetischer Veteranen hatten sich in Adressen an die sowjetische Regierung sowie in einem Brief an Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei seinem Besuch in Polen gewandt, die auf dem Kongreß verlesen wurden.
Der Leiter der bundesdeutschen Zentralstelle zur Ermittlung von Verbrechen unter dem Nationalsozialismus, Alfred Streim, berichtete dem Kongreß über die Tätigkeit seiner Dienststelle und nannte die Zahl von 6.000 bearbeiteten Verfahren, von denen 5.800 den Staatsanwaltschaften übergeben wurden die 1.000 Anklagen erhoben haben. Davon wurden 123 Urteile für lebenslängliche Haftstrafen ausgesprochen und 650 Zeitstrafen.
Nach Öffnung internationaler Archive mit Fahndungslisten stünden noch 76.000 Vorgänge zur Überprüfung an, berichtete Streim. Die Aufklärungsarbeit werde fortgesetzt, mit weiteren Anklagen sei zu rechnen. Strafrechtlich relevantes Material komme jetzt noch überwiegend aus Polen. Nach den im Zusammenhang mit den Vorgängen um den österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim geöffneten österreichischen Fahndungslisten werden noch 30.000 ehemals reichsdeutsche Personen zu überprüfen sein. Bei knapp der Hälfte werde aber wegen Tod oder Abwanderung oder Aufenthalt in der heutigen DDR keine Prüfung möglich sein. Außerdem gebe es außerordentliche Beweisschwierigkeiten, sagte Streim, ebenso bei der Zeugensuche. Die DDR habe bisher jede Zusammenarbeit abgelehnt. Im Staatsarchiv Potsdam befinden sich noch zahlreiche Unterlagen. Sollten zuständige DDR-Stellen in naher Zukunft keinen Kontakt mit der bundesdeutschen Zentralstelle aufnehmen, wollen diese die Initiative ergreifen, sagte Streim. Er äußerte außerdem den Wunsch, die Zentralstelle künftig in ein historisches Institut umzuwandeln. Heinz Galinski forderte zusätzliche gesetzliche Regelungen gegen Antisemitismus nach einer deutschen Vereingung. Die gegenwärtigen Bestimmungen sind Galinski zufolge unvollkommen.
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