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Wiedergänger von Boris Becker

■ Im hohen Alter vermittelt Johnny Cash zwischen Cowboys, Musicalbesuchern, Reihenhaus und Jugendkultur

Seine neue CD Unchained hat Johnny Cash ja schon vor einigen Monaten im CCH vorgestellt. Das muß nach allem, was zu hören war, eine merkwürdige Veranstaltung gewesen sein. Der Meister selbst indisponiert, und dem Publikum war keineswegs anzumerken, daß Cash spätestens seit seiner American Recordings-CD auch jugendkulturellen Kredit genießt. Es dominierten Musicalgänger und Reihenhauscowboys. Dazu kam noch das CCH-Ambiente, das ja eher zu einem Medizinerkongreß paßt denn zu einem Rockkonzert.

Wie glücklich fügte sich dagegen alles vor drei Jahren, als Johnny Cash unter freiem Himmel im Stadtpark auftrat. Die Tresenstammbesatzungen St.Paulis trafen auf Möchtegern-Rednecks aus den Vororten, zwischendrin Studenten, Väter und Söhne und junge Mütter nebst Babys. Erstaunlich, wer sich inzwischen alles auf Johnny Cash einigen kann.

Und man selbst konnte das immer noch diffizile Vergnügen, Johnny-Cash-Anhänger zu sein, frei genießen. Schließlich sah man sich hier nicht in irgendwelche spießigen Countryecken hineingedrängt, sondern war einer aus einer bunten, illustren Menge. Was zwar in puncto Zusammenführung verschiedener Fraktionen noch keine Love Parade machte, aber irgendwie doch das Gefühl vermittelte, daß auch die Menschen in Ordnung seien, von denen man es bis dahin nicht angenommen hatte – alle mittendrin in einem sanft brodelnden „Ring of Fire“.

Dieses Glücksgefühl kann sich nun wieder einstellen, wenn Cash kommenden Mittwoch im Stadtpark auftritt. Das wird ein entspanntes, vielleicht aber auch großes Ereignis werden. Denn Cash funktioniert längst so wie Boris Becker. Man nimmt dankbar jedes Geschenk an, das der große, alte Mann noch bieten kann. Und die Patzer vergißt man schnell wieder.

Dirk Knipphals Mi, 30. Juli, 19 Uhr, Stadtpark

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