Wiederaufbau Afghanistans: Das Kalkül des US-Präsidenten
Bei den Wahlen in Afghanistan steht für Barack Obama viel auf dem Spiel. Warum für den US-Präsidenten die Stabilität Afghanistans so wichtig ist.
WASHINGTON taz | Kaum ein Ereignis in Afghanistan ist für US-Präsident Barack Obama bedeutsamer als die für heute angesetzten Wahlen. Mit ihrem Ausgang steht und fällt der "Obama-Plan", mit dem die USA zum ersten Mal seit 2001 den Wiederaufbau des Landes angehen wollen. Dafür bleibt Obama ohnehin wenig Zeit.
Der US-Kongress will bis Ende 2010 konkrete Erfolge sehen. Daher ist es für die Obama-Regierung und ihre Rekonstruktionspläne entscheidend, dass Afghanistan politisch stabil bleibt. Weniger entscheidend ist, wer in Kabul regiert, solange dieser starke Mann der Zentralregierung Legitimität verleiht.
Dem amtierenden afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, einem Protegé von Obamas Vorgänger George W. Bush, wird in Washington längst nicht mehr zugetraut, dieser verlässliche Kooperationspartner zu sein. Bereits als Obama als Präsidentschaftskandidat im Juli 2008 mit Karsai in Kabul zusammentraf, tadelte er den afghanischen Staatschef, nicht genug für die gute Regierungspraxis zu tun.
Obama, der im vergangenen Jahr keine Gelegenheit ausließ, Karsai zu kritisieren, sagte wenig später, dass Afghanistan einen Führer brauche, der auf die Bedürfnisse der Afghanen eingehe, und "ehrlich, Karsai tut das gegenwärtig nicht".
Mit diesem Verdikt war klar, dass der telegene Karsai im Weißen Haus Obamas keine Bewunderer mehr haben würde. Das letzte Treffen des US-Vizepräsidenten Joe Biden mit Karsai verlief offenbar so kontrovers, dass Biden aus dem Gesprächsraum gestürmt sein soll. Und Hillary Clinton bezeichnete Afghanistan, nur Tage bevor sie als US-Außenministerin eingeschworen wurde, als "Narko-Staat", dessen Regierung "von Korruption und Unfähigkeit" geplagt sei.
Washington mache es sich sehr einfach mit seiner Kritik an Karsai, meinen indessen Kenner der Region. Der bekannte pakistanische Analyst und Journalist Ahmed Raschid sagte kürzlich in Washington, dass "der wahre Grund für den Mangel an guter Regierungspraxis in Kabul der Mangel an Interesse der Bush-Regierung und an Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft" sei.
Beide hätten dem Afghanen Ressourcen, Geld, zivile Hilfe und breite Unterstützung vorenthalten. Das habe Karsai dazu verführt, sich wieder mit seinen alten Warlord-Kollegen zusammenzutun, was sehr unglücklich sei, da die Afghanen neue Führer und neue Vorbilder benötigten.
"Die US-Regierung schwächt Karsai mit ihrer Kritik - und mit ihm das gesamte afghanische Regime", sagt auch Gilles Dorronsoro von der Washingtoner Denkfabrik Carnegie Endowment for Peace. Dabei gehe es in Wirklichkeit nicht um Karsai. "Es geht um jemanden in Kabul, der repräsentativ und stark genug ist, um einen funktionierenden afghanischen Staat aufzubauen", sagte der Afghanistanexperte kürzlich in einem Interview.
Es sei daher keine Überraschung, dass Karsai seinerseits versuche, sich unabhängiger von der US-Regierung zu machen. Hierfür gibt ihm Dorronsoro sogar ein paar Pluspunkte: "Er verhandelt mit den Iranern, mit Pakistan, auch mit den Russen, und ich glaube, er macht das besser, als wir gegenwärtig glauben."
Einen als "gut" angesehenen Führer in Kabul zu wissen, einen, der Korruption, Drogenbekämpfung und die Taliban meistern kann, könnte Obama helfen, die zunehmend kritischen Stimmen in Washington zu beruhigen, die die Beendigung des Afghanistaneinsatzes fordern.
Doch mangels einer besseren Alternative zu dem Bush-Freund Karsai hatten sich die USA vor den Wahlen als "neutral" erklärt und damit deutlich gemacht, dass sie auf Distanz gehen. US-Vertreter machten zudem klar, dass die Obama-Regierung auf jeden Fall mit Karsai weiter zusammenarbeiten werde, sollte er wie erwartet die Wahl gewinnen - aber Business as usual werde nicht akzeptiert.
Für Obama steht heute viel auf dem Spiel. Längst ist der 2001 begonnene Afghanistankrieg sein Krieg. Das Obama-Team hat massiven Druck ausgeübt, um dem Kongress die Aufstockung der Truppenzahl abzuringen. Angesichts täglich neuer Todesmeldungen vom Hindukusch und immer dringlicheren Forderungen seiner Unterstützer, beide Kriege so schnell wiemöglich zu beenden, kann sich Obama ein Scheitern seines Plans in Kabul nicht erlauben.
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