IRAK: SCHWERER RÜCKSCHLAG FÜR DIE INTEGRATION DER SUNNITEN : Wieder am Nullpunkt
Die ganze Episode zeigt, wie leicht sich der fragile politische Prozess im Irak aus den Angeln heben lässt. Zwei prominente sunnitische Mitglieder des Komitees, das dafür zuständig ist, dem Land eine Verfassung zu schreiben, wurden vor drei Tagen in Bagdad erschossen – und schon ist alles wieder beim Nullpunkt angelangt. Alle anderen sunnitischen Mitglieder haben sich jetzt aus dem Verfassungskonvent zurückgezogen, ob aus Angst um das eigene Leben oder aus Ärger über den geringen Schutz, der zum Tod der Kollegen geführt hat.
Die Attentäter wussten genau, wo sie ansetzen mussten. Nach zähen Verhandlungen war der Verfassungskonvent letzten Monat erweitert worden, um neben Kurden und Schiiten mehr sunnitische Mitglieder aufzunehmen. Denn jeder Sunnit, der an der Verfassung mitarbeite, entziehe der hauptsächlich von Sunniten gespeisten Guerilla Legitimität, war die Idee. Statt aufs militärische sollten sich die Sunniten aufs politische Feld verlegen. Eine einfache politische Idee – und genauso einfach war es, sie militärisch zu zerstören.
Nun stehen die irakischen Verfassungsväter in spe vor einem Scherbenhaufen. In drei Wochen soll der Verfassungsentwurf vorliegen, um zwei Monate später per Referendum abgesegnet zu werden. Das Ganze stellt die Voraussetzung für die Wahlen im Dezember dar, die erst stattfinden kann, wenn das Land endlich eine Verfassung hat. Das Dilemma ist offensichtlich. Macht der Verfassungskonvent nun ohne Sunniten weiter, erfüllt es zwar den Zeitplan, aber ohne sunnitische Beteiligung besitzt der Verfassungsentwurf keine Legitimität. Bei dem Referendum, in dem auch die sunnitischen Provinzen abstimmen, würde er mit aller Voraussicht nach durchfallen.
Versuchen die Schreiber der Verfassung dagegen, die Sunniten wieder an Bord zu bringen, verstreicht wertvolle Zeit. Damit würde der gesamte Zeitplan des politischen Prozesses erneut in Frage gestellt. Und für viele Iraker sind diese Wahlen die letzte Hoffnung, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und einen Bürgerkrieg zu verhindern. KARIM EL-GAWHARY