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Wieder Strom aus Tschernobyl

■ Das Katastrophen-AKW soll Freitag wieder ans Netz/ Brandschutzexperten berichten von Sicherheitsmängeln

Berlin (taz/dpa) — Das ukrainische Katastrophen-AKW in Tschernobyl soll ab Freitag wieder Atomstrom produzieren: Zunächst wird Block drei aktiviert, kündigte Betriebsdirektor Nikolai Sorokin gestern an. Ein zweiter Block soll Ende des Monats folgen. Dabei kann es sich nur um Block drei handeln, der unmittelbar neben dem 1986 havarierten Meiler vier steht. Der weiter weg liegende Block zwei ist nämlich gegenwärtig nicht mehr anzufahren, weil bei einem Maschinenbrand 1989 die Generatoren zerstört wurden. Der Betriebsleiter lieferte für die Entscheidung die absurde Begründung, die Anlage könnte ansonsten im Winter einfrieren. Zugleich forderte er jedoch auch von seiner Regierung, daß das Atomkraftwerk auf Dauer betrieben werden solle.

Der eigentliche Grund für die Wiederinbetriebnahme aber liegt darin, daß die Ukraine seit Auflösung der Sowjetunion seinen Strombedarf nicht aus anderen Landesteilen decken kann. Andererseits ist das Land dringend auf Devisen angewiesen. Österreich, das im eigenen Land kein AKW am Netz hat, hat in einem Vertrag vereinbart, Atomstrom aus Tschernobyl abzunehmen.

Betriebsleiter Sorokin versuchte, Zweifel von Kritikern an der Sicherheit der Reaktoren zu zerstreuen. Alle Konstruktionsfehler seien seit der Atomkatastrophe vom 26. April 1986 behoben worden, behauptet er. Der Beschluß des Parlaments der Ukraine, die Anlage ab 1993 endgültig stillzulegen, müsse daher aufgehoben werden.

Deutsche Brandschutz-Experten, die das Werk im Auftrag der EG-Kommission seit Dienstag besichtigten, sollen den passiven Brandschutz im Werk prüfen und Verbesserungen vorschlagen. Sie teilen die Einschätzung Sorokins, das Werk sei jetzt in gutem Zustand, offenbar nicht. In einer ersten Stellungnahme im Werk sagte der unabhängige Gutachter, Joachim Klindt vom Germanischen Lloyd in Hamburg: „Ich habe hier nur einige alte Hydranten gesehen, und deren Schläuche waren völlig verrottet.“ Feuerhemmende Türen, Feuerbarrieren und die Sicherung für Kabel fehlten offenbar fast völlig. Ende nächster Woche werden die Experten in Deutschland zurückerwartet.

Die Brandschutzmaßnahmen, für die die Seevetaler Firma „svt“ vor etwa einem Jahr den Auftrag von der EG bekam, haben mit dem Betrieb des Reaktors hingegen nichts zu tun. „Sie sind nötig, unabhängig davon, ob der Reaktor läuft oder nicht“, so Geschäftsführer Burghard Schönfeld. Notkühlaggregate müssen auch weiter betrieben werden, wenn der Reaktor keinen Strom erzeugt.

Zur Zeit arbeiten etwa 18.000 Menschen in dem AKW, das durch den Unfall am 26. April 1986 traurige Berühmtheit erlangte. Sie sind vor allem für Instandhaltungs- und Sicherungsmaßnahmen zuständig. Zusammen mit ihren Familien leben sie in Slawutitsch, einem Ort kurz hinter der 30 Kilometer breiten Sperrzone. Jeden Tag fahren sie zu ihrem Arbeitsplatz, in dessen unmittelbarer Umgebung die hochverstrahlte Erde ausgetauscht wurde.

Nach Angaben des „svt“-Geschäftsführers beträgt die Strahlung an den Arbeitsplätzen in den Atommeilern heute nicht mehr als fünf Rad pro Jahr und Mensch. Damit entspräche es dem Wert, den die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) als medizinisch unbedenklich definiert hat. Der havarierte Reaktor, an dessen meterdickem Sarkophag bereits Risse entdeckt worden sind, strahlt mit schätzungsweise 20.000 Rad pro Jahr. aje

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