: Wie weiter nach Joschka?
Am Ende von Rot-Grün (1): Deutschland mag noch so sehr um Kontinuität bemüht sein – das globale Spiel hat sich gründlich gewandelt. Daran sind Fischer & Co. gescheitert
Bundesdeutsche Außenpolitik zeichnet sich durch fast ungebrochene Kontinuität aus, woran sich – aus deutscher Sicht – mit dem Regierungswechsel 1998 nichts ändern sollte und im Herbst 2005 erneut nichts ändern soll. Als Staatsräson war Westdeutschland vorgegeben, die Führung der USA zu akzeptieren, in Westeuropa aufzugehen, den Ausgleich mit der Sowjetunion zu suchen und der Dritten Welt ein guter Partner zu sein. Weder Verschweizerung noch Größenwahn lautete die Devise des mittleren Staates, der im Geiste Adenauers und Brandts seine fragile Identität nur entwickeln und bewahren kann, indem er mit anderen kooperiert. Auch nach dem Fall der Mauer und dem Ende der UdSSR blieben die atlantische Gemeinschaft und das erweiterte Europa die großen Konstanten.
Verändert haben sich freilich die Koordinaten: 1999 mit dem ohne UN-Mandat gewagten Kosovo-Einsatz der Bundeswehr und vor allem 2001 mit dem radikal-islamistischen Terror. Der Ost-West-Antagonismus wurde durch einen US-Unilateralismus mit imperialen Dimensionen abgelöst, während die europäische Wiedervereinigung, mit Verve begonnen, nach dem Scheitern der EU-Verfassung ins Stocken geraten ist. Mag die Bundesrepublik noch so sehr um Kontinuität bemüht sein und ihr supranationales und multilaterales Erbe hervorkehren – das globale Spiel hat sich gründlich gewandelt.
Damit ist die rot-grüne Außenpolitik nicht fertig geworden. Indem Deutschland auch am Hindukusch verteidigt wird, hat sie die Kultur der Zurückhaltung abgelegt und Augenhöhe mit Amerika reklamiert, ohne seiner Irak- und Nahostpolitik im Bund mit Paris und Moskau eine diplomatische Alternative entgegensetzen zu können. Gespielt und verloren: Der Sicherheitsratssitz dürfte eine Illusion bleiben, die Iran-Verhandlungen stecken in der Sackgasse, die Balkan- und Afghanistan-Missionen stehen auf der Kippe, und bei der Befriedung des Mittleren Ostens spielt Europa kaum eine Rolle.
Scheitern dürfte schon die EU-Aufnahme der Türkei, zum Eckstein einer friedlichen Nahoststrategie erklärt, wofür der spezielle Widerstand der Christdemokraten weniger ins Gewicht fällt als der generelle Klimawechsel in der EU und natürlich das Verhalten der Türkei selbst. Mehr als privilegierte Partnerschaft ist da derzeit kaum drin. Auch daran zeigt sich: Die deutsch-französische Achse ist defekt, das neue Europa hat das wohlmeinende Kondominium von Paris und Berlin zurückgewiesen.
Eine Unions-Regierung wird sich vor allem um die Reparatur der transatlantischen Beziehungen bemühen, auch um bessere Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten, vor allem zu Polen, wo die Russlandfreundlichkeit Gerhard Schröders besonders negativ aufgestoßen ist. Aber mehr als Floskeln bekommt man von den Unionskandidaten nicht zu hören, die Fischer beerben möchten.
In Washington bitten sie um Schönwetter, wollen aber auch kein militärisches Engagement gegen den Iran und keine Bundeswehr im Irak. Sie machen Aufwartung in Warschau, aber ihre Unterstützung für das Vertriebenen-Zentrum in Berlin trübt die Freude. Mit Paris will man nicht mehr so stark befreundet sein, aber natürlich geht nichts ohne die Franzosen. Man will auch nicht so alteuropäisch sein wie Schröder und Chirac, aber es fehlt eine bessere Idee. Putin soll nicht mehr so hofiert werden, aber das Verhältnis zu Moskau wird als zentral eingestuft. China bezieht Tadel wegen Menschenrechtsverletzungen, aber seine Märkte lässt sich eine noch unternehmerfreundlichere Regierung nicht entgehen.
Business as usual also, und genau wie Schröder in seinen ersten Jahren würde sich Angela Merkel am liebsten auf Innen- und Wirtschaftspolitik konzentrieren. Doch die weltpolitische Entwicklung wird auch ihr den Primat der Außenpolitik als Chefsache aufzwingen, worauf sie nicht sonderlich vorbereitet wirkt. Insofern sind die Ratschläge von Interesse, die konservative und unionsnahe Fachmenschen der Auswärtigen Politik formulieren. Einen Visionär vom Schlage des Steuerrechtlers Paul Kirchhofs findet man unter ihnen nicht, aber ältere Fahrensleute und hungrige Newcomer bieten sich als Stichwortgeber für die Zeit nach Rot-Grün an. Dabei zeigt sich ein altes Schisma zwischen den Liberalen und Konservativen, die sich den USA unterordnen möchten – und solchen, denen Schröders Gaullismus ganz recht war. Sicher gibt es eine politisch-kulturelle Distanz der Linken zu Amerika, aber Antiamerikanismus war stets mehr die Domäne der deutschen Rechten, deren Säulenheiliger Franz Josef Strauß stets als nuklearer Gaullist auftrat.
Die Hervorkehrung nationaler Interessen durch Bundeskanzler Schröder macht die konservative Dauerklage über den deutschen Postnationalismus nichtig: Nicht Helmut Kohl, sondern Rot-Grün beendete die viel belächelte Scheckbuchdiplomatie, und dass die deutsche Politik machtvergessen und geschichtsbesessen sei, wie konservative Kolumnisten nicht müde wurden zu betonen, kann nach Schröders macht- und geschichtspolitischen Kurskorrekturen keiner mehr behaupten. Die wohlfeile Klage über handwerkliche Fehler der rot-grünen Außenpolitik reicht nicht mehr aus, wenn man selbst die Geschicke der Nation in unsicheren Zeiten bestimmen will.
Zu einem handfesten Neo-Gaullismus fehlt heute freilich so gut wie alles, beginnend mit einem französischen Partner, so gut sich Kronprinz Sarkozy und Kandidatin Merkel verstehen mögen. Bleibt ein riskanter Post-Atlantizismus, der den von den USA und Großbritannien betriebenen Paradigmenwechsel der internationalen Beziehungen nachvollzieht, das heißt: den Akzent von multilateraler Diplomatie auf hegemoniegestützte Sicherheitsprävention verlagert. In diese Richtung zielt Merkels Vorschlag, im Kanzleramt einen nationalen Sicherheitsrat zu installieren, wogegen die FDP schon Protest eingelegt hat.
Auch eine Annäherung an Tony Blair, Europas neuen starken Mann, passt in dieses Szenario, das homeland security mit rapid response verbindet. Doch solche Planspiele verstärken die Widersprüche im konservativen Lager: Neokonservativer Internationalismus provoziert realistische Isolationsgelüste, zumal die Bundeswehr nicht wirklich fähig ist, die deutsche Sicherheit am Hindukusch, Kaukasus oder Horn von Afrika zu garantieren.
Unterm Strich war die Außenpolitik der rot-grünen Koalition besser als ihr Ruf, auch wenn die miese Form häufig den passablen Inhalt verdeckte oder verdarb und eine Stärkung der Zivilmacht Deutschland ebenso ausblieb wie nachhaltige Initiativen in der globalen Umweltpolitik und Entwicklungszusammenarbeit. Für eine außenpolitische Schlussoffensive mangelt es dieses Jahr an Themen, aber das schwarz-gelbe Alternativprogramm bleibt schemenhaft, sodass Kontinuität wieder mal das Gebot der Stunde ist. Womöglich bedurfte es eines rot-grünen Intermezzos, um in einer stark veränderten Welt eine deutsche Weltpolitik mit Maß und Ziel ins Werk zu setzen. CLAUS LEGGEWIE