Wie sich jugendliche Homosexuelle outen: Coming-out. Und dann?
Wie geht es homo- und transsexuellen Jugendlichen in Deutschland? Das ist kaum erforscht. Vier Jugendliche erzählen von ihrem Outing. Von Hilfe, Tränen und Suizidversuchen.
"Ich habe Angst, dass man mir auflauert"
Lars (17) und sein Chris (16) wohnen in Essen. Seit zwei Monaten sind die beiden ein Paar
Lars: Ich sehe sehr weiblich aus und wurde schon immer gefragt, ob ich nicht schwul bin. Bis ich 15 war, habe ich dann immer Nein gesagt. Dann habe ich mich geoutet, es hat irgendwie gereicht. Ich hatte meine Mädels, und da war alles gut. Klar gab es blöde Kommentare, aber nie mehr.
Einmal wurde mir aufgelauert, vor dem schwullesbischen Jugendtreff hier. Das war schon schlimm. Danach bin ich eine Woche lang zu Hause geblieben. Ich habe mir damals schnell Hilfe bei Lehrern gesucht, das haben die mir vom Jugendtreff geraten. Da gab es tolle Unterstützung. Sie haben eine Klassenkonferenz gemacht, die Schüler, die mich gemobbt haben, ermahnt. Es waren vor allem Türken und Ausländer.
Ich war der Einzige aus meiner Klasse, der sich geoutet hatte. Später hab ich erfahren, dass da noch jemand anderes auch schwul ist.
Das passiert: Homo- und transsexuelle Jugendliche sind am Mittwoch Thema im Bundestag: Der Familienausschuss verhandelt auf Initiative des Abgeordneten Kai Gehring einen Antrag der Grünen zu homosexuellen Jugendlichen. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, eine Studie über die Lebenssituation homosexueller Jugendlicher in Auftrag zu geben. Die Regierung soll zudem Präventionsstrategien entwickeln, um Mobbing, Gewalt und Suizidversuche zu verhindern. Der Bund soll auf die Länder einwirken, um das Thema Homosexualität in die Lehrpläne und LehrerInnenausbildung zu integrieren. In den vergangenen Jahren sah die schwarz-gelbe Bundesregierung keine Notwendigkeit, dazu Untersuchung zu veranlassen oder Präventionsstrategien in Angriff zu nehmen.
Das ist das Problem: Bisher gibt es kaum Studien über die Lage homo- und transsexueller Jugendlicher in Deutschland. Schätzungen zufolge ist das Suizidrisiko besonders bei jungen Schwulen ein vier- bis siebenmal höheres als bei ihren heterosexuellen Altersgenossen.
Wenn man in der Schule ist, kann ich den jungen Schwulen nur raten, sich Hilfe zu suchen, zum Beispiel bei schwul-lesbischen Jugendtreffs. Wenn man sich nicht outet, verleugnet man sich selbst, das zerfrisst einen doch.
Jetzt bin ich an einer neuen Schule, zwei Wochen nach dem ersten Tag wusste jeder, dass ich schwul bin. Das ist kein Problem. Ich konnte auch mit den Lehrern reden, einer ist selbst geoutet.
Chris: Ich gehe in die 11. Klasse hier an einem Gymnasium. Und seit ich mit meinem Freund Lars zusammen bin, stecke ich mitten im Outing. Den habe ich hier beim schwulen Jugendclub kennen gelernt.
Vor ungefähr vier Monaten habe ich es meiner Mutter gesagt. Sie hat geweint, es aber ansonsten ganz gut aufgenommen. Mein Vater und mein Bruder wissen es noch nicht, die sind sehr konservativ. Meine Mutter kennt Lars, meinen Freund, jetzt auch, und sie ist wohl froh, dass ich jemanden gefunden habe.
Die meisten Freunde wissen Bescheid, in der Schule noch wenige. Aber Lars hat mir geraten, mich an einen Lehrer zu wenden. Vor zwei Wochen haben mich ein paar Leute aus der Klasse Lars' gesehen. Seitdem gibt es ein paar blöde Kommentare, und noch verneine ich es immer, wenn ich gefragt werde, ob ich schwul bin.
Ich habe mir aber fest vorgenommen, mich in den nächsten Wochen bei mehr Leuten zu outen. Das hab ich Lars versprochen. Natürlich habe ich Angst, dass man mir auflauert, dass ich ständig darauf angesprochen werde.
Ich weiß nicht, ob ich jedem raten würde, sich in der Schule zu outen. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber es tut weh, wenn man ständig verheimlicht, wer man eigentlich ist.
"Die Lehrer haben total versagt"
Kai (17) wohnt in einer Kleinstadt bei Kaiserslautern
"Ich habe mich vor zwei, drei Jahren geoutet. Da wusste ich schon eine Weile, dass ich schwul bin. Meiner damals besten Freundin und einem Freund habe ich es erzählt. Einer von beiden hat es weitergetratscht, denn an meiner Gesamtschule wussten es auf einmal alle. Dann ging es los: Ich wurde als "Schwuchtel" und "schwule Sau" beschimpft. Ich wurde angespuckt, Treppen runtergestoßen und aus der Umkleide geschmissen. Fast die ganze Klasse hat mitgemacht, nur zwei Mädchen haben sich mich beschützt. Die waren aber auch nicht immer da. Ich habe es zu Hause erzählt, weil ich jemanden brauchte, der mir hilft. Weil es auch sonst Stress gab, bin ich zu meiner Oma gezogen.
Die Lehrer haben total versagt. Es ist nichts passiert, da hat mir keiner geholfen. Ich war total verzweifelt. Irgendwann habe ich eine Mail ans Bildungsministerium in Mainz geschickt, die haben meinen Rektor angerufen. Der hat alles abgestritten und mich unter Druck gesetzt, ich sollte alle Anschuldigungen zurücknehmen oder die Schule verlassen. Da bin ich abgegangen, mit einem minderwertigen Hauptschulabschluss.
Irgendwann hab ich mir die Pulsadern aufgeschnitten und bin für zwei Monate in die Psychiatrie gegangen, weil ich gemerkt habe, dass es nicht mehr geht. Danach bin ich ein Jahr lang zu Hause geblieben. Habe darüber nachgedacht, wer ich bin, was ich eigentlich will. Jetzt bin ich immer noch in psychotherapeutischer Behandlung und nehme Antidepressiva.
Kurz nach der Psychiatrie bin ich nach Kaiserslautern zu dem Verein "lauterjungs" gegangen, die haben mir geholfen. Jetzt gehe ich oft ehrenamtlich in Schulen, um über Homophobie aufzuklären. Ich erzähle von mir und helfe anderen beim Coming-out. Das hilft mir, ich will, dass es denen besser geht als mir. Die Schüler reagieren meist nachdenklich. Oft rate ich, sich an Vertrauenslehrer zu wenden. Aber Lehrer sind auch oft überfordert, haben sie mir erzählt. Weil sie in der Ausbildung auf so was nicht vorbereitet werden.
Jetzt bin ich an einer neuen Schule, will meine mittlere Reife nachholen. Ich habe mich gleich am ersten Tag geoutet, das hat ganz gut geklappt. In meiner Klasse sind fast alle türkisch, für die war das eine Umstellung. Meine Noten sind schlechter geworden, ich bin wieder in einem Loch. Ich wünsche mir, dass ich hier wegkomme, vielleicht nach Frankfurt oder München. Ich will, dass man mich so akzeptiert, wie ich bin."
"Mir ist schnuppe, wer das weiß"
Felipa, 16, aus Karlsruhe geht auf ein Gymnasium
"Von meiner Familie weiß bisher nur meine Mutter, dass ich lesbisch bin. Ich bin seit Mai 2010 mit meiner Freundin zusammen und irgendwann hab ich es meiner Mutter gesagt. Sie war schon geschockt, war richtig fertig. Mittlerweile nimmt sie es mit Galgenhumor. Mein Vater kommt von den Philippinen, er ist streng katholisch. Ich will es ihm erst nach meinem Abi sagen. Das sind unterschiedliche Kulturen, er würde das nicht verstehen. Meine Mutter will, dass ich es ihm nie sage, aber das geht nicht. Ich will ja mal irgendwann mit einer Frau zusammenziehen und Kinder bekommen.
In der Schule ist das gar kein Problem. Es wissen fast alle. Ich hab bei Facebook meinen Beziehungsstatuts auf "vergeben" gestellt und auf meine Freundin verlinkt. Mir ist eigentlich schnuppe, wer das weiß. Die aus der Unterstufen rufen mir manchmal hinterher "Guck mal, da läuft 'ne Lesbe", oder sie nennen mich "schwul". Das finde ich eher komisch. Ich bin ja gerade nicht schwul. Wir haben auch einen schwulen Lehrer und zwei lesbische Lehrerinnen. Die stellen sich zwar nicht hin und sagen das, aber man weiß es und sie machen kein Geheimnis draus.
Blöde Sprüche gibt es eher außerhalb der Schule, wenn ich abends mit meiner Freundin unterwegs bin. Da vermeiden wir schon manchmal Körperkontakt.
Insgesamt ist das alles toll gelaufen. Ich glaube, dass Jungs es beim Outing schwerer haben. Von denen erwartet man, dass sie männlich sind, keine Gefühle zeigen. Da gibt es einfach viel mehr Vorurteile als bei Lesben.
Alle Namen geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern