: Wie kriegen wir die Äcker wieder fit?
In Deutschland sind viele Böden ausgelaugt. Eine Gruppe europäischer Landwirt*innen will gemeinsam lernen,wie sie wieder verbessert werden können. Ob bio oder konventionell ist ihnen egal
Von Annette Jensen
Landwirt Christian Beste hat ein mannstiefes Loch auf seinem Acker ausheben lassen. Etwa 50 Menschen stehen drumherum, überwiegend Berufskolleg*innen. Mit dem Loch will Beste zeigen, wie sein Ackerland unter der Oberfläche aussieht. Ganz oben blühen Rettich, Senf, Phacelia und andere Gründüngungspflanzen. Sie wachsen auf einer 30 Zentimeter dicken Schicht dunkler Erde. Darunter gibt es nur noch Sand. „Viele unserer Flächen haben unter 25 Bodenpunkten“, erklärt der Betriebsleiter der Agrargenossenschaft Buckau im brandenburgischen Fläming. Auf der 100er Skala, die die Qualität der natürlichen Standortbedingungen beschreibt, ist das ein sehr schlechter Wert. Gleich will Beste den Besucher*innen demonstrieren, mit welcher Methode er versucht, die Bodenqualität wieder zu verbessern.
Die Versammelten auf dem Feld gehören zur Europäische Allianz für regenerative Landwirtschaft (EARA). Gegründet wurde sie vor zwei Jahren von rund 50 Pionierlandwirt*innen aus dem Umfeld der Akademie für ökologische Land- und Ernährungswirtschaft Schloss Kirchberg. Sie waren sich einig, dass es in der Landwirtschaft fundamentale Veränderung braucht. Schließlich ist das aktuelle Lebensmittelsystem für ein Drittel der klimaschädlichen Gase verantwortlich und Hauptverursacher des Artenschwunds, während die Landwirtschaft zugleich unter schrumpfenden Ernten leidet und wegen der zunehmenden Trockenheit immer größere Mengen des knapper werdenden Süßwassers benötigt. Höchste Zeit, mit Verbesserungen anzufangen, finden die EARA-Bäuerinnen und Bauern. Ob bio oder konventionell ist ihnen erst mal schnuppe. Entscheidend ist für sie die Verbesserung zum Ist-Zustand. Das ist es, was sie unter regenerativ verstehen.
Christian Beste hat den Betrieb in Brandenburg vor vier Jahren übernommen. Die Analysen ergaben auf allen Flächen einen extremen Nährstoffmangel. Sein Vorgänger hatte kein Geld mehr für Dünger investiert und das Letzte aus den Böden herausgeholt. Hinzu kommt, dass die Region sehr trocken ist. Bleibt ein Feld unbedeckt, nagt der Wind die dünne Oberschicht immer weiter ab.
Um dem entgegenzuwirken und die Bodenstruktur zu schützen, schaffte Beste als Erstes die Pflüge ab und setzte auf eine umweltschonende Anbaumethode, bei der das Saatgut direkt in den unbearbeiteten Boden gelegt wird, die Direktsaat. „Damit das gut funktioniert, braucht es im Boden immer lebendige Wurzeln“, sagt er. Wie sie den Boden verändern, demonstriert ein Kollege. Er hat einen Spaten voll dunkelbrauner Erde aus dem Acker ausgestochen: Der Klumpen hält die Form. Daneben liegt ein strukturloser, heller Haufen Oberboden, den er von einem Feld aus der Umgebung geholt hat. Davon füllt er jetzt eine kleine Menge in ein Sieb und hält es in einen wassergefüllten Glaskolben. Binnen Sekunden löst sich die Erde darin auf. Dagegen verliert die durchwurzelte Probe vom Spaten so gut wie keine Substanz. Für Beste ein Indiz, dass seine Methode funktioniert.
In wenigen Tagen will Christian Beste Wintergetreide zwischen die noch lebendige Gründüngung säen. Sobald das Getreide keimt, aber noch keine oberirdischen Blätter hat, spritzt er den üppigen Pflanzenteppich mit Glyphosat tot und lässt ihn als Mulch liegen. So will er den ausgemergelten Boden nach und nach wieder mit Humus anreichern. Die Wurzelgänge der Vorgängerfrüchte helfen den neuen Pflanzen, tief in den Boden vorzudringen und auch die sandige Schicht zu erreichen, die zwar nur wenig, aber immerhin noch ein bisschen Wasser bereitstellt – ein wichtiger Faktor in einer Region, in der im Jahr nur etwa 500 Millimeter Regen fallen.
Aber kann der Einsatz des hochumstrittenen Pestizids Glyphosat wirklich „regenerativ“ sein? Felix Riecken, Biobauer aus Groß-Barkau südlich von Kiel, ist beeindruckt von Bestes Vorführung. Vor allem die gut durchwurzelte dunkle Erde, die dank des Humusaufbaus das Wasser halten kann, fasziniert ihn. Im Bioanbau lässt sich Direktsaat nur durchführen, wenn die unerwünschten Wildkräuter in Handarbeit entfernt werden oder ein Hackroboter das erledigt. Den aber können sich viele Betriebe nicht leisten. Dass sein konventionell wirtschaftender Berufskollege den Breitband-Pflanzenkiller Glyphosat nutzt, findet Riecken verständlich. Denn aktuell ist eine Umstellung auf biologische Landwirtschaft auf dem Hof, auf dem Beste angestellt ist, noch keine Option. Statt Glyphosat würden als Alternative also nur andere Herbizide infrage kommen.
Doch was genau soll „regenerative Landwirtschaft“ dann bedeuten? „Unser Fokus liegt auf den Ergebnissen, nicht den Methoden“, sagt EARA-Direktor Simon Krämer. Und diese wiederum seien positiv. Dieses Jahr hat das Netzwerk eine erste Studie vorgelegt, die 78 beteiligte Betriebe aus zehn Ländern untersucht hat. „Sie erzielten bei den Indikatoren für Ökosystemleistungen deutlich höhere Werte als der Durchschnitt in ihren Ländern“, sagt Krämer. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.
Bestes Betrieb zeigt eine der Spannung im Zentrum von EARAs Vorhaben auf. Indem man sich für alle öffnet, Landwirt*innen an den Punkten abholt, an denen ihre Betriebe in der Entwicklung Richtung Nachhaltig gerade stehen, ist EARA inklusiv. Mit dieser Offenheit könnten auch konventionelle Landwirt*innen, die nicht bereit sind, sich an strenge Bioauflagen zu halten, motiviert werden, kleine Schritte zu gehen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Offenheit das Konzept der „regenerativen Landwirtschaft“ bis zur Unkenntlichkeit verwässert.
Das diese Gefahr durchaus besteht, zeigt, dass auch Unternehmen wie Nestlé oder der Pestizidhersteller Syngenta ihn nutzen. „Diese Großkonzerne investieren bisher aber noch oft lieber in Werbung, statt sich wirklich um die Gesundheit der Böden zu kümmern. Deshalb sehe ich bei ihnen viel Greenwashing“, sagt Krämer. EARAs alternative Vision: Die Transformation soll auf den Höfen beginnen und durch Austausch und Zusammenarbeit der Landwirt*innen wachsen.
Mittlerweile sind rund 100 Landwirt*innen bei EARA Mitglied. Die Allianz tourt derzeit durch europäische Städte, lädt Interessierte zum Austausch und gemeinsamen Exkursionen ein. Finanzielle Unterstützung bekommt sie dabei unter anderem von der EU und privaten Stiftungen.
Eine Exkursion des Netzwerks geht zu Wilmars Gärten etwa 40 Kilometer südlich von Berlin. Gut gelaunt führt die Leiterin des 360-Hektar-Betriebs María Giménez die Gruppe über das Gelände. Binnen acht Jahren ist es ihr gelungen, aus vormals riesigen Monokulturflächen eine kleinteilig strukturierte Agroforstlandschaft zu schaffen. Lange Reihen vielfältiger Apfel-, Birnen-, Pflaumen- und Aprikosenbäume gedeihen neben rasch wachsenden Pappeln, die den Obstbäumen in den ersten Jahren Schatten spenden. Die durchmischte Bepflanzung schützt den Boden vor Erosion und hilft beim Wasser speichern. Auf dem Grünland dazwischen grast ab und zu eine Herde Highlandrinder, deren Dung wieder Leben in den Boden bringen soll. „Am Anfang hatten wir große Probleme mit Feldmäusen, aber inzwischen gibt es hier auch wieder viele Greifvögel“, berichtet die Quereinsteigerin. „Seid ihr profitabel?“, will jemand wissen. „Was verstehst du darunter?“, fragt Giménez zurück. Ihr Ziel sei es, einen nahrhaften Raum für alle Lebewesen zu schaffen – nicht nur für Menschen.
Später erzählt sie dann doch, dass der Betrieb rund 300.000 Euro Umsatz erziele – gerade genug, um Löhne, Saatgut und das Werkzeug zu bezahlen. Das Geld wird vor allem mit den 6.400 Quadratmetern Gemüsefeldern und Gewächstunneln erwirtschaftet. Gärtner*innen bauen dort 80 verschiedene Sorten an und lassen die Erntereste auf den Beeten, so dass möglichst viele Nährstoffe vor Ort bleiben. Die Ernte wird ohne Zwischenhandel verkauft, im Hofladen, auf einem Berliner Markt und an Sterne-Restaurants. Im nächsten Jahr plant Giménez hier eine Farmschule.
Neben Wissen und gutem Willen braucht Bodenverbesserung vor allem Zeit. Neuartige Kompostmethoden helfen, dass es so schnell wie möglich geht. Deshalb die nächste Station: Der Naturland-Betrieb Gut&Bösel in Alt Madlitz, 30 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Hier arbeitet Laurenz von Glahn als Manager für Erd- und Pflanzengesundheit. Er versammelt die Gruppe zwischen vollen Drahtcontainern und reicht einen Eimer herum, den er daraus abgefüllt hat. Der Inhalt hat eine fette, etwas klebrige Konsistenz und riecht nach guter Erde: Johnson-Su-Kompost. Bei seiner Herstellung kommen viele Holzhackschnitzel zum Einsatz, und man verzichtet aufs Wenden, erklärt von Glahn. So enthält die Erde am Ende viele Pilzfäden. Die helfen den Setzlingen beim Gedeihen.
Simon Krämer sagt, das Ziel von EARA sei es, den regenerativen Gedanken in die Breite zu tragen, sich dabei aber auch nicht von den Agrar- und Lebensmittelkonzernen kapern zu lassen. Die Pioniere sind fest davon überzeugt: Ihr Berufsstand ist selbst am besten geeignet, Wege für eine langfristig funktionierende Landwirtschaft zu finden.
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