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Stimme meiner Generation

Wie komme ich mit meinen Kollegen klar? Denk buddhistisch!

Aron kommt mit seinem Arbeitspartner in Berlin nicht klar. Sein Freund Albrecht lebt in einem buddhistischen Kloster in Norwegen. Kann er ihm helfen?

Die buddhistische Lehre hält auch für den Arbeitsalltag einige Weisheiten parat. Foto: privat

Von Aron Boks

taz FUTURZWEI, 28.02.2023 | Vor Kurzem habe ich hier erzählt, dass ich meinen Freund Albrecht zu seinem 23. Geburtstag besucht habe. Albrecht lebt in der norwegischen Einöde in einem Kloster, und da er sich Anfang des Jahres entschieden hat, hier der Lehre des Buddhas zu folgen, fällt die Geburtstagsparty nicht gerade exzessiv aus. Man soll hier nicht trinken, nicht rauchen und keiner weltlichen Musik lauschen – aber Koffein ist erlaubt.

Also stapfen wir jetzt durch den Wald, vorbei an einer Buddha-Statue, die zwischen rot angestrichenen Holzhütten im Schnee steht, hin zu einer Feuerstelle, um Kaffee zu kochen. Für Albrecht bedeutet das alles kein Verbot, sondern ein selbst gewähltes Mittel, um die Lehre des Buddhas zu praktizieren. Darin sieht er seinen Weg, um mit dem Leid der Welt klarzukommen. Zuvor hatte er es mit Studium, Aktivismus und langen Klosteraufenthalten probiert und schließlich diesen Weg hier als wahr anerkannt. Ein zurückgezogenes Leben und ein nach innen gerichteter Blick. Ich wollte ihn besuchen, weil ich das einfach krass fand.

Albrecht legt eine Blechkanne in die Glut, setzt sich im Schneidersitz davor und sieht dabei ebenso erwartungsfroh aus, wie schon ein paar Stunden zuvor, als er mich an der Bushaltestelle nahe des Klosters empfing.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Er will Mönch, aber zunächst Anagārikā werden. Das ist eine Person, die ihre weltlichen Besitztümer und Verpflichtungen aufgegeben hat, um sich ganz der buddhistischen Praxis zu widmen. Albrechts Tag beginnt hier um 3.30 Uhr und besteht aus Frühstück, Hausarbeit, Freizeit, einer letzten Mahlzeit um 12 Uhr und vor allem aus Meditation.

Struktur und Aggression

„Und hast du eine Struktur?“, fragt er mich in seiner immer leicht raunenden, langsamen Art zu reden.

„Nein, und das ist auch gut so“, antworte ich und bin selbst überrascht, wie patzig ich reagiere. Hätte er mich das ein paar Wochen früher gefragt, hätte ich vermutlich entspannter darauf reagiert. Aber da gab es Niko noch nicht und ich dachte nicht, dass mich der bis nach Norwegen verfolgt. Er und ich arbeiten seit Kurzem zusammen für ein Stipendium, was super ist, nur die Zusammenarbeit ist es nicht.

Niko mag es nicht, wenn ich seine sorgfältig geschrieben Arbeitspläne vom Montag nicht beachte, und ich mag es nicht, dass er nach 17 Uhr nicht mehr zu erreichen ist, wenn ich gern anfange zu arbeiten. Zumindest geht das aus unserem bisher ausschließlich passiv-aggressiven E-Mail-Verkehr hervor.

Ich sehe zu Albrecht, der zufrieden auf das dampfende Gefäß in der Glut schaut, greife nach dem Henkel der Kanne, fange an zu fluchen und wedle mit den Händen.

Albrecht blinzelt kurz auf, als wollte er noch ein paar Gedanken wegfegen. „Entschuldigung, manchmal bin ich zu meditativ!“, sagt er und ist zu meiner Verwunderung voll im Thema. „Es gibt hier diesen Bewohner, mit dem geht es mir ähnlich.“

Irgendwie dachte ich, dass Buddhisten solche Probleme nicht haben. Vermutlich, weil meine bisherigen Berührungspunkte mit ihrem Glauben lediglich Zitate auf Yogi Tee-Beuteln waren. „Lächeln ist die einfachste Art von Friedensarbeit.“ Und so was.

Yogi-Tee statt Aushalten

Albrecht erzählt mir von einem deutlich älteren Anagārikā, der vor Kurzem aus einem englischen Kloster hierhergezogen ist und von dem er sich erhofft hat, viel zu lernen. Aber das Einzige, was Albrecht von ihm hört, sind Hinweise, was er alles angeblich falsch macht.

„Er hat selbst gerade ein Problem – in England konnte er sich wunderbar auf das Praktizieren einlassen und meditieren, hier fällt es ihm schwer.“

„Ja, und vermutlich hat auch Niko noch irgendein persönliches Problem, sonst wäre er ja nicht so grundangepisst“, antworte ich. „Ich komm mit so einer Stimmung aber überhaupt nicht klar.“


Albrecht befreit sich aus seinem Schneidersitz und erzählt, dass viele Menschen seiner Meinung nach in Konflikten immer sofort die Beziehung verbessern wollen. Etwas, das unangenehm ist, müsse sofort anders sein. Dabei sei es doch interessant, noch davor einfach das Geschehen zu beobachten und nur dafür Interesse zu entwickeln, was überhaupt passiert: „Was mache ich? Wie reagiert die andere Person?“, sagt er und sieht eine Weile in die sterbende Glut. „Und manche Dinge muss man einfach aushalten.“

Ich nicke. Solche Sätze stehen nicht auf Yogi-Tee-Beuteln, denke ich.

Kurz darauf mache ich mich schon wieder auf den Weg zurück nach Deutschland.

Irgendwie vermisse ich Albrecht jetzt schon, habe keinen Plan, wie ich das mit Niko klären soll und zu allem Überfluss läuft im Bus Richtung Oslo jetzt Michael Jacksons „Man in the Mirror“.

„If they wanna make the world a better place

Take a look at yourself and then make a change.“

Manno.

Wer lebt hier abgekapselt?

Drei Tage später liege ich auf meinem Bett und drücke bereits den zehnten Wecker aus, der mich daran erinnern soll, die Sache mit Niko in Angriff zu nehmen.

Doch irgendwie wehrt sich ein stures, bockiges Kind in mir, seine Form der Struktur zu akzeptieren. Vielleicht kündige ich einfach dieses Stipendium, denke ich.

Ich schließe die Augen, beruhig dich, sage ich zu mir. Handle buddhistisch. Was mache ich? Wo führt das hin?

Irgendwie wird das nichts. Ich rufe Albrecht an.

„Ich habe ja mal gesagt, dass ich dein Leben nicht führen will – dabei könnte ich es einfach gar nicht”, seufze ich und rede über seine Ruhe, die Struktur, dieses eisenharte Abgekapseltsein von der Außenwelt.

„Wer sagt denn, dass wir abgekapselt leben?“

Diese Vorstellung sei ein Klischee. Die Lehre des Buddhas würde es Albrecht praktisch untersagen, als Eremit zu leben. Außerdem habe er nach unserem Gespräch drüber nachgedacht, ob und wann jemand überhaupt gar keine Struktur gebrauchen könnte.

„Und wann?“

„Wenn man komplett allein sein will“, sagt Albrecht. „Und gar keine Verantwortung hat.“

Er stehe ja nicht jeden Morgen so früh auf, weil ihn irgendein Hauptmann oder Mathelehrer zur Ordnung disziplinieren will – dazu gäbe es für ihn auch kein Glaubensgesetz, sondern ein gemeinsames Einverständnis der acht Leute in seinem Kloster. „Wenn jeder kocht, wann er will, und alle Spenden aufbraucht und keiner das Bad putzt, gäbe es einfach ein riesiges Durcheinander und niemand kann sich mehr konzentrieren“, sagt er. Struktur bedeute auch Abhängigkeit und Verantwortung, aber diese Begriffe klängen nur dann negativ, wenn sie auf Unterwerfung beruhten.

Die Buddhisten hier bekämen auch Besuch und Spenden aus der Bevölkerung. So blieben sie in Verbindung mit der Welt, wollten von ihr akzeptiert und gebraucht werden.

„Wir leben also alles andere als abgekapselt.“

„Entschuldigung.“

„Keine Ursache“, sagt Albrecht. „Wie läuft es denn jetzt mit deinem Arbeitsproblemchen?“

Die Arbeitsbeziehung von Niko und mir ist weiterhin eine Belastung und Verunsicherung für mich. Vieles wäre besser, wenn wir einfach mal redeten. Oder wenn ich davor überhaupt mal anfange, seine E-Mails gründlicher zu lesen und mich locker mache. Niemand zwingt mich zur Struktur – aber gibt es sie nicht, bin ich der Eremit, wenn ich Albrecht richtig verstehe.

„Ich werde dran arbeiten“, sage ich.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.