Wie gut ist die Ampel?: Bedingt regierungsbereit

Der Ampel-Bundesregierung fehlt nicht Führung durch Olaf Scholz, sondern Führung durch Inhalte. Bisher regiert unabgestimmte Handwerkelei.

Mit einer Stimmen sprechen die drei Regierungsparteien (noch) nicht Foto: Kay Nietfeld / Reuters

Von UDO KNAPP

Es ist sicher noch zu früh, die Regierungsarbeit der neuen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP umfassend zu bewerten. Doch deuten sich schon jetzt in den Reaktionen auf die russische Aggression gegenüber der Ukraine, auf die Covid-Krise und in der Klimapolitik strategische Linien und eine Regierungstechnik an, die mancherorts Verunsicherung anstelle von Vertrauen auslöst.

Die Ukraine-Politik ist bestimmt von der Verweigerung von Waffenlieferungen, dem demütigenden Angebot der Lieferung von Soldatenhelmen, von der Zurückweisung der Forderung, die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zumindest auszusetzen, dem Gewähren lassen von Ex-Kanzler Schröder und seiner Russen-Freunde in der SPD – und einem nicht eindeutigen Auftritt von Kanzler Scholz in Washington. Daraus ergibt sich der Eindruck, dass die Ampel-Regierung nicht bereit scheint, dem Anspruch Putins entgegenzutreten, das russische Herrschaftsgebiet wieder auf die osteuropäischen Länder auszuweiten. Nicht nur die Ukraine, sondern auch die anderen osteuropäischen Länder wissen jetzt, dass sie bei einer militärischen Bedrohung durch Russland nicht mit deutscher Hilfe rechnen können.

Behauptung einer deutschen Sonderrolle

In der Ukraine-Politik wird eine Rückkehr der SPD und der Grünen zu einer national-moralischen Haltung sichtbar, die „nichts anderes ist als die postmilitaristische Metamorphose jenes nationalen Dünkels, der auch schon das Denken von Fichte, Jahn und Arndt geprägt hatte: des Glaubens, im Besitz der richtigen Antwort auf die großen Fragen der Menschheit zu sein“, wie der Historiker Heinrich August Winkler schon 2020 schrieb. Vor einer solchen, bloß sich selbst erhöhenden, moralischen, aber isolierenden Haltung hat schon 1983 Helmut Schmidt beim damaligen SPD-Parteitag zum Nato-Doppelbeschluss gewarnt – ohne Erfolg.

Die Ampel scheint mit ihrer Ukraine-Politik auf dem Weg, die von Jürgen Habermas 1986 geäußerte Befürchtung zu bestätigen, „dass die vorbehaltlose Öffnung gegenüber der politischen Kultur des Westens keine Errungenschaft ist, die auf Dauer gesichert ist.“ Damit hatte Habermas Winklers Gedanken vorweggenommen, dass die Deutschen über die angeblich gezogenen Lehren aus ihren selbstverschuldete Katastrophen und ihren Verbrechen doch wieder nur den Weg zurück zu ihren sich selbst überhebenden national-moralischen Wurzeln suchen: der Behauptung einer deutschen Sonderrolle. Was sie blind mache für die bedrohlichen Wirklichkeiten und ihre solidarischen Pflichten.

In der Corona-Politik versucht die FDP zu demontieren

In der Covid-Politik hat die Ampel bisher nicht zu einer gemeinsamen Politik gefunden. SPD und Grüne lassen zu, dass die FDP mit Missbrauch von Freiheitsgerede und immer neuen Forderungen nach Lockerungen der zwingenden Einschränkungen im Interesse des Gesundheitsschutzes aller Bürger, den Impfverweigerern nach dem Maul redet. Sie verhindert so, dass die Interessen der 70 Prozent Geimpften in der Bevölkerung handlungsleitend für die ganze Regierung werden können. Jetzt versucht die FDP sogar, den unbestritten hoch kompetenten Gesundheitsminister Karl Lauterbach und auch Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Institutes, mit politischen Unterstellungen zu demontieren.

Die Ampel schaut zu, wie Bayerns Ministerpräsident Söder mit seiner Weigerung, die einrichtungsbezogene Impfpflicht umzusetzen, zum Rechtsbruch aufruft. Dabei gibt es für Länder, die sich offen weigern, geltende Gesetze umzusetzen, den Artikel 36 des Grundgesetzes. Hier wird der Bundeszwang bis hin zum Einsatz eines Bundeskommissars geregelt. Söder wie auch sein saarländischer Ministerpräsidentenkollegen Hans aber können unbehelligt die Gefährdung der Gesundheit vieler Bürger für parteipolitische Zwecke benutzen.

Die Ampelregierung hat sich mit der Weigerung, einen eigenen Gesetzentwurf zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht vorzulegen, vor ihrer Führungspflicht und ihrer Verantwortung vor den Bürgern weggeduckt. Aber die Bundesregierung ist kein Vollzugsorgan des Bundestages. Mit einem eigenen Gesetzentwurf gäbe es längst eine Covid-Impfpflicht. Stattdessen gibt es jetzt fünf Gesetzentwürfe aus den Reihen der Abgeordneten. Es ist nicht auszuschließen, dass nun gar kein Gesetzentwurf eine Mehrheit im Bundestag findet. Summasummarum schwächt die Corona-Politik der Ampel das Vertrauen in die Legitimität demokratischer Herrschaft, verunsichert die Mehrheit der Bürger und überantwortet sie - unausgesprochen - einem unkontrollierten Infektionsgeschehen.

165.000 Wohnungen von einem Baustopp bedroht

In der Klimapolitik haben die Grünen Robert Habeck und Annalena Baerbock zwar spektakuläre Personalentscheidungen und Ankündigungen gemacht, aber noch nicht viel auf den Weg gebracht. Der komplexen Sachlage geschuldet, war das indes anders auch nicht zu erwarten. Allerdings legt die erst getroffene und dann teilweise revidierte Entscheidung des Wirtschaftsministers, die ohnehin auslaufende KfW-Förderung für energieschonendes Bauen (KfW Standard 55) mit sofortiger Wirkung zu stoppen, Probleme beim reflektierten Regieren offen. In der Sache war die Einstellung der Förderung nachvollziehbar. Der KfW Standard 55 bringt für die bis 2030 notwendigen CO2-Einsparungen kaum zusätzliche Effekte. Aus diesem Grund hätte schon die alte Bundesregierung die teure und ineffektive Förderung viel früher als zum 31. Januar 2022 stoppen müssen. Nun könnte nicht das verschleppte Problem, sondern das Einknicken des neuen Ministers aufgrund von öffentlichem Geschrei hängenbleiben. Folge dieses Regierens ist es jedenfalls, dass jetzt bis zu 165.000 Wohnungen wegen Verfahrensproblemen beim Fördern von einem Baustopp bedroht sind.

Ob Ukraine-, Covid- oder Klimapolitik: konsistentes Regieren sieht anders aus. Die Debatte um den Führungsstil von Olaf Scholz lenkt dabei nur von dem eigentlichen Mangel der Ampel ab, dem Führen mit klaren Inhalten.

Wenn man nun fragt, was denn klare Inhalte seien: Für die Ukraine-Politik wäre das, verbindlich zu kommunizieren, dass die Bundesrepublik sich fest im Westen verankert und als die politische, wirtschaftliche und militärische Führungsmacht Europas sieht, die für sich jeden moralisch überhöhten deutschen Sonderweg ausschließt.

Für die Corona-Politik: Der Infektionsschutz für alle und überall in der Gesellschaft wird priorisiert - wissenschaftlich abgesichert, gesetzlich bewehrt, funktionierend organisiert und gegen alle irrationalen Widerstände von der Straße und durch Populisten auch mit Zumutungen konsequent durchgesetzt.

Für die Klimapolitik: So schnell als möglich wird der gesetzlichen Rahmen geliefert, der den Ausstieg aus der Kohleverstromung 2030 und das Einschwenken auf den 1,5 Grad-Pfad für alle Bürger und die Wirtschaft nicht zu einem angstbesetzten, sondern zu einem erreichbaren Ziel werden lässt.

Stand jetzt deutet die Politik der Bundesregierung nicht auf Führung durch Inhalte hin, sondern zeigt Tendenzen unabgestimmter Handwerkelei. Muss ja nicht so bleiben. Ein Anfang wäre, wenn SPD und Grüne der FPD mit einer gezielt eingesetzten rotgrünen Karte dabei helfen, konsequent aus dem Oppositions- in den Regierungsmodus umzuschalten.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen.

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