: Wie geil dürfen schwule Neger sein?
■ Isaac Juliens Blues-Hymne »Looking for Langston« läuft in Berlin an. Ein Film über Poesie und das schwarze Harlem zwischen den Weltkriegen
Nach seinem kurzen, aber vielbeachteten deutschen Debüt auf der Berlinale 1989 läuft nun in Deutschland der »junge britische Film«
»Looking for Langston«. Ein sehr eigenwilliges, stilisiertes Kunststück, das Thatchers elendes Gegenwartsbritannien gleichgültig hinter sich läßt.
In Schwarzweiß geht die Reise zurück, über den großen Teich in eine Welt, die in Schwarz und Weiß zerfällt. Es war einmal eine Zeit, da war der Neger im Kulturbetrieb schick. Auf Vernissagen, Broadwaybühnen, in Literatenzirkeln, vor allem aber in Jazzlokalen und Music-Halls und im Bett. New York, Harlem in den 20ern und 30ern. Wer im progressiven Kunstestablishment etwas auf sich hielt, hatte einen Primitiven an der Hand. Bloß: Die so geförderten schwarzen Amerikaner blieben nicht bei ihren Leisten irgendwo zwischen Onkel Toms Hütte, Spirituals, hormonstrotzender, geiler Potenz und archaisch-afrikanischer Volks- und Sklavenkunst. Nein, die Künstler fingen an zu experimentieren, aufmüpfig zu werden, gar dekadent, maniriert, empfindsam, modern, europäisch zivilisiert. Sie versteckten ihre Muskel- Bodies vor dem weißen Mann unter Smokings, Stehkrägen und Fliegen. Und einige Neger begannen gar Verse zu schreiben und wurden — welch Verbrechen an der Natur — schwul. Und Neger wollten die Schwarzen auch nicht mehr sein.
Die »Harlem Renaissance« in der vergleichsweise liberalen Zeit zwischen den Weltkriegen ist jene kurze Epoche, in der eine kleine Elite des schwarzen kulturellen Amerikas ihr erstes großes Selbstbewußtsein entwickelte, die eigenen Wurzeln zwar aufgriff, aber sofort auch als Fesseln und Ballast heftigst attackierte. Künstler traten auf den Plan, die nur kurze Zeit Interesse und Zuspruch des weißen Establishments erringen konnten und häufig keinerlei Verbindung zu den Massen ihrer eigenen Rasse herzustellen vermochten. Es war die Hoch-Zeit des Blues...
In einer Welt hinter verschlossenen Türen
Freaks sind in wörtlicher Übersetzung Abnorme. Langston Hughes war einer von ihnen — und lebte in einer solchen Welt der Abnormen, in einem Sub-Getto. Denn auch unterdrückte Minderheiten sind nicht von Haus aus tolerant. Auch Schwarze hassen Schwule — und umgekehrt.
Jenes Grüppchen Existenzen zwischen allen Stühlen fiel zwangsläufig in eine Welt hinter verschlossenen Türen. In ein unfreiwilliges, bedrohliches, aber um so exzessiveres Nacht- und Kunstleben. Zeit, soziale Situation, aber auch die eigene Rasse stießen sie in ein gesellschaftliches Nichts. Die Freaks arrangierten sich darin eine plüschig-schwülstige Höhle. Einen Ballsaal voll von Spiegeln, Blumenbuketts, Champagner, Saxophonen, sanft zerfließender Bettlaken. In überstilisierten, unglaublich dichten schwarzweißen Bildern komponiert Regisseur Isaac Julien diesen längst untergegangenen, zerbrechlichen Dauerzustand nach. Es entsteht eine makellose Dämmerwelt der Drogen, Fluchten und Träume, eine stolze, narzistische Subkultur schöner, junger, schwarzer Männer, arrogant versunken in einer Kunstgegenwart, die kein Draußen, kein Morgen, keine Häßlichkeit mehr kennt. Ihre Freaks sind in aller erster Linie schön, sind Objekte und wollen Objekte sein. Ihre einzige Chance in diesem versteckten Asyl sind neue Regeln, neue eigene Werte: Die leidenschaftliche Suche nach dem eigenen Ich führt über den Körper, den Schwanz, die eigene Schönheit und die der anderen. Geilheit wird Motor, Widerstand, Würde. Flüchtigkeit, Anonymität, Begierde stehen für ein Leben, dessen Überlegenheit sich alleine denen offenbaren kann, die es leben. Sex in der Gosse, auf Hinterhöfen, in Friedhöfen entfaltet für sie eine Poesie, die nichts Elendiges mehr hat — aber auch keinen absoluten Anspruch einer idealeren Gegenwelt, wie ihn etwa Genet entworfen hat. Die schwarzen, starken Schönen, mit denen Regisseur Isaac Julien jene Orte, jene Vergangenheit, jenen Zustand in Spielszenen wiedererstehen läßt, erklären nichts, tanzen (selbst)verliebt dahin. Ihre Arroganz ist ihre einzige Waffe, ihre übermächtigen Feinde nehmen sie nicht mehr wahr. Der Blick — auch der der Kamera — kreist wollüstig langsam um den eigenen Bauchnabel und über makellose Schenkel, Brustkörbe, Hintern, Lippen des jeweiligen Gegenübers. Er bleibt versunken in starr suchenden Augen, die nichts als Suche ausdrücken: die nach der Schönheit um der Schönheit willen, weil es sonst (noch) nichts gäbe, woran man teilhaben könnte.
Die Lust an der eigenen Unterdrückung
Es ist zu früh zum Kämpfen. Zu schwach ist das Getto im Getto, das daraus eine Rechtfertigung für seine sinnliche, selbstverliebte Passivität zieht. Diese Lust an der eigenen Unterdrückung spiegelt sich wider in einem Satz von James Baldwin, den der Regisseur fast entschuldigend über jenes oberflächliche Harlem sprechen läßt: »Keinem Menschen fällt es leicht, sich der Gesellschaft zu erwehren, in der er lebt. Wer möchte sich nicht lieber zu Hause fühlen unter seinesgleichen, als verspottet und verachtet zu werden. [...] Aber die Menschen finden sich auch ab mit ihrem Geworfensein. Manche bestehen sogar auf diese Art der Selbstzerstörung.« Doch bei Julien erleiden sie sie dennoch nicht nur masochistisch- wollüstig. Langston Hughes Gedichte, die den Film aus dem Off unentwirrbar verschlungen mit Poesie anderer schwarzer Zeitgenossen durchziehen, stilisieren nur zu einem Teil jene L'art-pour-l'art-Geilheit und kippen dann immer wieder in eine sehr harte, unromantische Verlorenheit. Bitter und einsam erinnern sie an Hughes »deferred dream«, den aufgeschobenen, weil unerreichbaren Traum. Jenen Traum, den erst Jahrzehnte später Martin Luther King wenigstens zu artikulieren wagte. Und immer dann, wenn Hughes Verse über jenen samtenen, üppigen Kunstbildern einklagen, daß man tragisch ausweglos in der falschen Zeit zu leben gezwungen ist, verliert der Film jegliche Sentimentalität: Es kann eben doch nicht gänzlich gelingen, alleine aus dem »Geworfensein« eine neue eigene Identität zwischen den Klassen, Rassen und herrschenden sexuellen Zwängen zu entwickeln.
Jenseits kopfbestimmter Moralmuster
Looking for Langston ist auch ein Film für Spanner. Er bedient sein Publikum über voyeuristische, wollüstig-langsame Kamerabewegungen mit viel nackter schwarzer Haut. Er provoziert jene Klischees schwarzer, sinnlicher Sexualität und überlegener Körperlichkeit — und mit diesem Klischee eine radikale Auseinandersetzung um Sexismus und Rassismus. Es ist eine erotische Position jenseits jener oberflächlichen, intellektuellen, kopfbestimmten Moralmuster. Wie geil darf ein schwuler Schwarzer dargestellt werden, ohne daß er zum animalischen Bettneger der weißen Kleinbürger wird? Und: Wen juckt so eine Frage überhaupt?
Wer darauf eine moralisch eindeutige, »hilfreiche« Antwort erwartet, wird von Isaac Julien bewußt enttäuscht, ebenso wie all jene, die eine triefende Mitleid- und Protestarie über Mehrfachdiskriminierte oder einen literaturwissenschaftlichen Lehrfilm erwarten. Looking for Langston ist eine verschwimmende Montage aus Versen, Spielszenen, Dokumentarmaterial, die sich keinerlei journalistischer oder wissenschaftlicher Logik bedient. Eine atmosphärische Nachdichtung für und über Langston Hughes — die man auch nicht ins Deutsche übersetzen kann. Die Berliner Edition Salzgeber, seit Jahren spezialisiert auf solcherlei Miniaturen fernab ausgetretener Pfade, schickt den Film deshalb glücklicherweise unsynchronisiert und ohne Untertitel in die Kinos. Wer sich dennoch nicht gänzlich von Off- Sprache und Bildern mitreißen lassen will, erhält ein Programmheft zum Nachlesen der Texte. Eigentlich eine unnötige Prozedur. Looking for Langston ist ein Blues aus dem Unterleib, der nicht bilden will...
Ach ja, wer's zum besseren Verständnis unbedingt braucht: Isaac Julien gehört in die folgenden Schubladen: »Julien, Isaac: britischer Filmemacher, Schwarzer...« Thomas Kuppinger
Der Film startet am 28.10. im Quartier und am 29.10. im Ostberliner Babylon. An beiden Abenden ist der Regisseur anwesend. Danach läuft der Film bis zum 14.11. in der Filmbühne am Steinplatz, jeweils zusammen mit dem 18minütigen Vorfilm Flames of Passion von Richard Kwietniowski (GB 1989).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen