piwik no script img

Stimme meiner Generation

Wie geht positives Denken? Mein Weg zum Glück

Stimme meiner Generation: Die Menschen finden Aron viel zu negativ. Er will das Positive finden und besucht ein professionelles Mindset-Coaching.

Foto: privat

Von Aron Boks

taz FUTURZWEI, 19.05.22 | Vor Kurzem habe ich in einem Text davon erzählt, wie ich im U-Bahnhof überfallen wurde und mir keiner geholfen hatte; wie ich versucht habe, diese Krise als Chance zu sehen und gescheitert bin. Am Ende wollten alle nur mein Geld.

Ich hatte geglaubt, dass ich gerade durch diese Transparenz die Leute bewegen und abholen würde. Doch weit gefehlt. Auf Instagram erreichen mich kaum Likes, stattdessen nur Nachrichten genervter Freund:innen.

So schreibt mir etwa Jerome: „Aron, die Menschen lesen den ganzen Tag Nachrichten über die Pandemie und den Krieg in der Ukraine, da will niemand noch zusätzlich mit deinen Wehwechen belastet werden.“ Ich wurde überfallen! denke ich und bemühe mich um Contenance. „Aber worüber soll ich denn bitte sonst sprechen, wenn ich gerade ausgeraubt wurde?“, frage ich. „Na, über etwas Positives!“, sagt er.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Die Glücksformel

Authentisch funktioniert das nur, wenn man es wirklich schafft, dieses Positive immer wieder aus der uns umgebenden Negativität herauszukristallisieren. Da mir dafür jedoch ganz offenbar das Know How fehlt, wende ich mich an den Physiker und Wissenschaftsjournalisten Stefan Klein. Er hat vor zwanzig Jahren einen Bestseller mit dem Titel „Die Glücksformel“ geschrieben. Ich gehe also davon aus, dass er mir weiterhelfen kann. Denn bisher habe ich aus den meisten Ratgebern zum Thema vor allem zwei Dinge gelernt:

1. Negative Gedanken sind die Ursachen der meisten Probleme.

2. Um dein Leben zu verändern, musst du zuallererst deine Gedanken verändern.

Aber eigentlich weiß ich das alles schon, seitdem ich als kleines Kind den Film „Findet Nemo” gesehen habe. In einer Szene hebt nämlich eine Selbsthilfegruppe vegetarisch lebender Haie ihre Flossen und sagt: „Ich bin ein lieber Hai und keine hirnlose Fressmaschine. Wenn ich etwas an meinem schlechten Image ändern will, muss ich mich zuerst selber ändern.” Und trotzdem dreht einer dieser Haie total durch und versucht Nemos Vater zu fressen. Gelungenes Umdenken sieht anders aus.

Wie die guten Gefühle entstehen

„Herr Klein, wie schaffe ich es, das Positive im Negativen zu sehen?”, frage ich ihn also über das Kontaktformular seiner Website.

Ein paar Stunden später schickt er mir eine Sprachnachricht. „Herr Boks, das ist die Königsfrage. Ich fürchte, dass ich Ihnen die unmöglich in ein paar Sätzen beantworten kann“, sagt er. Na toll.

„In meinem Buch erfahren Sie vor allem, wie die guten Gefühle in uns entstehen und wie sie positive Emotionen besser wahrnehmen können. Darum geht es doch – weniger darum, welche Lebensumstände uns glücklich machen.“

Zugegeben – ich habe sein Werk nur überflogen. Kleins „Glücksformel“ ist mit 350 Seiten ziemlich lang und am Ende wird statt einer klaren Antwort nur verkündet: „Jeder wird seine eigenen Antworten auf diese Frage entdecken. Es gibt sieben Milliarden Menschen, und sieben Milliarden Wege zum Glück.“

Es gibt aber auch Experten wie den Mindset-Coach Armin, die das ein bisschen anders sehen. Noch am selben Nachmittag bietet er mir ein Webinar an.

Umgehend trete ich bei. „Schön, dass du da bist”, sagt er und lächelt mich an. „Hier wirst du lernen, wie du deine negativen Gedanken loswirst und dich sofort besser fühlst.”

Transformiere deine Gedanken!

Armin trägt Glatze und schwarzen Cardigan und sitzt vor dem Leinwandfoto einer Hängebrücke, deren Enden im Nebel verschwinden. Er erklärt mir und 42 weiteren Zuschauer:innen bereits seit 30 Minuten, wie wir unser „Leben transformieren” und endlich anfangen können, positiver zu denken. Kostenlos. Darüber hinaus würde er uns ganz am Ende der Sitzung seine wichtigste Lebenslektion verraten.

„Wie gehe ich mit negativen Gedanken und echten Problemen um?”, fragt Armin, nachdem er bisher hauptsächlich davon sprach, wie mies sein Leben vor seiner Gedankentransformation war. „Du kannst es für dich selbst herausfinden. Oder ich kann dir dabei helfen”, sagt er mit inzwischen weit geöffneten Augen und wird mit jedem Wort ein bisschen bestimmter. „Ich kann dir mein komplettes System beibringen, damit du deine negativen Gedanken transformierst und dadurch auch dein Leben transformierst.”

Genau, was ich brauche. Ideal.

Nur leider würde die Zeit dafür jetzt nicht mehr ausreichen, sagt Armin und lächelt erneut. „Bevor wir zum Ende kommen frag ich dich: Wieviel bist du bereit, in dich zu investieren?“ Sein Geheimnis würde er in seinem Pro-Kurs lüften, der aber mehr als die Hälfte meiner Monatsmiete kostet. Das kann ich mir nicht leisten.

„Trotzdem möchte ich dir jetzt noch, wie versprochen, die Lektion verraten, die mir persönlich am meisten geholfen hat“, sagt er, macht eine Pause und flüstert schließlich „Du musst an dich glauben.“

Schuld ist der Kapitalismus

Ich verlasse sofort das Webinar und schreibe eine wütende Mail an Stefan Klein, in der ich von Armins Abzockercoaching erzähle.

„Ich halte nicht viel von autoritären Konzepten wie Ratgebern“, antwortet er. „Das, was als schnelle Hilfe bezeichnet wird, ist keine. Menschen müssen lernen, sich selbst und ihre Umwelt besser zu verstehen. Das ist wichtig und erfordert ein langes Training … das geht nicht über Nacht.“

Heute bleibt mir wohl nur eins übrig: Ich werde Jerome anrufen und ihm erzählen, was für ein armer Hund ich bin, der ständig auf geldgierige Schurken stößt – egal ob beim Überfall im U-Bahnhof oder beim Webinar in Armins Achtsamkeitsbude. Und Jerome wird hoffentlich sehen, wie sehr ich mich angestrengt habe und als ein guter Freund nicht mir, sondern dem Kapitalismus die Schuld an meinem Leid geben. Dann werde ich etwas wie „Scheiß Schweinesystem“ sagen und mich mit ihm zum Biertrinken verabreden. Langfristig wird uns das nicht weiterbringen. Aber für einen kurzen Moment werden wir uns besser fühlen. Da bin ich mir sicher.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.