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Archiv-Artikel

Wie gegen linke Buchhändler verfahren wird Scene mit Schnittstelle

One Manifest a day keeps reality away

von Helmut Höge

Eine „Schnittstelle“ zwischen schwarzem Block und linker Scene – das sollen angeblich die Berliner (Buch-)läden Schwarze Risse, oh21, M99 und Red Stuff sein. Sie wurden mehrmals polizeilich durchsucht, weil sie unter anderem das vor 23 Jahren gegründete Autonomen-Info interim anbieten. Darin werden immer mal wieder Aktionen gegen Luxusautos, verhasste Vermieter usw. geschildert und Strategiepapiere, etwa wie man „touristenfreie Zonen“ schaffen könnte, abgedruckt.

Nach Meinung der Staatsanwaltschaft sind diese Berichte und Ideen junger Autonomer „Anleitungen zu Straftaten“, was nach Paragraf 130a StGB streng verboten ist. Weil man an die anonymen Herausgeber nicht herankommt, hat sich die Justiz an die Buchhändler gehalten – der Prozess gegen einen von ihnen begann am Freitag.

Dagegen hatten sich die betroffenen Buchläden zuvor mit einem Teach-In und einer Pressekonferenz gewehrt. Unter anderem wurde dort ausgeführt, dass die Justizbehörde mit dieser Anklage nunmehr vom Schuld- zum Feind-Strafrecht übergegangen sei. Und dass in den Broschüren der Bundeswehr noch ganz andere Gewalttätigkeiten verherrlicht werden.

Der erste Prozesstag offenbarte dann, dass bei Gesinnungsanklagen das Gerichtsritual sofort ins Leere läuft, zumal wenn die verhandelnde Personnage nicht mit Feuereifer dabei ist, sondern eher gelangweiltes „Business as usual“ praktiziert. Es traten zwei Zeugen auf: eine Durchsuchungspolizistin und ein Staatssicherheitsbeamter. Mit ihrer Hilfe wollte der Richter die linke Gewaltbereitschaft der Buchhändler aus ihrer dünnluftigen Gedankenwelt quasi als Tatbestand verdinglichen: Erstere sollte bezeugen, dass die von ihr beschlagnahmten interim-Ausgaben in einem Ladenbereich auslagen, der „den Kunden zugänglich“ war. Was nur unvollständig gelang.

Spezialisten vor Gericht

Letzterer, der sich als langjähriger Spezialist für „alle möglichen linken Phänomene“ bezeichnete, weil er seit 2001 vor allem Zeitungen „auswertet“, sollte die linken Buchläden ideologisch einordnen. Das klang wie folgt: „Die linke Scene ist ungeheuer vielfältig, ihr Grundthema ist der Antikapitalismus.“

Auf die Bitte der zwei Verteidiger des angeklagten Buchhändlers zu erläutern, „von wo bis wo die linke Scene“ denn gehe seiner Meinung nach, erklärte der Zeuge: zum Beispiel würden „nicht alle in der Partei Die Linke“ dazugehören. Nachdem dergestalt von staatlicher Seite aus Klarheit über die „Scene“ und ihre „Schnittstellen“ hergestellt worden war, musste das Gericht diese schwere Kost erst einmal verdauen – es vertagte sich auf den 8. März und zog sich hinter die Eichenholzpaneele zurück.

Die Verteidigung hatte zuvor noch die Anklage als „mit zu heißer Nadel gestrickt“ abgetan. Aber diese Anwaltsphrase hinterließ natürlich beim Gericht keinen bleibenden Eindruck, zumal die Staatsanwaltschaft einige Jahre lang darüber nachgedacht hatte, wie man das Autonomeninfo interim ein für alle Mal aus der „linken Gegenöffentlichkeit“ verbannen könne.

Der Zweck heiligt hierbei das Mittel. Denn es geht darum zu verhindern, dass sich zum Beispiel das „Abfackeln von Luxusautos“ zu einem Breitensport entwickelt. Und dies auch noch ausgerechnet in der Bundeshauptstadt, die nicht nur mit geringem Taschengeld ausgestattete junge Spanierinnen als Touristen anziehen möchte, sondern vor allem reiche Fettsäcke mit dicken Schlitten. Bisher ist das nur unzureichend gelungen.

Neue Repression

Die politisch, juristisch und polizeilich für Ruhe und Ordnung in dieser Stadt Verantwortlichen gehen – wohl nicht ganz zu Unrecht – davon aus, dass dies vor allem an den noch allzu vielen gewaltbereiten Jugendlichen mit und ohne Mutationshintergrund liegt, die in der hiesigen „Scene“ günstigen Unterschlupf und gewissenlose Kommunikationsorgane vorfinden. Auf der Pressekonferenz der Buchläden sagte es einer der Redner so: „Man will mit dem Prozess ein neues Kapitel an Repression aufschlagen. Es wird sich zeigen, was dabei herauskommt.“

Wenn das eine Drohung war, dann müssen wir uns nun fragen, ob diese „linke Scene“ zu solch einer rhetorischen Figur überhaupt noch berechtigt ist. So fand kürzlich eine Diskussionsveranstaltung über das poetische Manifest „Der Kommende Aufstand“ der Gruppe Tiqqun statt – aber kein Schwein interessierte sich hier dafür, dass derweil in Kairo der wirkliche Aufstand beinahe zu einem „Gehenden“ geworden wäre.