: Wie ein Junkie an die Weser kommt
■ Therapie - Rückfall - Kündigung von Job und Wohnung: Ein Kreislauf.
Walter F. (Name von der Redaktion geändert) kommt, mit Handtuch und den Wohnungsanzeigen der laufenden Woche in der Tasche, in die Redaktion: „Seit vier Wochen schlafe ich jetzt am Weserdeich. Der Job ist weg, meine Freundin hat mich rausgesetzt - und das alles nur, weil ich rückfällig geworden bin.“ Er wisse nicht mehr weiter. Schon zweimal sei er in dieser Zeit nachts wach geworden und habe gedacht: „Jetzt besorgst du dir 100 Tabletten und machst Schluß...“ 20 seiner jetzt 35 Lebensjahre sei er abhängig von Drogen gewesen, aber an Selbstmord habe er zuvor noch nie gedacht.
Erst Ende 1989 hatte Walter F. seine zweite Langzeittherapie „erfolgreich durchlaufen“. Von Hohehorst aus hatte er sich schon vor Ablauf der Therapie bei der „Bremer Hilfe zur Selbsthilfe“ um Arbeit bemüht. Nach einer testenden Vorstufe auf Honorarbasis (für 8 DM Prämie pro Tag) war er dann ins Küchenteam des „Lidice-Hauses“ aufgenommen worden: vermittelt von der Bremer Hilfe, bezahlt von der Werkstatt Bremen, finanziert über § 19 BSHG, der Sozialhilfeempfänger auf Umwegen zu normalen ArbeitnehmerInnen macht - wenn sie ein Jahr Arbeiten vertragsgemäß durchstehen. Walter F. stand das Jahr nicht durch. Mit Datum vom 6.7.90 erhielt er rückwirkend die fristlose Kündigung, „wegen vetragswidrigen Verhaltens.“
Angst vor noch schwebenden Gerichtsverfahren, unsichere Beziehungs- und damit einhergehende Wohnsituation (Walter F: „Meine Freundin ist eine ganz normale Frau, die mit Drogen noch nie was zu tun hatte und das alles nicht aushielt“) er merkte: „Ich kam ins Wanken.“
Walter F. versuchte, so zumindest schildert er selbst die vergangenen Wochen, Hilfe von Therapeuten, Beratungsstellen und vor
allem: „einen sicheren Rahmen“ zum Wohnen in einer der betreuten WG's zu bekommen. Doch gerade von den Ex-Junkies in den „Aufnahmegremien“ hätte er immer wieder zu hören bekommen: „Du bist doch der F. Du bist seit 20 Jahren drauf. Dir wird gar nix geglaubt. Du mußt erstmal zeigen, was du willst.“ In eine „Warteposition“ in einer WG konnte er letztlich einziehen - räumte aber wenig später wieder das Feld, als ein Mitbewohner Heroin mitbrachte. Als zusätzlich im Lidice-Haus Gift kursierte, habe er die Fassung verloren und sei „rückfällig geworden.“ Krankmeldung, Entgiftung und Versuche, in das ambulante Therapieprogramm „step“ der Drogenhilfe zu kommen, folgten.
Werkstatt Bremen und Bremer Hilfe hätten ihm Hilfe zugesagt,
hätten versprochen, den Job zu erhalten. „Aber als ich aus der Entgiftung kam, kam auch die Kündigung“, Walter F. ist fassungslos. Ohne den Job erscheint ihm die Lage noch aussichtsloser: Auf dem Wohnungsmarkt läuft eh nichts mehr, seit November steht er auf der Gewoba-Liste. Das Sozialamt gebe noch nicht mal mehr Hotelscheine aus („Die haben gar nix“). „Draufbleiben krieg ich aber noch weniger hin“, seit 5. Juli wird Walter F. jetzt mit Methadon substituiert.
Die Bremer Hilfe vermittelt ihre Angebote jedoch nur an Drogenabstinente. „Das ist auch eine Schutzfunktion für die anderen, cleanen Leute, die in den Projekten arbeiten“, erklärt deren Mitarbeiter Dieter Adamski das Konzept. „Fakt ist: wir können nicht wegen Drogenabhängigkeit ent
lassen.“
Im Fall Walter F. sei es wie bei anderen Rückfällen auch: Wenn sich arbeitsrechtlich relevante Versäumnisse ergeben (bei unentschuldigtem Zuspätkommen, fehlenden Krankmeldungen), dann werde (nach vorheriger Abmahnung) entlassen. Prinzipiell rechne natürlich auch seine Einrichtung mit Rückfällen (Adamski: „Daraus können auch produktive Einsichten erwachsen“), aber: „Es gibt auch professionell nicht lösbares Fixerelend.“ Aber auch von einem Junkie sei „ein kleines Stück Lebensplanung“ zu erwarten. Wenn es im Angebotsbereich der Bremer Hilfe weitergehen solle, dann „müssen wir uns auf gemeinsame Ziele einigen“, betont der Sozialarbeiter, und das sei: Leben ohne Suchtmittel und deren Ersatzdrogen.
ra
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen