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Wie die Waldorfschule Vertrauen lehrtSie wollten Fügsamkeit

In der Waldorfwelt scheint alles Sinn zu ergeben. Unsere Kolumnistin schildert, wie sie Indoktrination erlebte und warum sie sich oft isoliert fühlte.

In der Walddorfwelt ging es eigentlich um blindes Vertrauen Foto: Pond5/imago

I n meiner Waldorfwelt vertrauten gute Kinder den Erwachsenen, sie waren tüchtig, lebensfroh, sprachen deutlich und bewegten sich sicher. Ich habe mich als Kind bemüht, diesem Ideal zu entsprechen. Verzagtheit, Besorgtheit, Undankbarkeit oder Misstrauen waren ungern gesehen. Vertrauen und Mut wurden gefordert, nicht gefördert.

Ich musste beispielsweise alleine zur Heileurythmie. Wann, warum und wie lange durfte ich nicht wissen – ich musste vertrauen. Auch Eltern sollten zuversichtlich sein: Dass ihre Kinder Krankheiten gut überstehen oder sich die Lesekompetenz von alleine einstellen wird, wenn das Kind so weit ist. Es ging eigentlich um blindes Vertrauen. Oder eher Fügsamkeit. Wer es nicht schaffte, „gut in der Gemeinschaft anzukommen“, wurde abgewertet und ausgegrenzt. Generell wurde Machtmissbrauch dadurch begünstigt.

Der Waldorflehrplan stellt die Grundschulzeit unter das Motto „Die Welt ist schön“ oder „Die Welt ist gut“. Es war wie ein Versprechen an uns Kinder, während die Erwachsenen einen tiefen Kulturpessimismus pflegten.

Sie hatten zwar keine Angst vor Masern, aber existenzielle Angst davor, dass wir Sesamstraße schauten. Grimms Märchen im Original, mit all ihren Grausamkeiten, waren wiederum gut. Erwachsene hatten keine Angst vor verpassten Schulabschlüssen, aber große Sorge vor dem Einfluss von Bravo und Popmusik.

Irrationale Ängste

Dem Vertrauen in die Waldorfwelt stand die Angst vor der profanen Außenwelt gegenüber. Und zwar in einem Ausmaß, das frei von jeglicher Rationalität war und zu hoher sozialer Kontrolle führte.

Mit viel Aufwand wurden wir von Regelschulen und normalen Angeboten für Kinder und Jugendliche ferngehalten. „Die Welt ist gut“ meinte wohl am Ende doch nur die Waldorfgemeinschaft.

Nur so wie wir dachten und handelten war es richtig. Das gab ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit. Ich habe unbewusst die Waldorf-Ideale und hunderte Lebensregeln verinnerlicht. Ich habe mich geschämt, wenn ich etwas toll fand, nachdem es mich nicht hätte verlangen sollen.

Ich habe mich gegen vieles, was Freude machen, abgegrenzt (Popkultur, Mode, Teeniekram) und bekam ohne meine Integrität als Waldorfkind zu verraten keinen Zugang dazu. Mir fehlen bis heute bestimmte Anknüpfungspunkte, die andere Menschen meiner Generation verbinden.

Ein leises Heimweh

Nach der Schulzeit war ich latent einsam. Irgendwie lost. Es gibt eine gewisse Arroganz, die einem als Wal­dorf­schü­le­r*in gegen Abwertungen von außen helfen kann, aber sie steht einem auch im Weg. Meine Welt wurde grauer. Ich war, ohne es zu merken, weltfremd geworden – unserer diversen Gesellschaft entfremdet.

In der Sektenforschung spricht man von „physically out, but mentally in“. Ich hatte die Waldorfgemeinschaft zwar körperlich verlassen, aber mental und emotional bin ich erst in den letzten Jahren ausgestiegen. Bis dahin gab es in mir immer ein leises Heimweh nach der „schönen Welt“.

Ich bin in einer sehr widersprüchlichen, esoterischen Welt aufgewachsen, die nur Sinn macht, wenn man von innen nach außen schaut. Auch wenn mir das lange nicht bewusst war. Sich aus dieser Indoktrination herauszuarbeiten, sich der Vielfalt der Welt und der eigenen Gefühle zu stellen ist holprig, mühsam und teils verwirrend – aber so, so befreiend.

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7 Kommentare

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  • Prinzipiell ist ein funktionierender Gegenentwurf zum konventionellen , stark leistungsorientierten Schulkonzept ja erstmal was Tolles! Es gibt Waldorfschulen, an denen weniger oder garnicht dogmatisch und Steiner-hörig gearbeitet wird. Ja, die Erfahrungen der Autorin lesen sich unerfreulich, wie der Erlebnisbericht einer Sektenaussteigerin - aber sie sind individuell, nicht verallgemeinbar. Meine drei längst erwachsenen Kinder haben die Waldorfschule bis zum Abitur besucht. Sie benötigen keine lebenslängliche Befreiung von Zwängen oder Machtmissbrauch, sie sind erfolgreich in ihren Berufen und werden von ihrem Umfeld als starke, selbst-bewusste und emotional gesunde Individuen mit einem freien, neugierigen Geist und ausgeprägter sozialer Kompetenz geschätzt.

  • Liebe Frau Lea,



    ich weiß nicht, wie alt sie sind, und wann sie ein Waldorfkind waren, aber könnte es nicht sein, dass sich dort etwas geändert hat? Ich erlebe die Waldorfschule nicht so pedantisch, dogmatisch, wie sie das hier beschreiben. Ihr Artikel ist mir viel zu verallgemeinernd. Ich habe als "nicht Waldorfkind" eine horromäßige Schulzeit erlebt, mit Mobbing, Gewalt und Diskriminierung. Sind daher alle Regelschulen oder Gymnasien schlecht? Ihren Artikeln nach zu urteilen, entsteht mir hier eher ein Bild der persönlichen Abrechnung, als eine seriöse Beschreibung. Man kann immer kritisieren, aber was ist besser? Jeder macht seine Erfahrungen als Schüler und viele machen schlechte Erfahrungen. In Waldorfschulen, Regelschulen, auf Gymnasien, in Berufsschule ... Überall. Aber Waldorfschulen mit Sekten zu vergleichen und sich als Aussteiger zu betiteln geht mir zu weit. Was sind dann Regelschulen? Wo war ich dann während meiner Schulzeit? Im Guantanamo Berlin-Neukölln? Ja, vielleicht haben sie Recht. Vielleicht hat man ihnen als Kind zu oft gesagt, dass die Welt gut ist, wie grausam.



    Mir hat man das Gegenteil gezeigt und das war bestimmt nicht besser!

  • Ich kenne hunderte sehr «normaler», voll an der heutigen Welt teilnehmenden Menschen, die früher an der Waldorfschule waren. Klingt nicht schön, wie die Autorin ihre Schulzeit erlebt hat, aber ihre heutigen Gefühlslagen so singulär auf ihre Schule zurückzuführen, erscheint mir absurd und fragwürdig.

  • Ja das habe ich als ehemalige Waldorfschülerin genauso erlebt. Entweder löst man sich und reflektiert über die Indoktrination oder man vermisst die heile Welt

  • Frau Lea, Sie wurden durch Ihre Schulzeit in gewissem Maße traumatisiert. Sie haben uns 17 Folgen daran teilhaben lassen, wie Sie persönlich Dinge aufgenommen haben und in welcher Form Pädagogen in Ihrem Umfeld fehlerhaft agiert haben. Der Fehlschluss liegt darin, diese Gesamtlage komplett an der Waldorfpädagogik festzumachen. Auch wenn Waldorfpädagogik offenbar einen Teil der von Ihnen beschriebenen Fehler und Missverständnisse verstärkt produziert hat, wirkt das Ganze auf mich inzwischen arg angestrengt und zu persönlich. So überschreitet es für mich inzwischen die Grenze einer Kolumne, die zur Meinungsbildung beitragen soll.



    Wie wäre es mal mit berechtigter Kritik an Montessori? Auch ziemlich "unwissenschaftlich". Oder den heutigen Erziehungsfehlern und Indoktrinationen in kirchlichen Schulen. Oder den Folgen des gefühlskalten Leistungsdrucks in staatlichen Grundschulen, unter der zahlreiche Erwachsene nachträglich leiden. Es geht mir nicht um Relativierung, sondern um weitere Aspekte, was man in der Schule Abseiten von Ideologie generell weiter verbessern kann, damit weniger Erwachsene später nicht das Gefühl haben als Kind beschädigt worden zu sein.

  • Es ist immer wieder traurig die Kommentare und „Berichte“ von Frau Lea zu lesen. Was will sie damit erreichen?



    Es gibt viele Kinder die sich in der Waldorf Schule wohl fühlen, es gibt auch nicht „die“ Waldorfschule und es gibt viele sehr wohl aufgeschlossene Eltern die dieser Schule vertrauen.



    Ich empfinde die Veröffentlichung dieser privater Meinungen als nicht angemessen



    Danke

  • Ich bin selbständig seit 35 Jahren. Freiheit ist oberstes Gebot. Meine Söhne waren von 1990 bis ca. 2010 an Waldorfschule und Kindergarten. Sie sind entspannt, weil Sie ohne Druck aufgewachsen und beruflich Ihrem Herz gefolgt sind. Jede Waldorfschule ist ein eigener Verein. Eltern, Lehrer und Schüler kreieren eine gemeinsame Zeit. Ich habe alles "mitgenommen", was mir zeitlich möglich war. Ich habe nun das Glück, da meine 10jährige Tochter seit etwa 7 Jahren eine ähnlich positive Entwicklung nimmt. Chor, Orchester, Verantwortung übernehmen, Anderen helfen, denen es gerade nicht so gut geht... ich könnte an dieser Stelle die Seiten füllen...



    Der Bericht von Frau Lea macht mich traurig, schade dass Du so schlechte Erfahrungen gemacht hast.