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■ Wie die Juden beim Holocaust beinahe mitgemacht hättenDohnanyi tanzt Walser

Das Erlösungsbedürfnis der Deutschen ist ungeheuer. Rasend sind sie auf der Suche nach einem, den sie als Messias feiern können, weil er ihnen Absolution verspricht, Befreiung von der Anstrengung, den eigenen Kopf zu gebrauchen. Deshalb sind die Deutschen in diesem Herbst ganz vernarrt in Martin Walser – der Mann erzählt ihnen, was sie hören wollen. Die Erinnerung an die Verbrechen der Deutschen sei jedermanns Privatsache, verkündigt Walser, und dieser simple Griff in die katholische Kniffkiste kommt gut an bei Leuten, die sich nach Entinnerung sehnen und die nicht begreifen wollen, daß die Vergangenheit sie desto heftiger einholt, je aggressiver sie diese Vergangenheit abzustreifen versuchen.

Richtig böse aber werden die Deutschen, wenn man sie beim Erlöstwerden stört. Schön hatte Walser alles eingetütet und auch die Zonis mit ins deutsche Boot genommen, indem er die Freilassung eines früheren DDR-Spions forderte; weil der Wiedervereinigungstrompeter an sie gedacht hatte, waren die Zonis zufrieden und applaudierten gerührt. Allein Ignatz Bubis spielte nicht mit und gab Walser die verbale Schelle, die der rosige Herzog für FAZ-Abonnenten schon lange hätte fangen müssen. Nicht alles, was Bubis zu Walser sagte, war originell – andererseits ist Walsers modriges Verlangen nach „Normalität“ aber auch nicht das, woran man einen Gedanken verschwenden müßte.

Dennoch: „Geistige Brandstiftung“ ist ein zu Tode gejuckelter Vorwurf, der – egal, wer ihn gegen wen erhebt – nur noch abgemeiert klingt, nach Rolf Hochhuth, Gerhard Zwerenz oder Ralph Giordano, bei denen man nur kurz moralische Pingeljagd machen muß, um schon zwei Minuten später ihren alarmierenden Brandbrief zur Rettung der Welt aus dem Faxgerät rattern zu hören. (Ralph Giordano allerdings, das muß man ihm lassen, hat sich in letzter Zeit stark verbessert und tingelt, wie man hört, als Radovan-Karadžić-Frisurdouble durch schlesische Erlebniskneipen.)

Die Weigerung von Ignatz Bubis, den Deutschen angelegentlich Walsers Rede Absolution zu erteilen und ihnen einen Freibrief für seliges Vergessen auszustellen, brachte einen Mann auf den Plan, den man seinerseits gnädig hatte vergessen dürfen: Klaus von Dohnanyi. Den Hamburger Sozialdemokraten drängte es in die FAZ- Bütt, weil er, wie er schrieb, „sein Deutschsein wirklich ernst und aufrichtig versteht“ – als ob man sich ausgerechnet auf „sein Deutschsein“ berufen müsse, um die Nazis abscheulich finden zu können. „Wir Deutsche tragen dieses Kainsmal“, jammerte Dohnanyi noch und meinte damit: Die Deutschen haben unter dem Holocaust am meisten gelitten, weshalb die Deutschen Schonung verdienen bzw., und da zieht er mit Walser am selben Strang, nun endlich ein Recht auf Versöhnung erwirkt haben.

Mit der Versöhnung aber ist das so: Sie kann gewährt werden, verlangt oder eingeklagt werden kann sie nicht. Walser und Dohnany tun das trotzdem, und wenn die Juden nicht weich werden angesichts der ungeheuren deutschen Leiden, die darin bestehen, daß die Deutschen den Juden einfach nicht verzeihen können, daß sie sie umgebracht haben, dann entsichern sie mal kurz das Gesicht. Walser quengelte vom „Mißbrauch“ des Holocaust, als sei er jetzt für „Wildwasser“ unterwegs, und in Dohnanyi-Sprech hört sich das so an: „Allerdings müßten sich natürlich auch die jüdischen Bürger in Deutschland fragen, ob sie sich so sehr viel tapferer als die meisten andere Deutschen verhalten hätten, wenn nach 1933 ,nur‘ die Behinderten, die Homosexuellen oder die Roma in die Vernichtungslager geschleppt worden wären. Ein jeder sollte versuchen, diese Fragen für sich selbst ehrlich zu beantworten.“

Gegen diese evangelische Aufgepumptheit war der Historikerstreit noch eine vergleichsweise geistgebundene Angelegenheit; Ernst Nolte wollte den Holocaust zwecks Entlastung der Deutschen Stalin in die Schuhe schieben, Dohnanyi aber am liebsten den Juden selbst, die, wenn man sie nur gelassen hätte, eigentlich genauso gewesen wären wie ihre Mörder, weswegen sie heute eigentlich auch die Klappe halten könnten, anstatt einem ernsten, aufrichtigen und Fragen für sich selbst ehrlich beantwortenden Deutschen als Projektionsfläche für das miese Gewissen den Tag zu versauen. Bubis, schrieb Dohnanyi, „ist deutscher Staatsbürger, aber er kann niemals – und wer würde das auch von ihm verlangen wollen! – sagen: Wir haben den Holocaust verschuldet.“ Zum großen Bedauern Dohnanyis haben die Juden beim Dritten Reich zwar nicht mitgemacht, könnten sich aber langsam an der Zeche beteiligen.

Als Ignatz Bubis mit Dohnanyis Angebot, ab nun gemeinsam die Verantwortung für die Ermordung der Juden zu tragen, nichts zu tun haben wollte und ihm das öffentlich mitteilte, wurde Dohnanyi abermals aufrichtig – diesmal in der Geschmacksrichtung beleidigte Blutwurst. Und zog, wiederum in der FAZ, andere Saiten auf: „Ich finde, als Vorsitzender des Zentralrates der deutschen Juden könnten Sie mit Ihren nicht-jüdischen Landsleuten etwas behutsamer umgehen; wir sind nämlich alle verletzbar.“ So wird's gemacht: Erst geht der deutsche Hauklotz mit seiner Verletzlichkeit und Sensibilität hausieren, und wenn der Jude davon nicht ergriffen ist, bekommt er ein paar unmißverständliche Ratschläge erteilt.

„Warum lieben die Deutschen Sissy so sehr? Warum mögen sie keine Juden?“ heißt es in einem Lied von Funny van Dannen; ich weiß das nicht und muß das auch nicht wissen. Ich weiß nur, daß den Landsleuten nicht zu trauen ist – vor allem nicht, wenn die Sucht nach Erlösung sie Worte wie „Behutsamkeit“ in den Mund nehmen läßt: Faßt uns mit Samthandschuhen an, drohen die Deutschen, sonst können wir hinterher nichts dafür. Wiglaf Droste

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