Wie der Karikaturenstreit gestern im Bundestag debattiert wurde : Viele Floskeln, eine Utopie
Pressefreiheit ist ein hohes Gut, religiöse Gefühle verdienen Respekt, manche Regime gießen Öl ins Feuer. Gewalt muss verurteilt werden, nicht alle Muslime sind gewalttätig, und es gilt, den Dialog der Kulturen weiterzuführen. Die Aktuelle Stunde des Bundestages zum Karikaturenstreit lieferte eindrucksvolle Beispiele dafür, wie viele Gemeinplätze sich in einer kleinen 5-Minuten-Rede unterbringen lassen. Die Zahl übertraf alle Erwartungen.
Die meisten Parlamentarier taten so, als handele es sich bei dem Konflikt um eine Auseinandersetzung im luftleeren Raum zwischen aufrechten Demokraten und verbrecherischen oder irregeleiteten Fanatikern. Nur eine Minderheit behandelte den Streit als das, was er ist – nämlich als ein außenpolitisches Thema –, und nur ein einziger Redner wagte den bestechend nüchternen Hinweis, dass Hass schließlich erst einmal da sein muss, bevor er instrumentalisiert werden kann: Norman Paech von der Linkspartei.
Der Völkerrechtler, der zum ersten Mal im Bundestag sitzt, sprach über Erkenntnisse, die in ruhigeren Zeiten zum Standardrepertoire vieler Außenpolitiker gehören, von denen aber jüngst kaum je die Rede gewesen ist: dass viele Muslime sich vom Westen gedemütigt fühlen und dass Kriege wie der gegen den Irak, Drohungen gegen den Iran und das Gerede von wünschenswerten Regimewechseln in großen Teilen der islamischen Welt ein Bedrohungsgefühl ausgelöst haben.
Diese Sicht rückt den Karikaturenstreit in die richtige Perspektive: Er wird als Symptom einer Krise betrachtet, nicht als die Krise selbst. Vor diesem Hintergrund sind auch Forderungen nach Schaffung einer atomwaffenfreien Zone und einer Friedenskonferenz im Nahen Osten in diesem Zusammenhang sinnvoll.
Auf Paechs Argumente ging gestern allerdings kein anderer Parlamentarier auch nur ein.
BETTINA GAUS