Wie TV-Köche uns verhöhnen: Kulinarische Kapitalisten
Schwatzhafte TV-Köche bereiten Wachtelhirnsoufflé mit Gebirgsenzian oder Feigen-Chutney zu. Leisten kann sich das kaum einer.
Trend: Dem Koch-TV-Boom zum Trotz beschränken immer mehr Deutsche die Zeit in der Küche auf ein Minimum: Packungen aufreißen. Warum Rouladen rollen, wenn auch etwas anderes den Hunger vertreibt - Tiefkühlkost wird immer beliebter.
Zahlen: 38,7 Kilo Lebensmittel werden die Deutschen in diesem Jahr laut Prognose des Deutschen Instituts für Tiefkühlkost (dti) als Eis löffeln, als Pizza in den Ofen schieben oder als steinhartes Stück Brokkoli aus der Tüte bissweich kochen. Insgesamt wird jeder Bundesbürger im Vergleich zum Vorjahr 600 Gramm mehr Tiefkühlwaren essen.
Zunahmen: Mit sechs Prozent Zuwachs kauften die Verbraucher vor allem mehr Snackprodukte wie Baguettes und Frühlingsrollen, Kartoffelprodukte legten um fünf Prozent zu, Tiefkühlpizzen um zweieinhalb Prozent.
Kochen zum Gucken
ARD-Buffet: ARD, Montag bis Freitag um 12.15 Uhr
Lafer! Lichter! Lecker!: ZDF, samstags um 16.15 Uhr
Lanz kocht!: ZDF, freitags um 23 Uhr
Das perfekte Dinner: VOX, Montag bis Freitag um 19 Uhr
Schuhbecks: BR, sonntags, 16.30 Uhr
Koch-Kunst mit Vincent Klink: SWR, mittwochs um 18.15 Uhr
Servicezeit: Essen & Trinken mit Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer: WDR, freitags um 18.20 Uhr
Polettos Kochschule: NDR, sonntags um 16.30 Uhr
Im deutschen Fernsehen wird tranchiert, filetiert, blanchiert, pochiert, sautiert und rotiert, bis die Gallensteine klimpern. Pro Woche gibt es um die 90 Kochshows. Über 30 Köche laden zum Augenschmaus - vom fränkischen Blondie bis zum englischen Punker - und wenige sind sogar erträglich. Etwa Vincent Klink ("ARD-Buffet"), Alfons Schuhbeck ("Schuhbecks" auf BR) oder das Brutzel-Paar Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer ("Servicezeit: Essen & Trinken" in WDR und SDR).
Am menschlichsten geht es zu bei Vincent Klink und dem Duo Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer. Zumal sie aussehen, als würden sie selber essen, was sie kochen. Sie sind die dienstältesten Köche im deutschen Fernsehen und geben nicht nur brauchbare Tipps - die Gerichte sind sogar bezahlbar.
Beim nuschelnden Rolf Zacherl (der mit dem Ziegenbart) oder der norddeutschen Oberquatsche Reiner Sass (Hauptberuf Versicherungsvertreter) wirds mühsam, aber längst nicht so quälend wie bei Johannes B. Kerner. Der Dampfplauderer schob bis Mitte des Jahres im ZDF jede erdenkliche Peinlichkeit in die Röhre. Jeweils in Tateinheit mit fünf Köchen der gehobenen Art. Inzwischen ist er von Ex-RTL-Moderator Markus Lanz abgelöst worden, dessen Vorteil vor allem darin besteht, dass er kleinere Ohren hat als Kerner und angeblich besser aussieht.
Auch versteht er mehr von der Sache. Als Absolvent der Bayerischen Akademie für Werbung weiß er, wie man Zutaten so verdeckt, dass der Zuschauer den Hersteller trotzdem erkennt. Dass sein Vorzeigekoch Johann Lafer spricht wie ein Rheumadeckenverkäufer, ist mit einem süßen Sancere-Wein gerade noch zu verkraften. Selbst den zwanghaften Pausenclown Horst Lichter (Zwirbelbart mit angeklebtem kleinen Mann) können sich die Zuschauer passabel saufen. Die kredenzten Gerichte aber nicht.
Denn die Rehrückenmedaillons mit Feigen-Chutney oder das Sashimi und Tatar vom Thunfisch mit Kokos-Wasabi-Creme verhöhnen den gemeinen Zuschauer. Im Berliner Kaufhaus des Westens kostet das entsprechende Rehfleisch etwa 80 Euro pro Kilo (in Worten: achtzig). Allerdings in Dreisternequalität. Der frische Sashimi-Thunfisch ist schon für um die 60 Euro pro Kilo zu haben. Das können sich höchstens geschasste Bankvorstände leisten. Über 20 Prozent der Bundesbürger leben unter der Armutsgrenze oder stehen dicht davor. Und nun sollen sie mit ihren 140-160 Euro pro Monat fürs Essen die kulinarischen Protzigkeiten nachkochen. Lanz kann das egal sein. Die Zuschauer, besonders die mit Hartz IV, sollen sich die Rezepte gefälligst auf ihre Bedürfnisse zuschneidern.
Wieso muss es für Leute, die dem Staat auf der Tasche liegen, unbedingt frischer Thunfisch sein? Tuts nicht auch ein Aldi-Hering aus der Dose für 69 Cent? Der braucht auch kein Feigen-Chutney, weil er in öliger Tomatensoße schwimmt. Wer sich den Luxus erlauben kann, nimmt als Beilage eine Scheibe Brot, die er in die rote Pampe tunkt. Am ersten Weihnachtstag aber darf auch das Prekariat in die Vollen gehen: gefrostete Makrelenfilets. Vier Stücklein à 100 Gramm für 2,20 Euro, der Einfachheit halber gebraten. Als Tatar wären sie etwas streng und würden die leicht aufwendige Kokos-Wasabi-Creme erfordern (Kokoscreme, Crème fraîche, Ruccola, Sesamöl, Reisessig, Wasabipaste).
Ansonsten aber alles wie bei Lafer: Packung aus dem Kühlfach nehmen und an der vorgestanzten Stelle langsam von links nach rechts aufreißen. Niemals umgekehrt, das beeinträchtigt den Geschmack der Kartons. Den Fisch einige Stunden auftauen lassen, bis sich typischer Makrelengeruch entwickelt. Mit wenigen Tropfen Essig beträufeln. (Eine Lafer-Zitrone mit unbehandelter Schale kostet 40-60 Cent.) Salzen, pfeffern und sorgfältig in Mehl des Typs 405 wenden. Eine Pfanne punktgenau auf den Herd setzen und feines Rapsöl aus der Biodieselproduktion hineingeben. Warten, bis es noch nicht qualmt. Die Makrelenfilets anheben, vorsichtig zur Pfanne tragen und so hineingleiten lassen, dass sie allseitig von Öl umgeben sind. Von beiden Seiten kurz, aber streng anbraten. Herausnehmen und ins auf 120 Grad vorgewärmte Bratrohr stellen.
Hartz-IV-Empfänger, die nur Herdplatten besitzen, können den Fisch ersatzweise an ihr Fenster stellen und in der heißen Sonne durchgaren lassen. Nun die Designerteller vom Trödelmarkt vorwärmen, auf einen waagerechten Untergrund stellen und die Filets mittig platzieren. Eine Dekoration mit den obligatorischen Basilikum- oder Minzeblättchen muss aus Kostengründen entfallen, kann aber durch die Scheibchen einer Gewürzgurke oder Paprikastreifen aus dem Glas ersetzt werden Als Beilage gibt es Nudeln Bouillie, bereitet in reinem Leitungswasser, raffiniert verfeinert mit Margarine. Kartoffeln wären auch möglich, sind aber für den Hartz-IV-Empfänger als Frischware nicht mehr zu bezahlen. Trotzdem steht dieses vereinfachte Thunfischgericht dem teuren Vorbild in nichts nach. Es kommt nur auf die Betrachtungsweise an: In einer Sozialwohnung wirken Makrelenfilets genauso attraktiv wie der Edelfisch in einem hochgefeinten Restaurant oder einer Grunewald-Villa.
Auch die Rehrückenmedaillons lassen sich preisgünstig nachempfinden. Aufgeschnittenes Würzfleisch aus der Dose ersetzt die Fleischscheiben und Brühe vom Maggi-Würfel den Wildfond für die Soße. Kostspielige Kräuter erübrigen sich. Die Dosenware ist ausreichend übersalzen. Einziger Nachteil: Die aufgezeigten Alternativen entsprechen nicht den Vorstellungen des ehemaligen Gesundheitsministers Horst Seehofer (CSU). Der beklagte, dass 51 Prozent aller Deutschen übergewichtig sind, obwohl er selbst recht massiv ist. Zugleich verlangte Seehofer Aufklärung. Besonders nicht studierte Bundesbürger meiden Obst und Gemüse, mageres Fleisch, frischen Fisch und gesunde Kräuter. Im Prinzip alles, was bei den Lanz-Köchen auf den Teller kommt.
Angeblich ist einseitige und dick machende Ernährung nichts als Bequemlichkeit. Dem Hartz-IV-Empfänger ist es lästig, holländische Wintertomaten für 2,98 pro Kilo auf dem Bio-Markt zu kaufen statt billige Sommerware in der Dose. Er scheut auch den Weg zum Thunfisch ins Fachgeschäft. Fischstäbchen gibt es beim Discounter um die Ecke für 9-15 Cent das Stück, sie sind schneller zubereitet und nicht so glitschig. Die anderen feinen und gesunden Sachen, etwa das mundgepresste Walnussöl oder die mit marokkanischer Volksmusik ausgewachsenen Feigen, gibt es ohnehin nur in der Lanz-Kochshow.
Darum verlässt sich der Hobbykoch ohne Universitätsabschluss lieber auf Probates. Etwa Königsberger Klopse von Kaisers, küchenfertig eingefroren für 74,5 Cent pro Person. Wenn im TV schwatzhafte Köche das Wachtelhirnsoufflé an Lerchenzungensülze auf Spitzen vom Gebirgsenzian bereiten, lehnt er sich vor dem Fernseher zurück, versteht die Welt nicht mehr und greift zu seinem Chateau Margeaux aus der Bierflasche. Er ist damit in bester Gesellschaft. Die Zeitschrift Feinschmecker hat einmal Sterneköche und Restaurantkritiker nach ihren geheimen Gelüsten befragt. Die Antworten reichten von Currywurst über Ölsardinen (direkt aus der Dose) bis hin zu Schweinskopfsülze mit Bratkartoffeln und fetter Remoulade.
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