piwik no script img

Wie Opel früher entstandAbgesang einer Epoche

Heinrich Hausers Reportagebuch über den Opel-Konzern der 1940er Jahre zeichnet ein eindrucksvolles Bild des "Kraftfeld von Rüsselsheim", der Fertigungsprozesse und seiner Arbeiter.

Als Motorenblöcke noch von Hand gefertigt wurden: Eindrücke aus der Fertigungstrasse der 1940er. Bild: archiv wolff& tritschler, offenburg

Als der "Opel-Laubfrosch" 1924 auf den Markt kam, war der grüne Kleinwagen "nach amerikanischen Methoden gefertigt". Noch amerikanischer wurde es 1929, als Fritz und Wilhelm Opel ihr Werk an General Motors verkauften. Dessen Chef Alfred P. Sloans suchte die bekannten Sorgen zu beschwichtigen und meinte, es ginge GM durchaus darum, "die Firma Opel zu allen Zeiten als eine deutsche Einrichtung zu erhalten".

Und er fügte hinzu, "wenn wir nach Ablauf von fünf Jahren über 200 000 Automobile im Jahr fabrizieren, werden wir mehr deutsche Arbeiter beschäftigen, mehr deutsches Material verwenden und größere deutsche Werksanlagen benötigen als je zuvor. Opel wird also berufen sein, eine noch wichtigere Rolle in der deutschen Industrie zu spielen." Tatsächlich macht GM den deutschen Autobauern vor, wie man sich für den Weltmarkt aufstellt: mit Großserien, Festpreisen für Reparatur und vollständiger Lagerhaltung. Opel überlebt das Sterben vieler kleiner Automarken während der Weltwirtschaftskrise und 1936 wurden immerhin 120 000 Wagen im Jahr gebaut.

1940 macht eine große Industriereportage über die Adam Opel AG, dem "größten Automobilwerk von Europa", und dessen "Vor-Industrie" wie die Zulieferindustrie damals hieß, Furore, die in kurzer Folge mehrere Auflagen erlebt. Heinrich Hausers "Im Kraftfeld von Rüsselsheim" war eine buchtechnische Pioniertat. Das lag zunächst aber vor allem an den 80 Farbfotos von Dr. Paul Wolff, die dem Text kongenial zur Seite gestellt waren.

Nur vier Jahre zuvor war der erste Farbfilm für die Kleinbildkamera auf den Markt gekommen. Zwei Jahre später gelang es dem Verlag Knorr und Hirth in München die Farbnegative schon direkt im Buchdruck zu reproduzieren. Für eine Industriereportage schien das Verfahren allerdings noch lange nicht tauglich. Das lag vor allem am Licht. Das

natürliche Licht in den Fabriken reichte für die kurzen Belichtungszeiten der Reportagefotografie nicht aus. Gleichzeitig war der Farbfilm entweder für Tages- oder für Kunstlicht ausgelegt, was bedeutete, dass Paul Wolff ausschließlich mit Kunstlicht arbeiten konnte und damit riesige Lichtbatterien aufbauen musste.

Wolff hatte nach seinem Medizinstudium promoviert und war dann 1914 als Assistenzarzt zum Kriegsdienst eingezogen worden. Nach dem Krieg ließ er sich jedoch als Industriefilmer in Frankfurt am Main nieder, wo er 1926, anlässlich der dortigen internationalen Fotoausstellung, die von Oskar Barnack entwickelte Leica erhielt. Wolff entwickelte sich fortan zu einem international renommierten Spezialisten der Kleinbildfotografie und trug durch seine Zusammenarbeit mit der Firma Leitz in Wetzlar maßgeblich zum Siegeszug der Leica bei.

Heinrich Hauser auf der anderen Seite war als Schriftsteller, Seemann, Weltenbummler, Farmer und Fotograf so etwas wie der deutsche Jack London. Seine ersten Reportagen, die ab 1925 in der Frankfurter Zeitung erschienen, begeisterten das kulturelle Weimar. 1930 allerdings fielen seine Reportagen aus den Ruhrgebiet, die er zusammen mit 127 eigenen Schwarzweißfotografien unter dem Titel "Schwarzes Revier" veröffentlichte, in Ungnade. Zu sehr schien sich der Mann dem aufkommenden Nationalsozialismus angenähert zu haben. Zum Zeitpunkt des Erscheinens von "Im Kraftfeld von Rüsselsheim" hatte Hauser, in seinem schriftstellerischen und filmisch-fotografischen Werk ein exemplarischer

Vertreter der Neuen Sachlichkeit, dem Regime seine Sympathien jedoch schon aufgekündigt und war zwei Jahre zuvor in die USA emigriert.

Zuvor hatte Hauser bei Opel als Testfahrer gearbeitet. Er liebte Motoren und fand, wie Benno Reifenberg, der Feuilletonchef der Frankfurter Zeitung sagte, "in jeder Maschine ihren punctum saliens heraus, die Stelle, die für den erfinderischen Einfall, der die Maschine zeugte, entscheidend gewesen war."

Weswegen Hauser 1928 die Leser der Frankfurter Zeitung mit einer Artikelserie zur "Morphologie der Maschine" beglückte, in der er sie über Bohrmaschinen, Zylinderschleifmaschinen oder Friktionspressen aufklärte. Seiner Technikeuphorie kommt seine Voreingenommenheit für deutsche Wertarbeit gleich, und für die ihr verpflichteten Arbeiten, Ingenieure und Betriebsführer, die er gerne als Helden malt, im Ton manchmal etwa zu volkstümelnd und öfter auch zu pathetisch.

Doch davon abgesehen stimmt seine Recherche, sie stellt den Autobau überzeugend als das Zentrum, oder das Kraftfeld wie Hauser sagt, der deutschen Industrieproduktion heraus. Es lohnt sich noch einmal einen Blick auf das Buch zu werfen, das nun, wo GM in die Insolvenz geht und Opel von Magna übernommen wird, der große Abgesang einer Epoche ist.

"Im Kraftfeld von Rüsselheim", antiquarisch. "Schwarzes Revier" wird anlässlich der Ausstellung RUHR.2010 im Bonner Weidle Verlag neu aufgelegt, der eine Fotoauswahl als Wochenkalender anbietet

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!