Wie Medienverlage die Finanzkrise nutzen: Gelegenheit macht Krise
Zeitschriften und Zeitungen sparen drastisch, Redaktionen werden ausgedünnt, Titel werden eingestellt. Der Markt ist schwierig geworden, heißt es. Dabei ist alles von langer Hand geplant.
Wenn Medienunternehmer über Sparmaßnahmen sprechen, klingen sie wie Jörg Kachelmann.
Bernd Buchholz, der Chef der deutschen Zeitschriften des großen Verlags Gruner+Jahr, in dem etwa der Stern, Neon und die Financial Times Deutschland erscheinen, sagte vor kurzem zum Beispiel: "Wenn Sie als Kapitän auf der Brücke stehen und eine Riesenwelle aufs Schiff zukommen sehen, dann müssen sie den Leuten auf dem Sonnendeck sagen, dass sie ihre Liegestühle und Drinks beiseite stellen müssen." Oder Bodo Hombach, der Geschäftsführer der großen WAZ-Gruppe aus Essen. Er befand im Oktober: "Die See wird rauer."
Wirtschaftskrise als Wetterbericht. Als gäbe es keine handelnden Personen, sondern nur Naturkatastrophen. So verkauft man Einsparungen als Schicksalsentscheidung. Die Medienbranche droht in den Sog der Wirtschaftskrise gezogen zu werden, und jeden Tag gibt es eine neue Meldung, die den Sog bestätigt. Der Sturm ist schuld. Die raue See. Was für eine Chance.
"Dass es im Moment allerlei Befürchtungen gibt, kommt vielen Verlagen durchaus entgegen", sagt Medienwissenschaftler Horst Röper, der Geschäftsführer des Dortmunder Formatt-Instituts, das zur Konzentration in der Medienwirtschaft und zu Strategien der größten deutschen Medienunternehmen forscht. "Jetzt gibt es die öffentliche Akzeptanz für harte Maßnahmen." Also ergreifen die Verlage harte Maßnahmen, mit immer denselben Gründen: Der konjunkturelle Einbruch sorge dafür, dass weniger Werbung geschaltet werde.
Dass tatsächlich weniger Werbung geschaltet werden dürfte, steht dabei außer Frage. Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) etwa erwartet für 2009, dass der Werbemarkt schrumpft, wenn auch nur um 1 bis 2 Prozent, und geht davon aus, dass besonders die Medien schon 2008 davon betroffen sein dürften. Die Einnahmen von Verlagen und Sendern gehen laut ZAW-Analyse 2008 zurück. Andere schrauben sich andere Zahlen zusammen, zum Teil auch erheblich schlimmere. Einen Aufschwung hat bislang tatsächlich niemand entdecken können. Auch der Papierpreis soll steigen, um bis zu 20 Prozent, wie die norwegische Norske Skog, Europas größter Papierhersteller, im November ankündigte.
Dennoch sei die konjunkturelle Situation nicht der einzige Grund für die Sparmaßnahmen, sagt der Ressortleiter eines Verlags, dessen Publikation selbst betroffen sein dürfte. "Es gibt tatsächlich einen Einbruch im Anzeigengeschäft. Aber viele Verlage nutzen die Gelegenheit auch, um all das umzusetzen, was sie ohnehin umsetzen wollen." Die Sparpläne der WAZ sind zum Beispiel mindestens seit Juni bekannt. "Und da war von einer Bankenkrise noch keine Rede", sagt Horst Röper.
Ähnlich ist es bei anderen Verlagen: Gruner+Jahr etwa stellt das Magazin Park Avenue ein und legt die Redaktionen von vier Wirtschaftspublikationen, die bislang auf Hamburg, Köln und München verteilt waren, in Hamburg zusammen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung verfügte ein Sparprogramm für 2009. Und die Süddeutsche Zeitung legte ihre lange geplante Sonntagsausgabe auf Eis und soll darüber hinaus Millionen einsparen, obwohl ihre Auflage tendenziell steigt. Bei einem Verlag stehen Korrespondentenbüros zur Debatte, bei einem anderen werden Honorar- und Reisetöpfe eingedampft und Inhalte vielfach verwertet, bei einem dritten werden Abfindungen geboten, für alle, die freiwillig gehen. Alles wegen der rauen See. Alles muss raus. Jetzt oder nie.
Das Motiv "kaufmännische Vorsicht", das etwa ein FAZ-Sprecher nannte, mag sogar in manchen Fällen zutreffend sein. "Ob die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit für solche Sparmaßnahmen aber wirklich überall vorhanden ist, lässt sich nicht prüfen", sagt Horst Röper. Die WAZ etwa, sagt Röper, "ist in Gänze glänzend aufgestellt und verdient ordentlich Geld", zum Beispiel in Südosteuropa, wo die Gruppe 26 Zeitungen herausgibt. Insgesamt gehören 52 Tages- und Wochenzeitungen und 176 Zeitschriften zu ihr. Als Christian Nienhaus, der zweite Geschäftsführer neben Bodo Hombach, noch im September von der Süddeutschen Zeitung gefragt wurde: "Die fast schon legendäre Kriegskasse der WAZ-Gruppe ist gut gefüllt. Planen Sie Zukäufe?", antwortete Nienhaus: "Natürlich" denke man an Zukäufe. "Aber wir werden das Geld nicht raushauen, nur weil es da ist."
Nicht das Geld. Lieber das Personal.
Denn sparen will die Gruppe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung trotzdem. Man könne nicht das Mutterhaus von den Zeitungen in Südosteuropa subventionieren lassen, heißt es. 30 Millionen Euro sollen in Nordrhein-Westfalen gespart, etwa 300 von 900 Stellen abgebaut werden, was Geschäftsführer Bodo Hombach nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert hat. Der Zeitungsumfang soll geringer werden. Vor allem aber sollen vier Zeitungen - Westfälische Rundschau, Westfalenpost, Neue Rhein/Ruhr Zeitung und Westdeutsche Allgemeine Zeitung - zum Teil zusammengelegt und Lokalredaktionen gestrichen werden, in einer Region, die keinen Überfluss an Zeitungen hat. Statt vier Journalisten solle etwa nur noch einer zu Borussia Dortmund ins Stadion gehen, heißt es. Die "Praxis unnötiger Doppelarbeit" könne man jedenfalls beenden, sagte Hombach dem NDR-Magazin "Zapp". Schlechte Organisation sei nicht mit Pluralität zu verwechseln, das neue Konzept solle "einen besseren Journalismus garantieren". Ob jedoch die Abschaffung von Pluralität mit besserem Journalismus zu verwechseln ist?
Der Preis für das Sparprogramm ist jedenfalls hoch: Was bei der WAZ passiere, sei "der größte Konzentrationsfall, den wir bisher in der deutschen Zeitungsgeschichte hatten", sagt Horst Röper. Und auch die Ereignisse bei Gruner+Jahr deuten darauf hin, dass es sich bei der Medienkrise nicht nur um eine Krise der Bilanzen handelt. Sie könnte sich zu einer Krise der Medienvielfalt und der Qualität auswachsen - auch wenn Verleger sich jederzeit in der Lage sehen, das zu bestreiten. Dass die Financial Times Deutschland von Gruner+Jahr, deren rote Zahlen ebenfalls kein Symptom der Folgen der Bankenkrise sind, von März an von einer Hamburger Wirtschaftszentralredaktion gemacht werden soll, die unter der Gesamtleitung von FTD-Chefredakteur Steffen Klusmann auch für die anderen Gruner+Jahr-Publikationen Capital, Impulse und Börse Online zuständig sein soll, kann ebenfalls in diesem Zusammenhang gesehen werden. 60 Stellen sollen bei den vier Medien wegfallen.
Mit einer ähnlichen Strategie wie nun WAZ und Gruner+Jahr hat der Axel-Springer-Verlag die defizitäre Welt 2002 in einen Redaktionsverbund mit der Berliner Morgenpost zusammengeführt. "Für Einsparungen durch die Bildung von Gemeinschaftsredaktionen war der Springer-Verlag das Vorbild", sagt Horst Röper. Nun aber soll bei Gruner+Jahr eine Großredaktion für eine Tageszeitung, eine Wochen- und zwei Monatspublikationen entstehen. Das ist ein weiterer Schritt in der Geschichte der Synergieeffekte. Bei Springer wurden zwei Tageszeitungen und die Sonntagsausgabe Welt am Sonntag verbunden. Dort ist die Entwicklung mittlerweile vorübergehend abgeschlossen. So erklärt sich, was Springer-Sprecherin Edda Fels meinte, als sie vom Tagesspiegel im Oktober so zitiert wurde: "Wir haben es uns zur Devise gemacht, dass man sich bereits vor dem Sturm wetterfest machen muss und tiefgreifende Kosten reduzierende Restrukturierungen beizeiten vorgenommen."
Ganz nebenbei ist da auch er wieder im Spiel: der Sturm, der an allem schuld ist.
Die Verlage, zeigt dieses Beispiel, lernen jedenfalls voneinander. Vor Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass die WAZ ihr altes WAZ-Modell aufgibt, das Kooperationen in Verwaltung, Produktion, Vertrieb und Anzeigengeschäft erlaubt, aber die Eigenständigkeit der Redaktionen betont. Nun, einige Jahre, nachdem der Springer-Verlag durch die Zusammenlegung von Redaktionen die Welt in die schwarzen Zahlen geführt hat; und einige Monate, nachdem Christian Nienhaus vom Springer-Verlag gekommen ist, um WAZ-Geschäftsführer zu werden, ist das Modell plötzlich veraltet.
Auch der nächste Schritt kommt bestimmt. Das Problem ist nur, dass man mit weniger Geld und deutlich weniger Journalisten keine bessere Qualität bekommt. Das darf als ausgemacht gelten. Und so wehren sich auch Redaktionen gegen den Journalismus der geringen Mittel. Die Ankündigung des G+J-Sparprogramms animierte etwa die Stern-Redaktion zu einer einstimmig verabschiedeten Resolution, in der es heißt: "Kosten-Rasenmäher sind ein Zeichen von hilflosem Management." Die Anteilseigner mögen ihre Gewinnerwartungen überprüfen und "auch einmal niedrigere Renditen hinnehmen". Doch so, wie Journalisten an ihrem Beruf hängen, hängen Verleger an den Traumrenditen, die sie noch weitgehend ohne Kürzungspläne erzielen konnten, als die Welt noch irgendwie besser war. Zu verlieren droht die Vielfalt. Nur wenige Jahre nach der ersten großen Medienkrise 2001 könnte diese neue Krise die Branche so im Kern beschädigen. "2001 ist bei manchem Verlag - das muss man zugestehen - auch Speck weggefallen, den er sich angefuttert hatte", sagt Horst Röper. "Jetzt gibt es keinen Speck mehr."
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