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Wie Britney und Paris marktgerecht sexualisiert wurden

Um die Jahrtausendwende waren Medien wie Kon­su­men­t*in­nen gleichermaßen versessen auf die Sexualisierung und Demütigung von jungen Sängerinnen und Schauspielerinnen. Warum wurde Frauen damals vermittelt, sie müssten sich als sexuell verfügbar geben? Die Journalistin Sophie Gilbert gibt in „Girl vs. Girl“ Antworten

Britney Spears wurde berühmt, als Paparazzi extreme Maßnahmen ergriffen, um sensationelle Fotos zu schießen Foto: Gary Lewis/Camera Press/laif

Von Isabella Caldart

Es gibt zahlreiche Fotos, die beispielhaft für die Y2K-Ära, also die Zeit um die Jahrtausendwende, stehen. Eines ist auf dem Cover des amerikanischen Rolling Stone zu sehen. Es gehört zu den berühmtesten in der Geschichte des Magazins. Auf der im April 1999 veröffentlichten Ausgabe wird ein junger Popstar gezeigt, dessen Debütalbum drei Monate zuvor erschienen ist und international die Charts erklommen hat: Britney Spears.

Die gerade einmal 17-Jährige ist in verführerischer „Lolita“-Pose abgelichtet, mit leicht geöffneten Lippen schaut sie direkt in die Kamera, im Arm ein Teletubby, das offene Oberteil zeigt sie in Unterwäsche. „Inside the Heart, Mind & Bedroom Of a Teen Dream“ wird die Story über Spears großmundig angekündigt.

Britney wurde erwachsen und berühmt in einer Zeit, da Paparazzi extreme Maßnahmen ergriffen, um möglichst sensationelle Fotos zu schießen. Sogenanntes Upskirting, also Frauen unter den Rock zu fotografieren, wurde genauso populär wie weibliche Promis unflätig zu beschimpfen, um eine Reaktion zu provozieren. Im Blitzlichtgewitter standen neben Britney Spears auch Paris Hilton und Lindsay Lohan – und viele andere, oft kaum volljährige weibliche Stars.

Warum waren Medien wie Kon­su­men­t*in­nen gleichermaßen so versessen auf die Sexualisierung und Demütigung von jungen Sängerinnen, Schauspielerinnen und It-Girls? Warum wurde Frauen in dieser Zeit vermittelt, sie müssten sich, wollten sie ein wenig Macht erlangen, als sexuell verfügbar geben? „Ich wollte verstehen, wie eine ganze Generation zu der Überzeugung hatte kommen können, dass Sex unsere Währung war, dass Objektifizierung Empowernment bedeutete und Frauen eine Witzpointe waren“, schreibt die britische Kulturjournalistin Sophie Gilbert in ihrem Buch „Girl vs. Girl“.

Ursprünglich wollte sie primär die 2000er Jahre beleuchten, eine Zeit, in der die 1983 geborene Autorin nicht nur selbst erwachsen wurde, sondern die auch außergewöhnlich misogyn war.

Gilbert merkte aber früh: Um die Zeit um die Jahrtausendwende zu verstehen, muss sie zurück in die 1990er gehen. Sie findet in ihrem Buch eine überraschend eindeutige Antwort auf die Frage, warum Minderjährige und junge Frauen dermaßen sexualisiert wurden. Es war vor allem die Massenverbreitung von Pornografie – erst durch die Popularisierung von VHS-Videos, später dank des Internets –, die sich auf die Bereiche Pop, Film, Theater und Mode auswirkte.

Das führte zugleich zu immer extremeren Darstellungen in den Pornofilmen selbst – wenn sexuelle und pornografische Inhalte in Werbeanzeigen gang und gäbe sind, muss sich die Pornografie etwas Neues ausdenken, um relevant zu bleiben: „Die logische Weiterführung der Objektifizierung ist die Entmenschlichung.“

Gleichzeitig wurden in jener Zeit einmal mehr die Teenager „entdeckt“. Einerseits als Stars, die nach der HIV-Angst der 1980er ein „reineres“, gesünderes Bild vermittelten und die zugleich weniger Agency hatten als etablierte Frauen, und sich leichter ausnutzen ließen. Andererseits besaßen sie Kaufkraft. Jugendliche mussten keine Hypotheken abzahlen und hatten Taschen- und Babysittergeld.

Hand in Hand ging diese Entwicklung mit einer Entpolitisierung ursprünglich feministischer Ideen, wie Gilbert anhand des Slogans „Girl Power“ erzählt. Anfang der 1990er Jahre von der feministischen Band Bikini Kill als dezidiert antipatriarchale Idee entworfen, wurde „Girl Power“ nur wenige Jahre später von den Spice Girls sinnentleert dem Kapitalismus überführt. Für die Spice Girls zählten politische Inhalte wenig. „Girl Power“ sollte zwar auch bei ihnen weibliche Solidarität vermitteln, aber ohne an die Strukturen zu gehen. Im Gegenteil: Dank Deals mit unter anderem Pepsi, Chupa Chups und Hasbro nahmen die Spice Girls mit ihrem kapitalismusfreundlichen Feminismus bis Ende 1997 allein durch Werbung runde eine halbe Milliarde US-Dollar ein.

Sophie Gilbert: „Girl vs. Girl: Wie Popkultur Frauen gegeneinander aufbringt“. Aus dem Englischen von Britta Fietzke. Piper Verlag, München 2025, 336 Seiten, 18 Euro

Neben Musik und Pornografie analysiert Gilbert auch Mode, Teenager-Sexkomödien wie „American Pie“, Reality-TV, Gossip-Blogs und den „Girlboss“-Feminismus der 2010er Jahre, bei dem sich alles um Individualität statt Intersektionalität und kollektive Unterstützung drehte, nach dem Motto: Dem Feminismus ist bereits geholfen, wenn eine Frau an der Spitze eines Unternehmens steht.

„Girl vs. Girl“ ist ein dichtes Buch voller Beispiele aus der Massenkultur sowie Sekundärquellen. Der deutsche Untertitel – „Wie Popkultur Frauen gegeneinander aufbringt“ – ist dabei etwas irreführend. Es geht zwar auch um Machtkämpfe; allerdings wurden diese vermeintlichen Konflikte, wie etwa Britney Spears vs. Christina Aguilera, von den Medien stark befeuert oder waren gänzlich ausgedacht. „Girl vs. Girl“ handelt auch von dem Selbsthass, den Frauen bedingt durch internalisierten Sexismus gegen sich selbst richteten (was der Originaltitel „How Pop Culture Turned a Generation of Women Against Themselves“ abruft).

Gilberts Blick richtet sich auf gesellschaftliche Strukturen, in denen diese Misogynie nicht nur medial übertragen, sondern auch bereitwillig konsumiert wurde. Das Buch der Redakteurin von The Atlantic ist unbedingt lesenswert, weil es auch auf einer weiteren Ebene relevant ist. Popkultur haftet hierzulande immer noch der Makel des Trivialen an. Gilbert beweist, wie wichtig es ist, Popkultur soziologisch zu betrachten, weil sie nicht nur Rückschlüsse auf unsere Gesellschaft zulässt, sondern diese in Wechselwirkung auch stark beeinflusst. Um es mit der Autorin zu sagen: „Popkultur ist eine erstaunlich prophetische und transformative Kraft in Bezug auf den Status von Frauen und anderen historisch marginalisierten Gruppen.“

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