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Widerstand im Herzen der Marktwirtschaft

Kritische Aktionäre sind nicht nur den Vorstandsetagen der Konzerne ein Dorn im Auge  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Für die Herren aus den Vorstandsetagen vor allem der verschachtelten Großkonzerne dieser Republik sind sie die „Sargnägel“ und die „Störenfriede“ par excellance für die immer zahlreich anwesenden Kleinstaktionäre auf den Haupversammlungen (HVs), die eigentlich nur gekommen sind, um ihre „Freßbeutel“ in Ruhe leerfuttern zu können. Die Rede ist von den sogenannten kritischen Aktionären, die sich mit dem Kauf einer (oder einiger) Aktie(n) der Hoechst AG, der Siemens AG, der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) und/oder der BASF etc. Das Recht auf die Einbringung von Oppositionsanträgen auf den HVs und – damit verbunden – auch das Rederecht „erkauft“ haben.

Keine Hauptversammlung ohne „Eddy“: Der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), Eduard „Eddy“ Bernhard, ist der (!) kritische Aktionär der Republik. Der Mann, der im Großraum Osthessen/Nordbayern seit mehr als 25 Jahren als Umweltschützer aktiv ist, hält je eine Aktie von RWE, Hoechst, Siemens, Daimler-Benz, BASF und Asea Brown Boveri (ABB) – und reist als Rentier von einer Hauptversammlung zur nächsten, quer durch die Republik, um den Vorstandsvorsitzenden der Konzerne die Leviten lesen zu können. Kaum haben die Konzerne die Vorankündigungen für ihre HVs verschickt, wird Bernhard aktiv: Der Oppositionsantrag gegen die Entlastung des Vorstandes wird formuliert und an die Konzernleitung verschickt, denn die muß – laut Aktienrecht – fristgerecht vor der HV eingegangene Anträge vervielfältigen und an alle Aktionäre weiterleiten. Und selbstverständlich hat der Antragsteller zur Antragsbegründung auf der HV dann Rederecht. „Da braucht's starke Nerven“, sagt Bernhard, denn in aller Regel habe man gegen den Vorstand und Tausende von Kleinaktionären zu kämpfen.

Bernhard ist ein alter Fuchs: Meist spricht er den Vorstand direkt an, stellt unbequeme Fragen und/oder konfrontiert die Aktionäre mit „ausgesuchten Schweinereien“ der Firma. Der Beifall des Auditoriums nach seinen Redebeiträgen auf den HVs der diversen Konzerne hält sich in engen Grenzen. Oft genug werden die kritischen Aktionäre ausgebuht oder vom Vorstand gegängelt.

Doch auf der letzen HV der Hoechst AG nach der Störfallserie im Frühjahr 1993 war die Stimmung „am kippen“, erinnert sich Bernhard: „Da wurden wir auch von den ,normalen‘ Aktionären mit Beifall unterstützt.“ Aber als es nach dem Sturmgewitter aus den Reihen der Aktionäre am Ende der HV ans Abstimmen ging, wurden die Oppositionsanträge vom Vorstandstisch gefegt und der Vorstand mit Hilger an der Spitze – wie immer – entlastet. Schließlich halten die deutschen Großbanken und das Emirat Kuwait den Löwenanteil der Aktien der Hoechst AG. Der demokratische Grundsatz: „One man, one vote“ gilt auf den HVs nichts. Das Gewicht der Stimmen richtet sich nach dem Gewicht des Aktienpaketes. Und nachdem die verstimmten Kleinaktionäre vom Vorstand ihren kleinen Kosmetikkoffer (Marbert/ Hoechst AG) erhalten hatten, war die gestörte Welt in Höchst wieder in Ordnung.

Frustrieren läßt sich Bernhard davon nicht. Immerhin, sagt er, hätten Hunderte von Journalisten seinen Redebeitrag anschließend gewürdigt. Die Herstellung von „Medienöffentlichkeit für die Dinge hinter den Kulissen der Großkonzerne“ ist denn auch das Hauptanliegen der kritischen Aktionäre. Und sie wollen „Denkanstöße“ vermitteln – „bei den Aktionären und vielleicht auch bei den Politikern“ (Bernhard). HVs sind für Bernhard auch „Informationsquellen“. Und deshalb quält er die Vorstandssprecher oft und gerne mit einem Katalog von Fragen, den er „in einsamen Nächten“ ausgearbeitet hat. Bernhard: „Die winden sich dann wie die Schlangen, doch vor Tausenden von Menschen können die nicht einfach lügen. Da kommt dann so manche News rüber.“

Während sich Eduard „Eddy“ Bernhard als kritischer Aktionär „universell“ engagiert, gehen andere ganz gezielt vor: Lokale Umweltschutzgruppen kaufen über ihre Hausbanken Aktien ihrer „eigenen“ Konzerne vor den Haustüren, um auf einer anstehenden HV – nach einem bestimmten Ereignis – öffentlich Gegenpositionen beziehen zu können. Vor allem Anti- Atom-Initiativen und kritische Beobachter der Chemieindustrie haben inzwischen die Bedeutung von Aktienbesitz (ein)schätzen gelernt. Wie der Teufel das Weihwasser fürchten die Vorständler in den Großkonzernen inzwischen die Kritischen. Und ihre Strategien zur Ausschaltung der Opposition auf den HVs sind different: Die Palette der Reaktionen reicht von der Mobilisierung der „schweigenden Mehrheit“ auf den HVs gegen die kritischen Aktionäre, über rigide Eingriffe in Rederecht und -zeit bis hin zu Gelächter provozierenden spitzen Randbemerkungen des Versammlungsleiters – in der Regel der Vorstandsvorsitzende – zu den oft unprofessionellen Auftritten der Bürgerinitiativler.

Wer sich von den ausgebufften Vorständlern und den meist grantigen Pensionärsaktionären nicht „mobben“ lassen will und/oder einfach keine Zeit hat, die HV seiner liebsten Feindfirma zu besuchen, kann sein Stimmrecht auch übertragen: Der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre e.V. mit Sitz in Köln nimmt gerne die Interessen seiner Mitglieder auf den HVs der Großkonzerne wahr. Ganze Umweltschutz- und Friedensgruppen mit Aktiendepot sind dem Dachverband inzwischen beigetreten – vom Arbeitskreis Teststrecke Oldenburg bis zum Rüstungs-Informationsbüro in Freiburg. Vereinszweck des Dachverbandes ist es laut Satzung (2.1), „den Einfluß solcher Aktionäre oder Anteilseigner anderer Gesellschaftsformen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu stärken, die der Sozialbindung des Eigentums den Vorrang vor eigenen materiellen Interessen einräumen“. Neben der „Sozialbindung“ (Art. 14.2 GG) sind in der Satzung des Dachverbandes die Durchsetzung der „fundamentalen Menschenrechte“ und der Erhalt der „natürlichen Lebensgrundlagen“ als Vereinsziele benannt. „Widerstand im Herzen der Marktwirtschaft“ heißt der „Leitfaden“ für kritische Aktionäre, mit dem der Dachverband seine Mitglieder auf die kommenden Auftritte auf den HVs der Konzerne mental vorbereitet. Und viermal im Jahr bekommen die organisierten Kritischen die Mitgliedszeitschrift Ethik und Aktie ins Haus.

Auch Henry Mathews, Vorstandsvorsitzender des Dachverbandes, leidet nicht an Omnipotenzphantasien. Ziel der Aktionen der Kritischen auf den HVs könne es nur sein, Widerspruch gegen die Konzernpolitik öffentlich zu machen. Doch steter Tropfen höhlt den Stein: „Nicht selten haben Unternehmen unmittelbar nach HV- Aktionen von Kritikern Verbesserungen vorgenommen“, schreibt Mathews im „Leitfaden“. Und ein „Imageschaden“ für die Konzerne sei es allemal, „wenn ihre Umweltsünden, Rüstungsexporte oder Sozialdumpings von den Kritischen auf den HVs öffentlich gemacht werden“.

Eduard „Eddy“ Bernhard jedenfalls, der Mitglied im Dachverband ist und dort für Preussag, RWE, Siemens und VEBA zuständig ist, arbeitet zu Hause in Klein-Ostheim schon an seinem nächsten Oppositionsantrag – für die HV der RWE Anfang Dezember in Essen. Dort werde es – „nach dem Scheitern der sogenannten Energiekonsensgespräche“ – dann wieder „hart zur Sache gehen“, prophezeite Bernhard.

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