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Widerstand, ein Leben lang

■ Nachruf auf eine nicht ganz gewöhnliche Frau / Ein Porträt der „Kläre“ Bloch / von Michael Stone

„Wir trauern um die unbesungene Heldin Klara Bloch. Einst Taxifahrerin am 'Anhalter‘ und 'Romanischen‘, Berlinerin mit Herz und Schnauze, die von Mitmenschlichkeit beseelt ihr Leben mutig einsetzte gegen nazistaatliche Verbrechen, indem sie Juden versteckte und rettete“, heißt es in einer Todesanzeige, die Mitte November in einer Berliner Tageszeitung erschien.

Michael Stone, freier Journalist, hat den Lebensweg von „Kläre“, wie sie von ihren Freunden und Freundinnen genannt wurde, nachgezeichnet. Auch er kannte diese Frau, von der es weiter in der Todesanzeige heißt: „Nach der Befreiung beteiligte sie sich am Aufbau in der dann enttäuschten Hoffnung, daß in Berlin (...) die unheilvollen Kräfte der Vergangenheit nie wieder Einfluß gewinnen würden. Ihr Beispiel bleibt uns in einer Zeit, da Asyl auf neue Art gefährdet ist, mehr denn je Mahnung und Vorbild.“

Wie kommt es, daß soviele Menschen, alte und junge, Männer und Frauen, den Tod der 80jährigen Kläre Bloch als einen persönlichen Verlust empfinden? Natürlich nur jene, die sie gekannt haben, also doch ein verhältnismäßig kleiner Kreis. Denn Kläre war keine Berühmtheit, sie hatte sich nicht als Politikerin oder als Künstlerin noch in irgendeiner anderen Funktion so hervorgetan, daß sie für sich eine Öffentlichkeit hätte beanspruchen können oder haben wollen.

Wir werden uns hier des Tricks bedienen, den die österreichische Erzählerin Ilse Aichinger in ihrer Spiegelgeschichte anwendete, für die sie ja dann auch 1952 den Preis der Gruppe 47 bekam, und die Geschichte dieser etwas ungewöhnlichen Frau von Ende bis Anfang erzählen oder doch so ungefähr.

Sie starb, weil sie nicht mehr leben wollte. „Ich bin doch schon über achtzig“, hatte sie mir klagend am Telefon gesagt, einen Tag bevor sie zum zweiten und letzten Mal ins Krankenhaus gebracht wurde. Man hatte ihr zwei Drittel des Magens wegoperiert und sie dann auf eigenen Wunsch so bald wie möglich wieder nach Hause entlassen. Aber die Schmerzen wollten nicht aufhören, sie konnte keine feste Nahrung zu sich nehmen, sie schrumpfte zusammen und wußte, daß sie ihre alte Vitalität nicht wiedergewinnen würde.

Denn das war eine von Kläres Eigenschaften gewesen: ihre Beweglichkeit, ihr unermüdliches Interesse an allem, was um sie herum und in der Welt geschah. Bis zu ihrer Krankheit war sie eine begeisterte Autofahrerin. Die letzten zwanzig Jahre war sie meistens mit einer nur wenig jüngeren Freundin regelmäßig auf Reisen gegangen. Noch an ihrem 80. Geburtstag, im Februar letzten Jahres, erzählte sie uns allen, verschämt und beglückt zugleich, von ihrer letzten Kreuzfahrt in der Südsee, während der sie ihr letztes Liebesabenteuer erlebte mit einem erheblich jüngeren Mann, einem Schiffssteward, der sie mehr als einmal in ihrer Kabine aufgesucht und danach ihr auch noch geschrieben hatte. Die Postkarte machte die Runde. „Ich alte Frau“, sagte sie nicht ohne Koketterie.

Daß sie die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens wirtschaftlich verhältnismäßig abgesichert verbringen konnte, verdankte sie ihrem Mann, dem Maler und Grafiker Erich Bloch. Der hatte 1955 einen Schlaganfall und war danach auf der rechten Seite gelähmt. Er konnte sich nicht mehr selber an- oder ausziehen. Bis zu seinem Tode, zehn Jahre später, hat sie ihn Tag und Nacht betreut. In einer Nottrauung, mit ihm auf dem Krankenbett, wurden sie ein Ehepaar. So hatte sie nach seinem Tode Anrecht auf 60 Prozent seiner Wiedergutmachungsrente nebst einer kleinen eigenen Rente.

Kennengelernt hatte sie ihn 1931 im Romanischen Cafe. Da war sie 23 Jahre alt und er verheiratet. Das Romanische Cafe wurde ihre Schule fürs Leben und Bloch ihre große Liebe. Die Gelegenheit, das zu beweisen, bekam sie Ende 1943, als er, der Jude, ausgebombt wurde. Daß er überhaupt noch „frei“ herumlaufen konnte, verdankte er der merkwürdig verdrehten Nazi-Ideologie, wonach Juden, die in einer sogenannten Mischehe lebten, Blochs Frau war „arisch“, in einigen Fällen weniger jüdisch waren als andere. Seiner Schwester, die auch mit einem „deutschen“ Architekten verheiratet war, hatte es nichts genutzt. Sie wurde in Auschwitz umgebracht. Blochs Mutter war schon 1941 nach Theresienstadt abtransportiert worden. Seine Frau hatte es aber nicht ausgehalten, die Bombenangriffe, das Odium, mit einem Juden verheiratet zu sein, die ständige Angst vor dem KZ, und hatte ihn und Berlin verlassen.

Bis Kriegsende versteckte in Kläre bei sich in ihrer kleinen Eineinhalb-Zimmer-Wohnung im Horstweg, Charlottenburg, und half auch noch anderen gefährdeten Menschen, darunter zwei jüdischen Frauen, Mutter und Tochter, die sie in einer leerstehenden Wohnung im Nachbarhaus unterbrachte. Sie selbst wurde als Kontoristin in einem Nazibetrieb dienstlich verpflichtet, bis der wegen der Bombenangriffe in die Niederlausitz verlegt wurde. Da erfand sie eine sterbenskranke Mutter, um nicht mitgehen zu müssen. Danach lebten sie und ihr Mann vom Verkauf der letzten Wertsachen, die sie noch hatten. Bei Gefahr mußte er in der Truhe verschwinden, die in der Diele stand. Auf spätere Aufforderungen vom Arbeitsamt, sich zu melden, reagierte sie nicht. Die nahezu dreißig Meldekarten, die man ihr zuschickte, hat sie aufbewahrt.

Wie wird eine Berliner Göre - der Vater hat ein kleines Taxiunternehmen, die Mutter ist eine verbiesterte Frau, die ihre Unzufriedenheit an der Tochter ausläßt - zu einer Widerstandskämpferin? Erst muß sie dem Vater im Geschäft helfen und selber Taxi fahren. Sie ist hübsch und lernt Leute kennen, die ihren Horizont erweitern. Sie heiratet irgendjemanden, um dem kleinbürgerlichen Mief zu Hause zu entkommen. Sie trennt sich sehr bald von dem Mann, läßt sich scheiden und lebt allein. Die Nazis sind ihr von Anfang an zuwider. Sie hat soviel Kraft und Mut, soviel pure Menschlichkeit, daß sie nicht tatenlos zusehen kann, wie Menschen verfolgt und gequält werden. Sie überwindet alle Ängste und tut, was ihr Herz und ihr Gewissen ihr eingibt. Ihr Herz schlägt links bis zum Ende ihrer Tage. Und jetzt schlägt es nicht mehr.

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