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White StripesLiebevolle Zersetzung

Kommentar von René Martens

Mit ihrem Album "Icky Thump" kehren die White Stripes zu ihren Wurzeln zurück - und wollen dem Hörer durchaus auf die Nerven fallen.

Nostalgisch wie zu Hobos Zeiten: Jack und Meg White Bild: Promo

I m vergangenen Jahr kehrte "Seven Nation Army", der Grammy-prämierte Welthit der White Stripes aus dem Jahr 2003, zurück: Nachdem das Gitarrenmotiv des Stücks in gegrölter Form bereits einige Jahre lang die Ultrablöcke diverser europäischer Fußballstadien bereichert hatte, erwies es sich während der WM 2006 als beliebtester Stimmungsverstärker unter den Anhängern der italienischen Nationalmannschaft. Und so profitierten die White Stripes vom Titelgewinn der Squadra Azzurra: Die Single schoss in Italien zum zweiten Mal die Charts hoch.

Ähnliches wird nun auch mit "Icky Thump", dem sechsten Album des Duos, geschehen. Aber man kann davon ausgehen, dass Jack White daheim in der Country-Metropole Nasvhille - dort wohnt er seit einiger Zeit - den Wirbel mit Befremden beobachtet. Der Erfolg irritiert ihn manchmal. Und nicht nur ihn: Seit zehn Jahren tritt der Sänger und Gitarrist mittlerweile mit seiner Schlagzeug spielenden Ex-Frau Meg auf, und es gibt wohl nicht wenige, die der Band einst eine kürzere Lebenszeit prophezeiten. Das Prinzip, liebevoll Traditionsmusik zu zersetzen und aus den Trümmern mit bewusst äußerst begrenzten Mitteln (kein Bass, kein modernes Produktionsequipment) etwas Neues zu schaffen, schien nur für eine überschaubare Zeit tragfähig. Dass es kommerziell erfolgreich sein könnte, schien ohnehin schwer vorstellbar.

"Icky Thump" nun aber beweist wieder einmal, dass es kurzweilig sein kann, die Band dabei zu beobachten, wie sie Ihren minimalistischen, teilweise angenehm stumpfen Garagen-Bluesrock in kleinen Schritten in verschiedene Richtungen entwickelt. Für "Get Behind Me Satan", das Vorgängeralbum von 2005, galt noch: wenig E-Gitarre, viel Piano. Die neue Platte dagegen ist gitarrenlastig, und für Überraschungen sorgen zwei Gastmusiker, die Trompete und Dudelsack mitbrachten. Weiterer Unterschied: Für "Get Behind Me Satan" brauchte man knapp zehn Tage Zeit, dieses Mal dauerten die Aufnahmen drei Wochen. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die White Stripes noch nie so lange im Studio waren.

Deutlich zum Ausdruck kommen die Vorlieben der Band für 70er-Jahre-Heavyrock und Country. Schließlich ist die neue Platte in Nashville aufgenommen worden. "You Dont Know What Love Is (You Just Do As Youre Told") hat das Zeug zum Countryrock-Gassenhauer, falls Countryrock-Lieder heute noch Gassenhauer werden können. Und der Höhepunkt des Platte ist das furiose Arrangement des Songs "Conquest", den die 1927 geborene Country-Sängerin Patti Page in den 50ern halbwegs bekannt gemacht hat. In der White-Stripes-Version duelliert sich Jack White als Metal-Gitarrist mit einem Mariachi-Trompeter, und man darf hoffen, dass sich von der leinwandreifen Atmosphäre des Stücks einige Regisseure zu kühnen Bildern inspirieren lassen.

Jack und Meg hatten viele Ideen, aber nicht alle erweisen sich als gut. Im Titelsong reißt einen Jack White aus einer Led-Zeppelin-Seligkeit heraus, indem er auf dem Keyboard prog-folkige Soli spielt, die, zugegeben, so kurz sind, dass man sich darüber ärgert, sich nicht so richtig ärgern zu können. In der Mitte des Albums hat die Band die verzichtbaren Dudelsack-Stücke platziert: das eine ein hymnenartiges Werk für Freunde der schottischen Ethnie, das andere ein Spoken-Word-Vortrag Meg Whites, begleitet von allerlei kakophonischem Zinnober. Andererseits: Man darf davon ausgehen, dass die White Stripes zu den Bands gehören, die einem hin und wieder durchaus mal auf die Nerven fallen wollen.

Insgesamt ein vielseitiges, teilweise angenehm überproduziertes Album - jedenfalls für White-Stripes-Verhältnisse. Wer Disparates abschreckend findet, wird damit wohl nicht ganz glücklich.

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