: Whiskey und Pelzkragen
■ Tennessee Williams' „Endstation Sehnsucht“ als Ein-Frau-Stück von und mit Cora Chilcott im SchauPlatz
In seiner „Glasmenagerie“ setzte der amerikanische Dramatiker Tennessee Williams die Mittel des epischen Theaters erstmals um in eine wirksame Enthüllungsdramatik. Das war 1944. Drei Jahre später entstand dann „Endstation Sehnsucht“. Die Monologfassung, die die Schauspielerin Cora Chilcott aus diesem Text gemacht hat, ist eine gelungene Reminiszenz an diese Entwicklung des Dramatikers. Aus dem bewegten Handlungsverlauf der „Endstation Sehnsucht“ wird ein psychologisches Spiel der Erinnerung. In dem, was jetzt ein Einpersonenstück ist, können die „gestrichenen“ Figuren aber kraft der Darstellung durchaus noch mitbelebt werden, wie Cora Chilcott zeigt.
Die aristokratische Südstaatlerin Blanche Dubois flieht vor ihrer Umwelt, die sie in ihrer ekstatischen Sensibilität für das eigene lebenslängliche Scheitern verantwortlich machen will. Die Symbole der Keuschheit, der Gewalt werden lebendig, allein in der Art, wie Chilcotts Blanche sich den Schminkspiegel hält oder, genauer gesagt: er sie am Ende. Minutiös herausgearbeitet wurde die Doppelbödigkeit der Figur, bei der die Übergänge von Verletztheit, Schuldzuweisung und Scham bis hin zur besinnungslosen Mitleidsemphase gegenüber den Mitmenschen im fiktiven Dialog eingefangen werden. Ein psychologisch facettenreiches Innenpanorama, das die Schauspielerin subtil ausgestaltet.
Diese Frau hat eine Geschichte, die so voller Selbstlügen und Prätentionen ist, daß sie weiterer Personen, wie es Williams vorgesehen hatte, gar nicht mehr bedarf, um sich auszuhauchen – wie hier beziehungsvoll demonstriert wird. Alles an ihr ist Widerspruch, der eher tiefe Ausschnitt des Kleides beißt sich mit dem Pelzkragen. Ihr Koffer ist schäbig, täuscht Haben vor, wo nur Alkohol transportiert wird. Ein Fehltritt in ihrer Heimatstadt ließ Blanche zu ihrer Schwester flüchten, die sie so mit Vorurteilen bespickt, daß sie nur die eigene witwenhafte Unzulänglichkeit gegenüber der Verheirateten zeigt. Intrigant und plötzlich nüchtern läßt Chilcott Blanche um die Solidarität der Zuschauer buhlen, wenn es darum geht, sich im selbstherrlichen Mitleid zu baden. Verzweifelt wie ein Tier hinter Gittern, läuft die Darstellerin den schmalen Gang vor dem Publikum auf und ab, während sie in Gedanken nach neuer Nahrung sucht für ihr eigenes Unschuldsplädoyer. Am Ende weiß sie, daß der eingeschenkte Whiskey ihr letzter sein wird, und zwingt uns, diesem Ende tatenlos zuzusehen. Stefan Wieszner
Weitere Vorstellungen noch bis 31. März, jeweils Fr.–So., 20.30 Uhr im SchauPlatz, Dieffenbachstraße 15, Kreuzberg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen