What's hot, what's not: Als Cleopatra wiedergeboren
■ Wie Sie werden, was Sie vielleicht sind: Geschmack in und um Hollywood herum
Man macht sich so seine Gedanken. Der Rheinländer Hanswillem Haefs gab vor Jahren ein „Handbuch des nutzlosen Wissens“ heraus. Ein unglücklicher Titel, denn niemand kann sagen, ob und wann sich ein Wissen als nützlich erweist oder nicht. In den USA wird zum Beispiel alle 1,9 Sekunden ein Exemplar von „Maybelline Great Lashes“ (nicht klumpende, aber verlängernde und trennende Wimperntusche) verkauft. Ich schätze mich glücklich, mehrfach zu diesem Rekord beigetragen zu haben. Auch in Hollywood, wo Geschmack ansonsten teurer ist, sucht die werktätige Frau den Drugstore ihres Vertrauens auf, um das Wimpernwunder zu erwerben. Celebrities wie Ashley Judd (die böse Tochter aus „Smoke“, die gute Ehefrau aus „Heat“) bessern auf diese Weise nach. Bevor Sie zum Stift greifen und die Redaktion mit empörten Leserbriefen bombardieren (Wir-kämpften-für-den-Feminismus-und-ihr-denkt-an-so-was), erzähle ich Ihnen, warum ich Ihnen das erzähle.
Aus Gründen des Geschmacks und der Pietät. So halten viele Leute die Schauspielerin Claudette Colbert („Blaubarts achte Frau“) erstens für eine der charmantesten des alten Hollywood, zweitens für tot. Das erste ist richtig, das zweite geschmack- und pietätlos, denn Claudette Colbert erfreut sich mit 92 Jahren bester Gesundheit, aalt sich in der Sonne von Barbados und bedauert einzig die Tage, an denen sie kein Sorbet verspeist. (Weltfrieden-in- Gefahr-und-sie-denkt-an-so- was.) Colbert schätzt an Frauen deren Witz und an Männern den Humor, wenn sie denn welchen haben. Humor wie der von Gary Cooper in „Blaubarts achte Frau“. In der Badeszene begrüßt Cooper die ihn verschmähende, sich auf einem Floß sonnende (Hautkrebs-und-ihr-denkt-an- so-was) Colbert mit einem „Immer noch verrückt nach mir?“.
Claudette Colbert möchte als Cleopatra wiedergeboren werden, doch zuvor beabsichtigt sie die Jahrtausendwende zu erleben. Kurve: Anders als die meisten der kritischen deutschen sehen sich kritische ausländische Mitmenschen durchaus in der Lage, eine Verbindung zwischen persönlicher Eitelkeit und progressiver Handlungsfähigkeit herzustellen. Ashley Judd zum Beispiel. Sie weigerte sich bei einem Fototermin für ein europäisches (italienisches?) Magazin, dessen „Tits & Ass“-Quote zu erfüllen. Judd bestand auf der Wirkung von „Maybelline“. Ashley Judd ist die Schwester der Country-Sängerin Wynona Judd und verkörpert demnächst in einer Filmbiographie Marilyn Monroes den Norma-Jean-Aspekt. Irgendwie dialektisch, das Ganze. Mira Sorvino („Mighty Aphrodite“) ist übrigens Marilyn.
Marilyn und „Maybelline“ sind also „hot“ – ebenso „hot“ wie verdeckte Knöpfe, Eunuchen (!) und fettes Fett. Letzteres ist im Zeitalter fett- und zuckerfreier Eiskrems als ein Akt höchster emanzipatorischer Qualität zu verstehen. Keinesfalls „hot“ sind hingegen der reiche Hippie- Look, Pizzas, deren Ränder mit Käse gefüllt sind (obwohl die neueste RTL-Werbung dies glauben machen will) und Kleidungsstücke, denen man den Hersteller ansieht. „Been there, done that“ nennt man abfällig Leute, deren Hipness und Kaufkraft ostentativ zur Schau gestellt sind. Man verfährt besser anders, um Erfolg zu haben – wie die Aktricen Jennifer Jason Leigh („Georgia“), Elizabeth Berkley („Showgirls“) und Juliette Lewis („The Basketball Diaries“). Die Schönheitsbibel „Allure“ verlieh den dreien die Goldene-Ehren-Puderdose für das denkwürdigste Film-Make-up. Gewinnerin ist allerdings Disneys „Pocahontas“, „weil ihr Make-up nie verschmiert, nicht einmal durch ,alle Farben des Windes‘!“ Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es doch immer nur um eines geht: Wie werde ich, was ich vielleicht bin? Anke Westphal
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