Wettbewerb für das Einheitsdenkmal: Zuviel Harmonie
Der Wettbewerb für das Einheitsdenkmal ist gescheitert. Die Anforderungen waren nicht zu komplex, sondern zu schlicht. Sie suggerierten ein falsches Geschichtsbild.
Wenige Tage ist es her, als mittels Tieflader die acht Tonnen schweren Marmorfiguren der brandenburgischen Markgrafen Johann I. und Otto III. in die Spandauer Zitadelle überführt wurden - zur Restauration und hoffentlich langjähriger Festungshaft. Die beiden Recken werden die Gesellschaft von 24 weiteren Hohenzollernherrschern haben, die, einstmals von Kaiser Wilhelm II. in Auftrag gegeben, die Siegesallee im Tiergarten zierten.
Zur gleichen Zeit scheiterte ein Unternehmen, das nicht der Historisierung, sondern ganz im Gegenteil der Wiederbelebung nationaler Symbolik dienen sollte. Das Projekt eines Nationaldenkmals für "Freiheit und Einheit" Deutschlands kam nicht über die erste Stufe des Wettbewerbs hinaus, da keiner der 532 eingesandten Entwürfe von der Jury für Wert befunden wurde, in die engere Auswahl gezogen zu werden. Das ist für sich genommen kein großes Malheur, wären da nicht die vom deutschen Bundestag festgelegten und weiterhin geltenden Ausgangsbedingungen.
Unter Ziffer 1 des am 9. November 2007 gefassten Beschlusses heißt es, dass nicht nur der friedlichen Revolution und der wiedergewonnenen staatlichen Einheit gedacht, sondern zugleich die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte in Erinnerung gerufen und gewürdigt werden sollten. Der Beschluss, den die "Grundlagen" des Wettbewerbs wörtlich übernahmen, wurde hauptsächlich dafür kritisiert, dass er eine zu komplexe Aufgabenstellung enthalte. Tatsächlich aber wurde den Künstlern nicht ein zu komplexes, sondern ein falsches, weil harmonisierendes Geschichtsbild suggeriert. Denn die "Bestrebungen" nach Freiheit und nationaler Einheit in Deutschland bewegten sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mit-, sondern gegeneinander. Das vereinte Bismarcksche Reich erwies sich als autoritärer Obrigkeitsstaat, dessen freiheitsfeindliche Führungsgruppen auch die Weimarer Republik zerstörten. In der demokratischen Revolution von 1989 schließlich war die Parole "Wir sind ein Volk" keineswegs die harmonische Ergänzung zu "Wir sind das Volk", sondern läutete das Ende der freiheitlichen Emanzipationsbewegung ein.
Es war deswegen nur konsequent, dass eine Anzahl von Entwürfen den hohen Ton der Wettbewerbsgrundlagen karikierte, während sich das Gros der gelungeneren Einsendungen metaphorisch ins Reich der sphärischen Trigonometrie oder in die Botanik zurückzog, um sich der harten Materialität geschichtlicher Fakten nicht stellen zu müssen.
Vonseiten kritischer Geister ist der Vorschlag gekommen, das Wort Denkmal in seine beiden Bestandteile zu zerlegen und mit einem Ausrufungszeichen zu versehen. Also statt nationaler Mythenbildung eine kritische Auseinandersetzung mit dem historischen Befund. Gefordert wird auch ein überraschender Zugriff, der sich nicht den immergleichen Pathosformeln von Größe und Leiden unterwirft. Dass eine solche Aufgabenstellung künstlerisch machbar ist, zeigt die wenige Meter von dem projektierten "Freiheits- und Einheits"-Denkmal entfernte, auf dem Bebelplatz eingelassene großartige Installation von Micha Ullmann, die an die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 erinnert.
Wenn es nach den beschlossenen Projekten auf dem Territorium des Schlosses und der ehemaligen Schlossfreiheit geht, so werden wir künftig dreierlei miteinander rivalisierende betrügerische Geschichtsbilder bewundern können. Die wiederhergestellte Schlossfassade, ein Produkt aus der Illusionsmaschine mit der Herkunftsmarke Disneyland. Zweitens ein Staatsratsgebäude, an das die SED das Originalportal des Berliner Schlosses anpappte, von dem herab Karl Liebknecht die sozialistische deutsche Republik proklamiert hatte - ein angemaßter Versuch, sich in die revolutionäre Tradition der deutschen Arbeiterbewegung zu stellen. Und drittens ein Denkmal, das dem Besucher suggerieren soll, mit der Freiheit und Einheit der Deutschen sei jetzt, zwei Jahrzehnte nach der Revolution, alles in Butter.
Das projektierte Denkmal steht auf der Basis, die einst das monströse Denkmal Kaiser Wilhelm I. trug, unter dessen Herrschaft die deutsche Einheit mittels "Blut und Eisen" errungen wurde. Die Befürworter dieser Platzwahl argumentieren, das Denkmal werde Ausdruck demokratischen Stolzes und eines Selbstbewusstseins sein, das sich in die staatliche Kontinuität Deutschlands mit dessen Höhen und Tiefen stellt. Näher als diese hehre Bestimmung liegt allerdings der Verdacht, dass mehr Kontinuität als Bruch mit der nationalen Botschaft des Vorgängerdenkmals angezielt ist.
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