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Westdeutschland und der Aufbau OstSexsteuer und Sportstadt – wenn's hilft..

Oberhausen im Westen steckt in einem Haushaltsdesaster, aus dem nicht mal Steuersätze in Rekordhöhe helfen können. Riesa im Osten ist zwar keine Attraktion, aber intakt.

Eine der wenigen Attraktionen in Riesa: Die Sumo-Weltmeisterschaft 2003. Bild: ap

Der Bücherbus fährt nicht mehr

Über die katastrophale Finanzlage seiner Stadt stöhnt Oberhausens SPD-Oberbürgermeister Klaus Wehling schon sei Jahren: „Wir haben aktuell 1,6 Milliarden Euro Schulden“, klagte er gegenüber der taz schon 2008, „und die steigen ständig.“ Jedes Jahr rutscht das einstige Zentrum von Kohle und Stahl im Westen des Ruhrgebiets tiefer in die roten Zahlen: Heute beträgt der Schuldenberg 1,8 Milliarden Euro, liegt die Pro-Kopf-Verschuldung bei rund 7.500 Euro. Allein im vergangenen Jahr hat die noch immer 214.000 Einwohner zählende Stadt 113 Millionen Euro neue Schulden aufnehmen müssen – fast 50 Millionen davon gingen als Zinsen an Banken und Investoren.

Grund für das Finanzdesaster ist der Zusammenbruch der Wirtschaftsstruktur, die das Revier über 100 Jahre getragen hat: Das Ende von Kohle und Stahl hat auch das industrielle Rückgrat Oberhausens gebrochen. Unternehmen wie die Gutehoffnungshütte, die noch 1970 weltweit über 95.000 Mitarbeiter beschäftigte, existieren nicht mehr. In den vergangenen 40 Jahren hat Oberhausen jeden zweiten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz verloren – 50.000 Jobs waren das. Die Arbeitslosenquote liegt aktuell bei 11,5 Prozent, als „unterbeschäftigt“ gelten weitere 13 Prozent der Oberhausener.

Gleichzeitig brachen die Gewerbesteuereinnahmen zusammen. „Keine Haushaltskonsolidierung der Welt kann hierauf auch nur annähernd reagieren“, klagte der einstige Kämmerer Bernhard Elsemann schon 2010. Dafür explodierten die Sozialausgaben: Die haben sich seit 1991 von 50 auf 198 Millionen Euro vervierfacht.

Dagegen ansparen kann Bürgermeister Wehling kaum noch. Das Musiktheater hat Oberhausen schon 1993 abgeschafft, das Stadttheater muss eine Million jährlich einsparen. Der Bücherbus fährt seit 2009 nicht mehr. Die Zahl der öffentlichen Bäder schrumpfte von sieben auf drei, über 1.000 Stellen fielen in der Verwaltung weg. Um Geld hereinzubekommen, erhebt die Stadt mit München und Bottrop die höchsten Gewerbesteuern. Auf Anweisung der Kommunalaufsicht werden so ansiedlungswillige Unternehmer verprellt.

Trotzdem hat Oberhausen bis heute 256 Millionen Euro in den „Fonds Deutsche Einheit“ genannten Solidarpakt eingezahlt – und hofft selbst auf Einnahmen der 2009 eingeführten „Sexsteuer“: 175.000 Euro soll die Arbeit von Sexarbeiterinnen der Stadtkasse in diesem Jahr bringen.

Stahlstadt mit Sportimage

Auf halbem Weg zwischen Dresden und Leipzig liegt Riesa in einer landschaftlich nicht besonders einladenden, flachen Elblandschaft. Nach der Wende ist die Einwohnerzahl kontinuierlich gesunken. 2011 waren in der Stadt nur noch 33.286 Bewohner gemeldet, vor dem Mauerfall waren es rund 52.000.

Riesa, das waren zu DDR-Zeiten das riesige und traditionsreiche Stahl- und Walzwerk mit 13.000 Beschäftigten und die „Nudelbude“. Eine Million Tonnen Stahl pro Jahr werden in Riesa von Feralpi immer noch hergestellt, und Spaghetti aus der Stadt sind im Osten nach wie vor beliebt. Mit offiziell 11,1 Prozent hält sich deshalb die Arbeitslosigkeit in Grenzen. Was von der ehemaligen Industriestadt Riesa blieb oder sich an Gewerbe neu ansiedelte, beschert der Stadt ein Gewerbesteueraufkommen von 250 Euro je Einwohner im Jahr. Das ist nicht viel weniger als in Ruhrgebietsstädten wie Duisburg oder Bochum.

Auf Einnahmen vom NPD-Verlag „Deutsche Stimme“, der hier seinen Sitz hat, würde die Stadt allerdings gern verzichten. Für die Konversion des nur noch teilweise genutzten Stahlwerksgeländes erhielt die Stadt mit 11,3 Millionen Euro die meisten Fördermittel aus den Programmen der Gemeinschaftsaufgabe für den Aufbau Ost des Bundes. Alle anderen Gewerbegebietserschließungen wurden insgesamt mit etwa 10 Millionen Euro gefördert. Riesa ist keine touristische Attraktion, macht aber auf Besucher einen intakten Eindruck.

Das gilt für die Infrastruktur einschließlich der Verkehrswege, auch für die fast komplett sanierten Kindertagesstätten, weniger für die Schulgebäude. Die Stadt, so Oberbürgermeisterin Gerti Töpfer (CDU), setze bewusst auf Lebensqualität. Mehr Zuzug hat diese Strategie der Stadt Riesa aber auch nicht gebracht. Mit den Auswirkungen der Krise, insbesondere mit Einbrüchen bei der Gewerbesteuer hatte indessen auch Finanzbürgermeister Markus Mütsch zu kämpfen.

Dennoch nimmt die Stadt seit 2008 keine neuen Schulden mehr auf. Die Pro-Kopf-Verschuldung sinkt weiter und beträgt derzeit nur noch etwa 1.200 Euro. Belastet wird der Stadthaushalt allerdings durch Folgen des typischen Nachwendegrößenwahn im Osten. Der bis 2003 amtierende Kultur-, Wirtschafts- und spätere Oberbürgermeister Wolfram Köhler verpasste Riesa aus dem Stand heraus das Image einer Sportstadt, holte 1999 die Sumo-Weltmeisterschaft an die Elbe und setzte vor allem den Bau der heutigen Erdgas-Arena durch.

Dafür gab es keine Aufbau-Ost-Mittel – die FVG-Betreibergesellschaft kostet die Stadt stattdessen bislang jährlich rund 2 Millionen Euro Zuschuss.

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5 Kommentare

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  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Der Grund für die Schulden von Oberhausen wie für alle Staatshaushalte liegt ganz einfach darin, dass die Steuern weder genügend erhoben werden, noch richtig verteilt werden. Hinzu kommt, dass der Staat durch "Outsourcing" der "Filetstücke", Privatiersierunfspolitik, sich um alle kalkulierbaren Einnahmen für "Infrastrukturähnliche", unverzichtbare, systemrelevanten Leistungen bringt. Deswegen ist mal das Beamtentum eingeführt worden.

     

    Grob gesprochen, bring technischer, wissenschaftlich gestützter Fortschritt dauernd Wegfall von "Knochenmühlenmalochen", bei dem höchsten die Tränen für die zu frühe Tode, Leiden und Krankheiten für die darunter Leidenden in frage kommen.

     

    Der Produktivtätsfortschritt, durch die Bildungsexplosion mit Computer im 7. Gang gefahren, wird aber stringentest fast aiusschlisslich allein zu Mehrung von Privatreichtümerern verwendet.

     

    Wer diese "Tatsachen des modernen und Postmodernen (Ein Begriffsbildung als Reaktion auf den ungeheuren Fortschritt der Dienstleistungen die Industrie überholen liess) Gesellschaftslebens, früher als "Strukturwandel" thematisiert, nicht SO!!!!!! begreift, sollte seine Begriffe da doch auf die Realität einstellen.

     

    Folgeprobleme, der Rest sind Folgeprobleme.

     

    Man hätte da ohne SchuldenANHÄUFUNG machen MÜSSEN. ..

     

    Ein Programmierer weiss, dass nur ein falsches Komma hunderte Fehlermeldungen als Folgefehler produzieren kann.

     

    Da ist so "unrealistisch" für soziale System auch nicht.

     

    So eine "Basisprogramm", oder "Routine", wie Wegrationlisierung von Arbeit immer noch mit Sozialabbau, individuell, gruppoid und individuell zu beantworten ergibt Folgefehler ohne Ende.

     

    Das Schuldenproblem ist doch einfach buchungstechnisch zu Erpressungszecken ins Zentrum der Politik gerückt worden. So brutal, perfide, verschlagen hinterhältig ist unsere Berufspolitik. Die wissen das Alle. Sollte zur Eingang jedes Wirtschafstartikels stehen. Die Vertrauensseligkeit des Wähler hat uns schon Millionen über Millionen von Toten und "Lebenden Leichen" gekostet.

     

     

    Wieviel Milliarden zahlt man mir, wenn ich AUF DER STELLE, zeigen wie das "GINGE"....Es gibt haufenweise bestens durchgerechnete Alternativen.

     

    Ohne "Nebenbedingungen" versteht sich.

     

    Parlamentarisch sind die LINKEN die einzige Ausnahme.

  • M
    Marcus

    Am interessantesten an dem Artikel ist was nicht erwähnt wird. Zum beispiel ist es höchst wahrscheinlich das Oberhausen trotz allem ein höheres Pro-Kopf-Steueraufkommen hat als Risa, auch nach den Solidarpackt augleich. Da dieser dazu diente die Finanzkraft der Ostdeutschen länder auf 95% der Bundesdurchschnittes zu heben(mitlerweile weniger). Dadurch sind solche Beispiel eher ein beleg für besseres Management mit etwas weniger Geld und schlechteres Management mit etwas mehr Geld. Darüberhinaus ist der vergleich nichts Ost-/West bezifisches, mann findet erfolgreichere Komunen im Westen genauso wie erfolglose im Osten. Auch die Gewählten beispiel sprechen bände, Risa als einer der wenigen Standorte im Osten an dem es noch etwas Industrie gibt, in den TV Nachrichten dann Zwickau was als Autoproduzebt eher mit Ingolstadt oder Wolfsburg zu vergleichen währe und Dresden wo 90% aller beschäftigten einen Hochschulabschluss haben. Sich im Osten die wenigen Perlen, welch im mesten auch nur Mittelmaß währen, herauszupicken und sie mit den abgewirtschftesten Städten im Westen zu vergleichen ist wirklich sehr objektiv.

  • M
    marcel

    es fehlt dem artikel leider die korrekte darstellung der fördemillionen und milliarden, die im ruhrgebiet verbuddelt werden: das centro fiel auch nicht vom himmel aus den händen des investors, der duisburger innenhafen sowie die sportlichen und industriekulturellen attraktionen wurden z.b. mit eu-fördermitteln finanziert. eine solide, nicht an tendenziöser stimmungsmache interessierte recherche bemerkt sowas, dem flaneur selbst entgehen nicht hinweistafeln wie an der duisburger marina: hier wurden esaf-gelder verbuddelt.

    das duisburg statt nach dresdener vobild zum abtragen der schulden die gebag verkauft, das stand nie zur debatte, selbige als vehikel zur errichtung von investitionsruinen (zweckentfremdend) zu nutzen, wie TaM und MKM-Erweiterung, findet gleichfalls keine erwähnung.

    das der strukturwandel dank rotem filz (irgendwann ergänzt durch grüne abnicker/mehrheitsbeschaffer) und unangetasteter lokaler machstrukturen (vgl. opel-historie) und dem von bogumil et al. beklagten rivalitäten verpennt wurde und stattdessen kannibalismen gepflegt werden (auch ist oberhausen ein dankbares beispiel, sauberer recherche entgeht nicht, dass es in ob auch mal eine klitche namens babcock gab, deren reste zum teil als hiatchi in duisburg firmieren - abgeworben in den schicken innenhafen).

    hätte man kein politisch eindeutiges interesse und wäre der artikel nicht fadenscheinige propaganda, hätte auch die begrenzte zeichenzahl eine differenziertere, wirklichkeitsnähere darstellung erforderlich gemacht.

  • R
    reblek

    "... stöhnt Oberhausens SPD-Oberbürgermeister Klaus Wehling schon sei Jahren..." - Nicht "seit"?

    "... Folgen des typischen Nachwendegrößenwahn im Osten..." - Und das Genitiv-s "...wahns"?

    "... hat die noch immer 214.000 Einwohner zählende Stadt 113 Millionen Euro neue Schulden aufnehmen müssen... Dennoch nimmt die Stadt seit 2008 keine neuen Schulden mehr auf." - Tja, das würde ihr wohl auch nicht gelingen, denn keine Bank verleiht Schulden. Nach wie vor werden Kredite aufgenommen, dadurch entstehen Schulden und die müssen getilgt werden. Aber dieser Sachverhalt ist nicht sensationell genug. Vorschlag: Wyputta, Bartsch und all die anderen, die einen solchen Unsinn schreiben, gehen mal zu ihrer Bank und sagen: "Ich möchte gerne bei Ihnen Schulden aufnehmen". "Prima", sagt der Bankmensch, ich gebe Ihnen 100.000 Euro Schulden, zahlen Sie ab dem nächsten Ersten ab. Da sie keinen Kredit verlangt haben, bekommen sie keinen Cent und müssen nur zahlen, zahlen, zahlen. Sie wollten es ja nicht anders, sondern "Schulden aufnehmen".

  • D
    Denker

    Über 5000 Eur Neuverschuldung pro Einwohner alleine in 2011? Diese Zahl kann man fast nicht glauben. Bei einer vierköpfigen Familie wären das 21000 Eur. Wetten daß eine Reduzierung der überall üblichen Vetternwirtschaft auf Null, die Verschuldung drastisch senken würde, ohne das die Lebensqualität der Menschen leiden würde. Wenn man in Oberhausen überhaupt von Lebensqualität sprechen kann. Aber wahrscheinlich werden wieder nur die Transferempfänger stärker drangsaliert, damit sie keine Anträge auf ALGII oder Wohngeld mehr stellen.