Werkschau Haruomi Hosono: Rumba auf Japanisch
Die wunderbaren Klangwelten des japanischen Studiozauberers und Klangforschers Haruomi Hosono werden wieder zugänglich gemacht.
Gelbe Magie? Wir kennen sie in Schwarz, in Weiß, aber die Farbe Gelb könnte in diesem Zusammenhang selbst Harry Potter ins Grübeln bringen.
Diese Musikzauberkunst trug maßgeblich zum Annus Mirabilis des japanischen Bassisten, Komponisten und Produzenten Haruomi Hosono bei. Auf seinem vierten Soloalbum „Paraiso“, veröffentlicht 1978 als Harry Hosono and the Yellow Magic Band, erweist er als Verehrer von kalifornischer Gourmet-Popmusik gleich zweien seiner Helden Respekt: dem Sänger und Songwriter Harry Nilsson und Captain Beefheart, der sich stets von einer Magic Band begleiten ließ.
Bei den Aufnahmen zu „Paraiso“ macht der zu diesem Zeitpunkt vor allem von Studiojobs lebende Hosono die Bekanntschaft des Pianisten Ryuichi Sakamoto. Ein weiterer Gast bei den Sessions ist der Schlagzeuger Yukihiro Takahashi, der zuvor als Mitglied der Sadistic Mika Band schon in Glam-Rock-Zirkeln für Aufsehen gesorgt hatte. Diese beiden höchst unterschiedlichen Gefolgsleute führt Hosono noch im selben Jahr ins nächste Abenteuer: das Yellow Magic Orchestra, das ihm – und vor allem seinem Zauberlehrling Sakamoto – letztlich Weltruhm und in Japan fast den Status eines Heiligen bescheren wird.
In Japan unsterblich
Für das Interview im Booklet der Neuauflage von „Paraiso“, die das US-Reissue-Label Light in the Attic jetzt zusammen mit vier weiteren Hosono-Alben in die Läden bringt, führt Hosono noch weitere Bezüge auf: den Fleetwood-Mac-Song „Black Magic Woman“ (in der Version von Santana ein Welthit) und den chinesischen Klassiker „Die Reise nach Westen“ von Wu Cheng’en aus dem 16. Jahrhundert, speziell die darin agierenden „Yokai“-Dämonen, die „gelben Dämonkönige“.
Man kann das glauben und noch weiter zu recherchieren versuchen, aber man sollte im Hinterkopf behalten, dass Hosono ein Prankster ist, ein Spaßvogel, der sein Publikum stets auf die Probe stellt. Nicht zuletzt dieser eigenwillige Humor ist es, der ihn zusammen mit einem nimmermüden künstlerischen Forschergeist zu einem der interessantesten Künstler der Gegenwart macht.
Fangen wir vorne an: Im September 1969 erscheint in Japan das einzige Album der Acid-Rock-Band Apryl Fool, die vor allem dem Westcoast-Sound der San-Francisco-Band Moby Grape nacheifert. Bassist und Songschreiber Haruomi Hosono indes findet den sanfteren Folk-Rock von Buffalo Springfield spannender und richtet sein nächstes Projekt, das Quartett Happy End, entsprechend aus: Americana würde man heute dazu sagen, Westcoast-Country-Folk-Pop mit einer kleinen Funk-Note, also ungefähr vergleichbar mit den zeitgleichen Arbeiten von Little Feat auf der anderen Seite des Pazifiks.
Auf dem Land in WG-Atmosphäre
Als Mastermind von Happy End wird Hosono-san in Japan zum ersten Mal unsterblich. Doch nachdem man für die Aufnahmen zum dritten Album nach Kalifornien gereist war und lokale Kräfte wie den multitalentierten Musik-Intellektuellen Van Dyke Parks und die Little-Feat-Mitglieder Lowell George und Bill Payne zur Mitwirkung überreden konnte, waren für Hosono erst mal alle Ziele erreicht. Er beschließt, es seinem Vorbild Buffalo Springfield nachzutun und es wie Neil Young solo zu versuchen. 1973 erscheint „Hosono House“, Name und Konzept des Albums folgen einem weiteren (zu diesem Zeitpunkt gerade mal vier Jahre alten) Americana-Klassiker, „Music from Big Pink“ von The Band: Hosono kauft sich ein Haus auf dem Land und nimmt darin in WG-Atmosphäre mit einigen Kollegen neue Songs auf. Im Vergleich zu Happy End hört man mehr Keyboards und deutlichere New-Orleans-Grooves, im Prinzip schreitet er aber auf dem mit Happy End eingeschlagenen Weg voran.
Auf den folgenden Soloalben treibt er mit schwül-bunten Covergemälden und milchig-verschwommenen Songs aus einer tropisch-träumerischen Unwirklichkeit seine Selbstinszenierung als Fremder in einer fremden Welt voran, die bei näherem Hinhören bewusst und intelligent mehrfach gebrochen ist.
Da ist eine Ahnung jungfräulicher pazifischer Traumstrände, aber an Japans Küsten dürfte man sie kaum verorten. Stattdessen durchzieht diese Lieder ein Dauer-Feedback der US-Fernost-Sehnsüchte, deren Erfüllung ihm als Japaner genauso unmöglich ist wie ihm als denkenden Menschen. Er weiß das und ist doch fasziniert davon, will nachspüren, wie sich das anfühlt und weiß doch um die rassistische Herabsetzung darin.
Ambitionierter Yachtrock
Mittlerweile hat er ein Auskommen als Studiomusiker, findet Gefallen daran und gründet mit drei Kollegen die Band Tin Pan Alley, nach dem Vorbild der US-Studiomusiker-Band Stuff. Auf den Alben von Tin Pan Alley (schon auf ihrem Debüt heißt ein Titel „Yellow Magic Carnival“) sowie dem Projekt „Pacific“ inszeniert Hosono einen gefälligen, aber etwas spannungsarmen Ambient-Yachtrock. Die Ambitionen bewahrt er sich für seine Soloarbeiten.
Haruomi Hosono: „Hosono House“; Hosono & the Yellow Magic Band: „Paraiso“; Hosono & Tadanari Yokoo: „Cochin Moon“, alle Alben sind veröffentlicht bei Light in the Attic/Cargo
So reist er 1977 mit dem Künstler und Designer Tadanori Yokoo nach Indien, um sich für sein Lieblingsthema, die Außenwahrnehmung Japans, eine weitere Perspektive zu erschließen. Geplant ist eine Collage aus Field Recordings, doch nachdem ihn Yokoo mit Kraftwerk und Krautrock bekannt gemacht hat, stürzt er sich auf elektronische Klangerzeuger. „Cochin Moon“ (auch 1978 veröffentlicht) zeigt, wie schnell Hosono begreift, dass Synthesizer ihm helfen können, seine künstlerische Vision zu präzisieren.
Synthetische Naturgeräusche und leckeres Maschinen-Sounddesign sind noch besser geeignete Metaphern zur Beschreibung der Entfremdung, um die es ihm geht, als die aufwendigeren Inszenierungen seiner letzten Alben. Er inkorporiert meditative und repetitive Klangmuster in sein Ausdrucksrepertoire und ist nun endgültig bereit, geboren zu werden.
„Paraiso“ ist wieder ein Songalbum, allerdings hält hier nun der Maschinenpark von „Cochin Moon“ Einzug in Hosonos tropisches Americana-Universum. Er schult den Kollegen Sakamoto an allerlei Synthesizern und Sequencern und fusioniert unaufgeregt und problemlos die alte Welt mit der neuen. Stoisch-repetitive Can-Passagen fügen sich nahtlos an sentimentale Sonnenuntergänge an der Tropicana-Beach-Bar, mittendrin Coverversionen des alten Glenn-Miller-Hits „Japanese Rumba“ und des obskuren Fifties-Schlagers „Fujiyama Mama“ von Earl Burrows – abgeschmackte, rassistische Japanklischees werden umarmt wie ein verhasster, aber nun im Sterben liegender Feind.
Mit diesen Aufnahmen ist er schon ganz nahe am Kern seines Anliegens, das er schließlich zu fassen bekommt, als er wenige Wochen später das Debütalbum von Yellow Magic Orchestra produziert. Mittlerweile hat er die Musik des US-„Exotica“-Komponisten Martin Denny kennengelernt, der für die Tiki-Bars der 1950er Jahre einen pan-pazifischen Sehnsuchtsort inszeniert hatte, in den Japan zwischen Hawaii und Tahiti unscharf hineingemorpht ist. Das elektronische Arrangement von Dennys „Firecracker“ zwischen Zitaten aus anderen gerne exotisierenden Stilen wie etwa Surf, vollelektronisch arrangierten Jazz-Balladen und Computerspiel-Musik gibt ein präzises Bild der Gedankenwelt Hosonos zu Exotismus und der Rolle Japans in der Welt.
Mit dem YMO-Album hat er den Exotismus-Komplex aus sich heraus exorziert. Er geht nun leichter, zärtlicher mit US-Themen um, sie bedrücken ihn nicht mehr. Bis heute bringt Hosono immer wieder Soloalben heraus und initiiert Bandprojekte wie Sketch Show. Light in the Attic ermöglicht Nichtjapanern nun eine erste Begegnung mit einem Ausschnitt aus dem großen und vielfältigen Werk des Magiers und Visionärs.
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