: Werder: Vom Kuhhirten zum Spitzenreiter
■ Hanseatische Kaufmannstradition hat die Geschichte des SV Werder bestimmt / Billig einkaufen und teuer verkaufen als Geschäftsprinzip für den Erfolg / Triumphe des Dreigestirns Rehhagel, Lemke und Böhmert
Werder Bremens ruhmreichste Geschichte ist - wie beim AC Milano - im wesentlichen erst in den letzten zwölf Jahren geschrieben worden und beginnt mit dem Wiederaufstieg in die Bundesliga 1982, der Uefa-Cup-Teilnahme nach der Aufstiegssaison und der Vizemeisterschaft ein Jahr später. Zweimal noch mußten sich die Bremer in den 80er Jahren mit der Vizemeisterschaft begnügen (1985, 1986), was dem Bremer Trainer Otto Rehhagel bei Spöttern den Beinamen „Otto II.“ einbrachte. Aber am Schluß lachte Rehhagel: Deutsche Meisterschaften 1988 und 1993, Deutscher Pokalsieger 1991, Sieger im Europapokal der Pokalsieger, und, seit neuestem, mindestens ganz heißer Favorit auf den dritten Gewinn des DFB-Pokals im Mai diesen Jahres gegen Rot-Weiß Essen.
Anders als Milano aber haben die Bremer eine völlig andere Geschäftspolitik betrieben. Sie haben aus ihren Spielern eher Kapital geschlagen als welches investiert. Mit Rudi Völler und Kalle Riedle verkauften sie in den 80er Jahren zwei Topstars des Profi-Fußballs und profitierten dabei mächtig vom boomenden Italiengeschäft mit Bundesliga-Kickern. Knapp 20 Mio flossen allein durch die Verkäufe von Riedle und Völler in die Vereinskassen.
Billig einkaufen und teuer verkaufen, so lautete die Geschäftsdevise nach bester hanseatischer Kaufmannstradition. Mit Otto Rehhagel hatte der Verein einen Trainer, der mit Adleraugen durch die Niederungen der 2. Liga und sogar der Amateurlager streifte, auf der Suche nach Talenten. Beim SV Werder wurden die Rohlinge dann zu Diamanten geschliffen: Rune Bratseth, Andreas Herzog oder Bernd Hobsch waren zwar nicht „für'n Appel und ein Ei“ zu haben, stiegen aber nach ihrem Bremen-Transfer in ihrer Wertschöpfung explosionsartig an und bilden eine sichere Kapitaldecke für den Verein.
Bei der Vereinsgründung dagegen gibt es durchaus wieder Parallen zum Gegner Milano. 1899 wurde der Vorläufer des SV Werder auf dem Sportgelände beim Kuhhirten gegründet, und zwar als FV (Fußballverein) Werder Bremen. Warum sich ausgerechnet relativ gutsituierte Bürgersöhne zu dem als proletarisch verschrienen Fußball bekannten, ist ein Geheimnis. Fest steht aber: Man wollte damals noch unter sich sein. In der Vereinssatzung war festgelegt: „Wer dem Verein beizutreten wünscht, muß höhere Schulbildung genossen haben.“
Der Versuch der Abgrenzung von „ungebildeten“, also Arbeiterkreisen, hatte mit dem Ruf des Sports zu tun. Hätte damals beispielsweise jemand öffentlich einen Ausnahmefußballer zum „Kaiser“ ernannt, er wäre wegen Majestätsbeleidigung sofort eingefahren. Der Fußball im Kaiserreich formierte sich gerade erst, der Sport war eckig, hart und orientierte sich in seiner wenig technischen Spielweise am englischen Vorbild: Ball nach vorn und alle hinterher. Ein Vorteil für Vorreiter: Wer in der Gründungsphase schnell genug am Ball war, konnte in diesem Sport frühe Meisterfrüchte ernten. Werder Bremen wurde vier Jahre nach seiner Vereinsgründung erstmals Bremer Meister (1903).
Schon im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts hatte Werder internationale Gegner. Bei Spielen gegen holländische und englische Mannschaften gucken sich die Werderaner neue Spieltechniken ab, der Sport wird insgesamt athletischer, kraftvoller. Das korrespondiert mit der Öffnung des Vereins für andere Sportarten. Leichtathletik und Schwimmen werden als Vereinssport betrieben. 1913 kommt der FV Werder als einziger Bremer Verein in die Verbandsliga, wo er aber jämmerlich in die Knie geht und nur dank seiner recht reichen Mitglieder überlebt.
Der 1. Weltkrieg stoppt den ersten Höhenflug des Vereins. Das heimische Fußballfeld (zwischenzeitlich in Huckelriede) ist zum Kartoffelacker umfunktioniert, weil die Bevölkerung am Hungertuch nagt, ein Drittel der Mannschaft ist nach Kriegsende tot. Im Rausch der goldenen Zwanziger ist das aber alles schnell vergessen: Seit 1920 heißt der Verein SV (Sportverein) Werder Bremen und signalisiert damit auch nach außen, daß die Sportpalette breiter gefächert ist: Kegeln, Rugby, Cricket, Feldhandball und Tennis sind im Kommen. Und mit dem Tennis halten schließlich auch die Damen Einzug beim SVW. Der Verein bekommt über 1.000 Mitglieder und stellt sogar einen Geschäftsführer ein, ein deutliches Zeichen, daß von bierseeliger Vereinsgeselligkeit keine Rede mehr sein kann. 1930 bekommt der Verein dann auch die Spielstätte, die er heute noch anmietet für seine Spiele. Der Verein übernimmt den Sportplatz aus der Konkursmasse eines pleite gegangenen Vereins.
Unbedrängt bleibt der Verein im Nationalsozialismus. Wegen seiner gutbürgerlichen Mitgliederstruktur unterliegt er nicht den Versammlungsverboten, mit denen die Bremer Arbeitersport-Vereine seit 1933 zu kämpfen haben. Die Mannschaften grüßen artig vor den Spielen der Gauliga mit Hitlergruß, auf dem Dach des Stadions stehen seit 1940 Flug-Abwehrkanonen.
1947 ist der SVW wieder da und gewinnt bei der offiziellen Wiedereröffnung des Weserstadions 1947 die Norddeutsche Meisterschaft gegen den Vfl Osnabrück. In den 50er Jahren entwickelt sich die Fußballabteilung in der Oberliga zu einer der ersten Vollprofi Mannschaften. Der Bremer Tabakmogul Martin Brinkmann, dessen „Texas“-Zigaretten eine Standard-Marke der 50er Jahre waren, puschte die Mannschaft bis an die deutsche Spitze (“Texas-Elf“).
Der DFB-Pokal 1961 und mehr noch die Deutsche Meisterschaft 1965 waren reine Einkaufserfolge nach dem Strickmuster der Politik in der italienischen Liga - aber natürlich mit wesentlich weniger Geld. In den siebziger Jahren blieb der Verein blaß: die Sponsoren kämpften mit ihren eigenen Krisen, die Zuschauer, in Bremen ohnehin eher zurückhaltend, konnten mit ihren Eintrittsgeldern die Lücken in den Kassen nicht stopfen. Werder wurde Opfer der Politik, die der Verein selbst bis zum Exzess getrieben hatte: Er wurde ausverkauft.
Vor dem großen Umbau mußte deshalb die sportliche Katastrophe stehen: 1980 stieg der SV Werder ab und hatte damit das Tief seiner Vereinsgeschichte erreicht. Bereits da aber schwang Dr. Franz Böhmert das Zepter im Verein. Der Narkosearzt war vom Mannschaftsarzt zum Präsidenten aufgestiegen und führte den Verein in unnachahmlich hanseatischer Manier: Ruhig und unauffällig. Mit Otto Rehhagel als Trainer (nicht zuletzt der Abgang von Sepp Piontek als Trainer, der 1961 in der Pokalsieger-Mannschaft noch aktiv für Werder Bremen gespielt hatte, signalisierte das Ende einer Ära) und dem ehemaligen SPD-Geschäftsführer Willi Lemke erklomm der Verein die Erfolgsleiter auf einem neuen Gerüst: Otto Rehhagel baute über Jahre eine neue Mannschaft auf, Manager Lemke vermarktete den Erfolg und Präsident Böhmert sorgte dafür, das im Verein nichts anbrannte. mad
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