Werbeclip der Uefa: Gehirnwäsche bei 90 Grad
Nach wippenden Brüsten kommt Ottmar Hitzfeld, nervtötender Indierock will uns gehirnwaschen und am Ende heißt es: Respect. Wie die Uefa sich reinwaschen will.
Der Schock kommt nach wenigen Sekunden, wenn die lächelnde Blondine ihr Polen-Trikot über den Kopf zieht und plötzlich nicht ihre wippenden Brüste zum Vorschein kommen – sondern Ottmar Hitzfeld.
Normalerweise steht der Trainer mit einem Gesicht am Spielfeldrand, das auf seriöse Magenprobleme schließen lässt. Hier gibt er den gut gelaunten Spaßvogel, komplett mit Mantel, zugeknöpftem Kragen und Krawatte. Hitzfeld pfeift auf den Fingern und vollführt eine rätselhafte Wischbewegung. Dann hat er auf einmal Handschuhe an, empfängt aus dem Off einen Ball und verwandelt sich endlich in den dänischen Torhüter Peter Schmeichel. Uff.
Hitzfelds mysteriöses Auftauchen und Verschwinden ist nicht das einzige Rätsel, das dieser Fernsehspot in nur 30 Sekunden aufgibt. Zahllose Menschen tauschen da ihre Hemden oder verwandeln sich, wie Ottmar Hitzfeld, in andere Menschen.
Dabei handelt es sich nicht, wie man meinen könnte, um eine Werbung für die Altkleidersammlung oder eine Dokumentation über schizoide Persönlichkeiten. Manche Leute kennt man aus dem Fußball – wie Hitzfeld, Schmeichel, Benzema, Seedorf oder Steffi Jones oder der Schiedsrichter Collina.
Empfohlener externer Inhalt
Andere Leute dienen augenscheinlich nur dazu, in schnellen Schnitten so etwas wie eine fröhliche Verschiedenheit darzustellen – weiß, schwarz, gelb, bärtig, groß, klein, behindert. Sind auch alle da? Ja, alle sind da. Und alle sind, mit Ausnahme von Hitzfeld, jung und schön. Okay, Pierluigi Collina ist Pierluigi Collina, eine Glatzenmarke für sich. Und Dicke gibt es auch nicht. Dicke sind zu dick.
Psychedelische Gehirnwäsche
Unterlegt ist der Clip mit euphorisierend gemeintem, aber nervtötendem Indierock von der kalifornischen Gruppe Evaline („There, There“). Gezeigt wird er auf Betreiben der Uefa in den Halbzeitpausen der EM, was in seiner Häufung einer recht psychedelischen Gehirnwäsche bei 90 Grad entspricht. Was will uns die Vereinigung europäischer Fußballverbände damit sagen? Und warum fühlt sich das so seltsam schmierig an? Die Botschaft wird am Ende eingeblendet und lautet: „RESPECT“.
Der nicht eben unkorrupte Verband fordert also für seine Mätzchen und Marotten nichts anderes als der halbwüchsige Rüpel in der U-Bahn, nämlich „Zurückschauen, Rücksicht, Berücksichtigung“ (lat. „respectus“).
Dabei ist „Respekt“, das offenbar das ähnlich schwammige „Toleranz“ abgelöst hat, ein recht wackeliges Wörtchen, angesiedelt im sprachlichen Bermuda-Dreieck aus Höflichkeit, Verständnis und Ehrfurcht. Respekt ist etwas, das ich mir verschaffe oder jemandem zolle, der nicht notwendigerweise mein Freund, aber immerhin ein satisfaktionsfähiger Gegner sein kann. Er ist also das Gegenteil der fahrlässigen Herabwürdigung und taugt damit als Währung jedweder ehrversessenen Gesellschaft.
Der Slogan hat selbst dort Einzug gehalten, wo am Ende bekanntlich nur das Ergebnis zählt. „RESPECT“ prangt deutlich sichtbar auf der Kapitänsbinde, was den Spielführer sozusagen als Respektwart ausweist.
Zu gewinnen gibt es Tand
Besucht man die im Clip ebenfalls eingeblendete Webseite, wartet dort ein debiles Gewinnspiel mit tollen Preisen – signierte Fußbälle, signierte Trikots, signierte VIP-Tickets, der übliche Tand. Es sind sozusagen die Glasperlen, mit denen die Uefa ein feierwütiges Publikum gewogen machen möchte, ihr menschelndes Begleitprogramm zu beklatschen. Worum es da genau geht, steht im „Factsheet“ zum Thema „Fußball und soziale Verantwortung“.
Es gibt Projekte zur Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer, professionelle Spielbeschreibungen für Hör- oder Sehbehinderte, Schulprojekte gegen Rassismus, Gesundheitsprogramme, konfliktlindernde „Fan-Botschaften“ vor Ort und vieles mehr, was sich die Uefa rund 3 Millionen Euro kosten lässt.
Im Bericht sind die 3.000.000 fett gedruckt, als wär’s eine respektable Summe. Tatsächlich werden die Einnahmen der Uefa bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine zwischen 1,3 und 2,5 Milliarden Euro liegen, genaue Zahlen gibt es traditionellerweise nicht. Das muss man respektieren. Allein der koreanische Hyundai-Konzern zahlt 30 Millionen Euro, um seine Fahrzeuge sozusagen am Abschleppseil der EM 2012 auf den europäischen Markt spedieren zu lassen. Auch für die anderen neun „offiziellen Sponsoren“ gilt: Je rauschender das Fest, desto klingelnder die Kassen.
Zudem begegnet der Verband den „Gastgeberländern“ wie eine autoritäre Putschregierung, die im Namen ihrer Sponsoren vorübergehend sogar Kinkerlitzchen wie die staatliche Souveränität oder die Regeln der Marktwirtschaft außer Kraft setzen kann.
Die neue Infrastruktur hat nicht die Uefa bezahlt
Die neuen Stadien, Bahnhöfe und Flughäfen in Breslau, Danzig oder Posen sind nicht von der Uefa, sondern von den Gemeinden und damit den Bewohnern bezahlt worden. Die entsprechende Verschuldung wird dazu führen, dass künftig kein Geld bleibt für Projekte zur Barrierefreiheit, Schulprojekte gegen Rassismus oder andere sinnvolle Sachen. Umso netter von der Uefa, dass sie ursprünglich staatliche Aufgaben wie die Sorge um „soziale Verantwortung“ übernimmt – und dafür sogar einen winzigen Bruchteil ihrer kolossalen Gewinne aufwendet.
Nüchtern betrachtet ist das internationale Fußballturnier ein performatives Ritual zur Sublimierung kriegerischer Auseinandersetzungen. Die dabei freigesetzten „Emotionen“ sind nach der heiteren Logik der Märkte nichts anderes als ein „perfektes Werbeumfeld“, auf dessen Inszenierung und Organisation die Uefa ein Monopol hält. Nichts bringt dieses Geschäftsmodell stärker ins Wanken als Ausbrüche der durch „das Event“ nur mühsam kanalisierten Chauvinismen, aus denen das Turnier doch seine Relevanz schöpft.
In diesem Zusammenhang ist die wohlfeile Forderung nach „Respekt“ ein Schmiermittel, das die Kundschaft ruhig und die Geldmaschine am Laufen halten soll. Und natürlich ein Befehl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei