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Wer hat Angst vor Alten Männern?

■ Hongkong: Fünf Jahre vor der Rückgabe an China boomt in der britischen Kronkolonie die Wirtschaft

Hongkong (afp/taz) — Noch fünf Jahre dauert es, bis das kommunistische China die kapitalistische Enklave Hongkong übernehmen wird. Das hat in der noch britischen Kolonie nicht etwa, wie man erwarten könnte, eine Rezession, sondern im Gegenteil einen wahren Wirtschaftsboom ausgelöst. Die Hongkonger Börse verzeichnet Rekordhöhen der Kurse, unermüdliche Bautätigkeit verändert täglich das Bild der Wolkenkratzer-Skyline, und die Hongkong und Shanghai Banking Corporation meldet kaum gekannte Gewinne. Und fast schon anstößig wirkt das Angebot in den florierenden Luxusgüter-Läden. Nur wenige Menschen glaubten im Dezember 1984 an die Formel, die Großbritannien und China miteinander ausgehandelt hatten: „Ein Land — zwei Systeme“. Die Chinesen versprachen, daß Hongkong noch 50 Jahre kapitalistisch bliebe, wenn sie 1997 die Hoheit über die britische Kronkolonie wiedererlangen würden. 1989 schien das Blutbad auf dem Pekinger Tiananmen-Platz die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. Die wachsende Angst vor dem übermächtigen Nachbarn hätte sich beinahe bis zur Panik gesteigert.

Doch heute können weder das Gespenst des Kommunismus noch die Klagen politischer Gruppen Hongkongs über die wachsende Einmischung Pekings in das tägliche Leben der Metropole die neue wirtschaftliche Dynamik bremsen.

Der Boom hat allerdings nicht allzuviel mit Vertrauen in die Zukunft nach 1997 zu tun. Gleichzeitig nämlich wandern jede Woche 1.000 Menschen aus Hongkong aus — in die USA, nach Kanada und Australien. So schätzt denn auch die Verwaltung Hongkongs, daß der Boom zu einem Großteil auf Spekulation beruht, besonders im Immobilienbereich. Viele der Auswanderungswilligen würden darauf setzen, ihr jetzt erworbenes Eigentum in den nächsten zwei Jahren gewinnbringend wieder verkaufen zu können — als Startkapital für eine neue Existenz im Ausland.

Allerdings vertrauen auch zahlreiche Bankfachleute auf den kapitalistischen Status quo in Hongkong. Weder Shanghai noch Singapur, die gerne Hongkongs führende ökonomische Rolle in der Region übernehmen wollten, hätten nach Meinung dieser Experten in absehbarer Zeit die Möglichkeiten dazu. Hongkongs Finanzwelt teilt denn auch die Auffassung eines jetzt veröffentlichten Berichts der Bank of Japan, der von einem abnehmenden politischen Risiko in der Stadt spricht.

Wenn auch niemand in Hongkong auf einen radikalen ideologischen Wandel des Pekinger Regimes hoffen mag, verweisen Wirtschaftsexperten doch auf eine Reihe von „zwingenden ökonomischen und sozialen Faktoren“, die auch China akzeptieren müsse.

Hongkong ist Chinas Tor zur Welt

Nach ihrer Meinung könnten die chinesischen Alten Männer fünf wesentliche Entwicklungen nicht übergehen: So erhält China rund 35 Prozent seiner Ressourcen in harter Währung aus Hongkong, und als Tor zur Welt werden 40Prozent des chinesischen Exports in der britischen Kronkolonie abgewickelt. Der Umschlag des Hafens, in den alle sieben Minuten ein Schiff einläuft, entspricht dem aller großen europäischen Seehäfen zugesammengenommen. Bis 1997 werden zudem ein neuer Großflughafen und ein Hafenkomplex auf der Insel Lantau fertiggestellt sein.

Mit der ausdrücklichen Billigung von Deng Xiaoping haben die Geschäftsleute Hongkongs inzwischen fast unveränderbare wirtschaftliche, soziale und persönliche Verbindungen zwischen Hongkong und den chinesischen Südprovinzen geschaffen. Die Unternehmer der Kronkolonie investierten dort in den letzten Jahren fast 20 Milliarden Dollar. Dies entspricht rund zwei Dritteln der Auslands-Investitionen in China. In ihren Fabriken finden etwa drei Millionen Menschen Arbeit. So verdanken nach Schätzungen fast die Hälfte der 55 Millionen Einwohner der Provinz Guandong ihren hohen Lebensstandard dem wirtschaftlichen Wohlergehen Hongkongs.

Auf der anderen Seite hat sich das kommunistische China mit bislang 15 Milliarden Dollar im großen Stil in allen Bereichen der Wirtschaft Hongkongs engagiert und nimmt damit noch vor Japan, dessen Bilanz nur acht Milliarden Dollar an Investitionen zählt, eine Spitzenstellung ein. China hält 15Prozent Kapitalanteile an der örtlichen Börse sowie 25 Prozent der gesamten Bankeinlagen. Aktivitäten gibt es in den Bereichen des Transportwesens, der Telekommunikation, des Handels und der Presse. 3.000 bis 4.000 chinesische Unternehmen arbeiten auf dem Gebiet der Kronkolonie.

In Chinas Strategie der Öffnung zur Marktwirtschaft nimmt Hongkong eine zentrale Position ein. Die Metropole bietet Peking nach Expertenmeinung eine hervorragende wirtschaftliche und finanzielle Ausgangsbasis in die führende internationale Wirtschaftswelt. So haben mehr als 600 ausländische Unternehmen ihre regionalen Hauptquartiere auf dem Gebiet der britischen Kronkolonie. 1985 waren es nur halb so viele. Über 550 Finanzinstitutionen verfügen über Repräsentanzen in Hongkong, das damit nach London und New York den dritten Platz einnimmt, was die Zahl der ausländischen Niederlassungen betrifft.

Hongkong entwickelt sich außerdem immer deutlicher zu einem Magneten für den rasch expandierenden regionalen Handel, von dem auch China profitieren will. Die Inselrepublik Taiwan, die mit dem Pekinger Regime offiziell keine wirtschaftlichen Beziehungen unterhält, nutzt die Kronkolonie als Drehscheibe für den Handel mit dem chinesischen Festland, der sich im vergangenen Jahr auf fünf Milliarden Dollar belief. Nach Schätzungen von Experten in Taipeh haben sich rund 500 taiwanesische Firmen in der Provinz Fuijan angesiedelt, die gemeinsam mit Hongkonger Unternehmen als Joint ventures betrieben werden. Die etwa 50 Millionen Chinesen, die verstreut in der ganzen Welt leben, nutzen verstärkt die britische Kronkolonie für ihren Handel mit China; und die großen chinesischen Gemeinschaften in Thailand, Malaysia und Indonesien beginnen ihre entscheidungstragenden Büros nach Hongkong zu verlegen.

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