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Wer auf das Sein setzt

■ Literaturhaus: Wo bleibt bei Peter Sloterdijk die Wirklichkeit?

Wenn sich das Verschwinden von Wirklichkeit wirklich vollziehen sollte, so tut es das in geordneten Bahnen. Jedenfalls wenn man die Eröffnungsveranstaltung der Literaturhaus-Reihe mit dem Titel Vom Verschwinden der Wirklichkeit am Dienstag zum Maßstab nimmt. Peter Sloterdijk sollte gedanklichen Glamour verbreiten. Was er auch eine Stunde lang tat. Viele Anwesende sollten interessiert sein. Was sie waren. Und Ursula Keller, die Chefin des Hauses, verabschiedete alle mit den Worten: „Bald folgen viele Diskussionen, dies war ein Vortrag.“ Womit sie recht hatte. Aus. Das war's. Und alle gingen nach Haus.

Eine Simulation? Das dann doch nicht. Eine Routine, die Gegenwart mit schweren Worten zu bedenken (Titel des Vortrags: „Untergang des Wirklichen. Anfang des Monströsen“)? Schon eher. Und, wie es mit der leidigen Selbstanwendung so ist: Zumindest eine These Sloterdijks drohte auf ihn selbst zurückzufallen. Immer passiert irgendwo irgend etwas. Immer ist irgend etwas so und so lange her. Mit solchen Sätzen charakterisierte Sloterdijk aktuelle operative Nachrichtenroutinen, die keineswegs Inhalte, sondern ihre eigenen Formen perpetuieren. Was, wenn man denn nicht auf Inhalte achtet, eine Selffullfilling Prophecy darstellt – und sich gegen ihn selbst wenden ließe: Irgendwann hält immer irgend jemand irgendeinen Vortrag.

Man sollte wohl doch auf Inhalte achten. Dies tuend, läßt sich aus Sloterdijks sehr vom begrifflich hochgetunten Sound getragenen Ausführungen, wenn wir recht sehen, ein nicht unrasanter intellektueller Positionierungsversuch herausfiltern.

Sloterdijk vertritt eine Theorie der Moderne, die, wenn auch unüblich durchmischt, durch kulturkonservative Motive inspiriert erscheint. Die Moderne als weltweite Teilhabe an der einen Zeit, in der die zuvor verstreuten Seinsweisen der Menschen getilgt sind. Synchronisierung und Globalisierung als die Kennzeichen der modernen Welt. Das Leben seit dem 20. Jahrhundert als Komplizenschaft mit der einen synchronen Lebensform, in der die historischen und regionalen Alibis nichts mehr gelten. Das sind Formulierungen, wie sie auch in Botho Strauß' Bocksgesang auftauchen könnten. Heideggers „Seinsvergessenheit“ lugt aus allen Ritzen. Jedoch wendet Sloterdijk die Diagnose anders.

Er bringt sie gegen modernisierungsfeindliches Eigentlichkeitsdenken in Stellung. Denn es sei eben nicht das Sein, von dem aus sich die Moderne begreifen lasse. Ihr Medium sei vielmehr das Nichts als Chiffre des Künstlichen, des Neuen, des Noch-nicht-Seienden. Die Schlußwendungen des Vortrags lassen sich geradezu als Ehrenrettung der modernen Wirklichkeit verstehen: Was wirklich ende, sei die Möglichkeit, von der Seinsgeschichte aus Kunst- und Willensgeschichte zu denken. Wer auf das Sein setze, erlebe Wirklichkeits-Verschleiß. Tatsächlich aber sei die Moderne bestimmt durch die Unmöglichkeit, das Nichts zu erschöpfen.

Auch so ein Satz. Wo also bleibt das Verschwinden der Wirklichkeit? Man darf auch nach Sloterdijks Vortrag gelassen sein. Irgend jemand hält immer irgendwo einen Vortrag. Das hat ja auch was Tröstliches. Als nächste Veranstaltung in der Reihe diskutieren Norbert Bolz und Bernd Guggenberger am 8. Februar über die Frage „Was ist Wirklichkeit und wozu brauchen wir sie?“ Dirk Knipphals

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