: Wenn keine Liebe mehr ist
Jetzt auch noch Laurenz Meyer: Die Unionsfamilie zermürbt sich aus Aversion gegen die Chefin. Die liberalen Untermieter weinen; die sozialdemokratisch-grünen Nachbarn freuen sich unanständig still
VON JAN FEDDERSENUND NATALIE TENBERG
Nicht dass die Aufrechnereien in Sachen Laurenz Meyer schon einen besonders empörenden Skandal markierten; es gab in der Union schon Gesetzwidrigeres zu verdauen, der übelriechende Spendensumpf zählt hierzu. Was aber die Causa Meyer besonders für das Publikum unterhaltsam macht – und für die Betroffenen einem Albtraum gleicht –, ist ja, dass mit dem tantiemenbedürftigen Generalsekretär nicht er selbst, sondern seine direkte Vorgesetzte, nämlich Parteichefin Angela Merkel gemeint ist.
Und zwar verdeckt. Denn jeder in der Union (und in den anderen politischen Familien) weiß, dass nicht Meyer eigentlich der Angeklagte ist, sondern die Clan-Chefin selbst. Mehr und mehr wird deutlich, dass die gute Tochter, die mit einem offenen Brief in der FAZ vor vier Jahren den in ihrer Sippschaft glühend verehrten Helmut Kohl den politischen Todesstoß versetzte, die Einzige sein konnte, die sich mit Trauer um jenen Exkanzler des Machtverlusts wegen nicht aufhielt, sondern, Strategin, die sie ist, gleich mit der Erneuerung ihrer Familie begann.
Genau das aber hat man ihr übel genommen, und man tut es noch. Wie in einer Familie, in der der Vater die Söhne zwingt – und diese sich gern zwingen lassen –, zu tun, was er sagt, also irgendwann zum falschen Zeitpunkt das Falsche, und die Tochter kalt verständig die Sippe im Auge behält und gegen die kollektiven Gefühle des Kummers zur Tagesordnung übergeht.
Diese familiäre Dynamik hat Angela Merkel nicht begriffen. Und nicht begreifen können, denn, Klischee hin oder her, als studierte (also vorwiegend geneigte) Naturwissenschaftlerin sieht sie nur Naturgesetze, aber keine seelischen Ströme, in denen unter der Gischt schroffe Klippen verborgen liegen.
Es musste, allen Wahlerfolgen der Ihren nach der rot-grünen Wiederwahl zum Trotz, ja gegen sie laufen: Sie hat, mit aller Vernunft auf ihrer Seite, aber gegen die Gefühle des Verfalls, erst Kohl erledigt, dann Schäuble ein ums andere Mal düpiert, schließlich, ein mirakulöser Fehler, Guido Westerwelle zum Verbündeten gemacht. Ausgerechnet der Mann, dem ja niemand wirklich übel nimmt, schwul zu sein, dessen majoresker Ton aber doch allen als schon physiognomisch unpassend auf die Nerven geht.
So konnte Edmund Stoiber, auch an ihr gescheitert, im Juni das Verdikt aussprechen, beide hätten gegen das Männerduo Schröder und Fischer als „Leichtmatrosen“ keine Chance.
Und dann die Personalangelegenheiten Merz und Seehofer: Sie hatte zu ihnen kein Vertrauen, weil sie ihr nicht trauten – und schickte ihnen Dankadressen hinterher, als verabschiedete sie ungebetene Gäste. Nein, sie missverstand, dass beide zur Familie zählen. Doch was sollte sie machen, die Tapfere, die doch weiß, dass mit Übervater Kohl ihre Familie nie wieder den (Regierungs-)Ton angeben würde. Sie musste also die waschlappigen Brüder Friedrich und Horst reisen lassen, weil sie sie als große Schwester nicht akzeptieren mochten – gegen das Gute und Vernünftige, das sie in ihr doch hätten erkennen können.
Nachbarsfamilie glücklich
Laurenz Meyer, der kleine Bruder aus der zweiten Reihe, der war ihr wichtig; nun muss er wohl gehen, das schrieb selbst schon mitleidlos Volker Zastrow in der FAZ, in gewisser Hinsicht ja die aufs Gelingen geeichte Supervisorin der Unionsfamilie.
Die sozialdemokratische Nachbarsfamilie wie auch deren grüne Untermieter freuen sich mit Staunen. Die Union zerfleischt sich selbst, nur weil der Paterfamilias 1998 alles vergeigt hat, unfähig, die Söhne mit der Macht zu betrauen? Seit dem Sommer, heißt es aus dem SPD-Bundestagsgehege, herrscht ganz und gar überraschend perlende Laune. Und zwar, weil man bei den Unionsverwandten eine Stimmung ausgemacht hat, die fast Mitgefühl erregt. Eine Herde deprimierter Schafe, bang vor den rot-grünen Wölfen und in der Wolle von Mehltau umhüllt. Keine zuversichtlichen Mienen bei Schwarzens, nirgends.
Die Regierungsroten kennen das Gefühl des Unerreichbaren aus eigenem Verschulden: Das war in den Achtzigern, Kanzler Schmidt längst weg, die Landesfürsten mit dicken Hosen, die Kanzlerkandidaten schwachbrüstig, ob Vogel, Rau, Lafontaine oder Scharping.
Merkel hat keine Macht, weil man sie ihr nur in der Familie zutraut, nicht im Straßenkampf mit den Nachbarn. Und man gönnt sie ihr nicht – denn eine besserwisserische Schwester ist ohnehin unerträglicher als ein besserwisserischer Bruder: Man liebt keine Attentate auf den Vater, wenn die Attentäterinnen ihre Machtlust auch noch ohne Visier zeigen. Die Union liebt sich schon lange nicht mehr. Die große fremde Schwester hat es nicht ändern wollen.