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Wenn einem die bedrohten Tiere zu sehr ans Herz wachsen und die Kinder in ihre Hinterlassenschaften tretenHühnerkot im Hinterhof

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von Rebecca Clare Sanger

Also, ich will sie behalten. Ich finde sie sehr herzerfrischend, wie sie unter den Pflaumenbäumen entlang­spazieren. Und ich kann sogar frühmorgens im Bett durchs offene Fenster ihr Gackern von dem der Nachbarhühner unterscheiden. Und der Gartenstuhl wackelt ein wenig, während ich den Gartentisch und das gemeinsame Mittagessen verlasse.

Dass ich schon morgens um fünf ihr Gackern zu erkennen suche, ist der puren Not geschuldet. Seit Tagen steht das eilig zusammengezimmerte Hühnergehege unbewohnt im Vordergarten – seitdem der unbestimmbare Kothaufen über Nacht vor die Tür des Geheges gesetzt wurde. Die Marderfalle, die wir daraufhin gekauft haben, und die nun neben dem Gehege steht, wirkt lächerlich.

Wer will schon ein Ei hinter Gittern, wenn er auch zwei lebende Hühner hinter grob gelöcherten Maschendrahtzaun haben kann? Und so überlassen wir die Hühner lieber ihrem Instinkt, nachts fliegen sie auf den Komposthaufen, früh morgens horche ich nach ihren Stimmen, um zu hören, ob sie noch leben, am Vormittag suche ich vergebens im Garten nach Eiern, und am Mittagstisch streiten wir uns über den weiteren Verlauf. Komisch, wie gerettete Tiere einem ans Herz wachsen, sinniere ich, während ich ihren gerupften Rücken hinterherschaue.

Ich freue mich mehr auf das Wiedersehen mit ihnen als auf das mit meinen Kindern, nur der täglich sich vermehrende Hühnerkot beginnt mir die Laune zu verderben. Scheiße im Hintergarten oder Lebendköder im Gehege im Vordergarten, heißt das Dilemma, dem schließlich ein besuchender Hund ein Ende setzt. Nachdem dieser die Hühner in sämtliche benachbarten Gärten gescheucht hat, und sie verängstigt und allein dort in Ecken kauerten, setzt mein Mann sie hinters grobmaschige Gitter, das angrenzende Häuschen zumindest wird gegen den blutsaugenden Minivampir schützen können.

Unsere Streitereien haben ein Ende. Und die Pfade in meiner Seele machen einen Knick.

Denn nun treten meine Kinder in schöner Regelmäßigkeit mit ihren Strumpfsocken im Hintergarten in den Hühnerkot, den zwei Hühner in fünf Tagen doch unmöglich haben hinterlassen können. Um den Rest kümmert sich mein Hund, der mal aus Protest, mal aus Freude seine Schläfen, den Rücken, sich selber in den Hinterlassenschaften rollt, im Regen absorbiert der Hund den Kot besonders gut, und nachts schläft er, vermuten wir, auf dem Sofa.

Ich wasche ihn mit einer Gießkanne und Geschirrspülmittel, bahne den Weg vorsichtig tretend zum Gehege, nirgendwo ein Ei. Nirgendwo ein Huhn! Trotz Dämmerung haben die Viecher keine Lust, in ihr Haus zurückzukehren. Da sehe ich ihre nackten fleischfarbenen Rücken unter den verregneten Kiefern.

Ich setze eine Hühnersuppe auf, gegen die drohende familiäre Erkältung. Und die gerupften Biohühnerschenkel in der Verpackung bringen plötzlich unaussprechbare Ideen und Assoziationen hervor. Mein Herz: eine Mördergrube.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle.

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