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Wenn ein Sarg auf dem Tisch steht

■ Mobbing: Problem für Angestellte, gefundenes Fressen für selbsternannte Fachleute und Psychologen, Stoff für einen Expertenstreit und Thema für die Medien Von Reiner Scholz

b es im Tierreich wohl auch Mobbing gibt? Peter Halama blickt in die Runde. Und erwähnt die Windhunde. Die bringen jedes Jungtier um, das nicht vom Leittier zur Welt gebracht wurde. Grausame Tiere. Zum Glück ist man Mensch.

Zwei Dutzend Männer und Frauen blicken den Neurologen mit skeptisch-abwartendem Blick an: Uns brauchen Sie nichts zu erzählen, schon gar nicht aus der Tierwelt. Hier, in den kargen Räumen des Hamburger „Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt“ (KDA), sitzen nämlich Menschen, die sich als „gemobbt“ begreifen, also nach eigenem Empfinden am Arbeitsplatz geschnitten, belästigt, angepöbelt, fertiggemacht und anschließend abserviert wurden. Mehr Frauen als Männer, mehr ältere als jüngere, wie es auch die Statistik sagt.

Mobbing? Klingt irgendwie süß. Ist aber bitter. Eine Sachbearbeiterin empfängt ihre Nebenbuhlerin jeden zweiten Tag mit der Bemerkung: Ihr Parfum stinkt heute aber wieder gottserbärmlich. Oder man programmiert dem verhaßten Nachbarn „Hau ab, du Arschloch“ auf die Software. Taxifahrer schicken einen ungeliebten Kollegen oft zu toten Adressen in die Walachei. Finanzsachbearbeiter basteln ihrem streberhaften Kollegen Fehler in die Berechnungen. Oder: Man stellt einem notorischen Besserwisser öfter mal einen kleinen Sarg auf die Schreibtischplatte. Das hält niemand lange aus. Einige Fälle von einer Million, die allein in Deutschland vermutet werden.

Ein ehemaliger Abteilungsleiter spricht für die meisten. Er sei „rausgemobbt“ worden, ohne daß er das richtig bemerkt habe. Bei einer Sekretärin dauerte das nach eigenem Bekunden zehn Jahre. Dann war es zu spät. Sie wurde, innerlich ein Wrack, am Ende entlassen. Auf den Betriebsrat könne man nicht zählen, warnt eine andere, der halte in diesen Fragen doch zur Geschäftsleitung. Ihr Mann, den sie gleich mitgebracht hat, hält zwar belehrend dagegen: „Der Vorgesetzte hat um 21 Uhr genau so eine dreckige Unterhose an wie ich.“ Doch diese Feststellung stimmt die Versammelten nicht froher.

Einer der ersten, der sich um Betroffene kümmerte, war Udo Möckel, Sozialsekretär im KDA und dort bereits seit 15 Jahren in der betrieblichen „Konfliktbereinigung“ tätig. Es gelang ihm, die deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) zu interessieren, was wiederum die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) interessierte. Das interessierte chronisch unterbeschäftigte Psychologen und vor allem die Presse, was wiederum Talk-Show-Master interessierte. Ein neues Arbeitsfeld war geboren.

An dem Abend, als die Windhunde zum Thema wurden, haben sich auch zwei Journalisten und eine Studentin eingefunden. Der Mann vom ZDF bereitet einen wichtigen Fernsehfilm zum Thema vor. Die junge Frau schreibt heftig mit. Hier entsteht eine Diplomarbeit. Der Rundfunkmann überprüft noch einmal sein Aufnahmegerät. Gleich will er ein „Opfer-Interview“ führen. Doch nicht immer sind die Grenzen zwischen Opfer und Wichtigtuern leicht zu ziehen. Auf deutschen Bildschirmen waren bereits „Gemobbte“ zu sehen, die sich als üble Mobber entpuppten.

Die Szene kennt auch schon einen Expertenstreit. Die einen, ihnen voran der schwedisch-deutsche Arbeitspsychologe Hans Leymann, meinen, Gemobbte seien Menschen wie du und ich, die es nun mal unglücklicherweise getroffen habe. Die anderen wollen erkannt haben, „Opfer“ seien diejenigen, die im Grunde immer unzufrieden mit ihrer Umwelt leben, immer meckern, immer nörgeln, immer intrigieren. Selbstverständlich halten beide den Denkansatz der Konkurrenz für völlig verfehlt.

Das „Mobbing“, ob als persönliches Krankheitsbild oder sozial-psychologische Arbeitsplatzbeschreibung, ist schwer zu fassen. Eine Art Gütesiegel „Mobbing-Experte“ werde zwar angestrebt, so Udo Möckel, sei aber nicht in Sicht. Also ist jeder Experte. Zwischen „Rebirthing“, „Re-Inkarnation“ und „Urschrei“ liest man im Kleinanzeigenteil von Szene-Blättern, in Tageszeitungen oder der bunten Wochenpresse: „Mobbing. Kein Problem. Wir bauen Sie in drei Stunden wieder auf“. Oder: „Ein Wochenende und Sie sind geheilt“. Zuschriften unter Chiffre oder an dubiose Institutsadressen, vielfach an Helfer, deren einzige Kompetenz nach Angaben von Insidern darin besteht, diverse dünne und einführende Broschüren zur Sucht-Prävention gelesen zu haben. Sie streben vor allem nach einer schnellen Honorarvereinbarung. Ein Wochenende für 1500 Mark etwa.

Gemobbte sind Arbeitnehmer. Dennoch hält sich der DGB, die Speerspitze des Proletariats, merkwürdig zurück. Im Reich der Blaumänner und Arbeiter-Bürokraten gibt man sich ungern mit derlei „Psychokram“ ab. Im unmittelbaren Produktionsbereich ist Mobbing in der Tat eher selten. „Auch unter Handwerkern wird nicht gemobbt“, weiß Udo Möckel. Kollegen der Faust reden Tacheles.

Anders bei Angestellten, weshalb sich vor allem die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft auf das Thema geworfen hat. Da ist einmal die Sache mit der Karriere. Dann aber auch die größere Nähe zum „Psychologisieren“. Das gilt insbesondere für die sozialen Berufe. „Wir haben viele Anrufe aus dem sozialen Bereich, Krankenhaus, Erzieher, Lehrer“, so Rolf Jahn, Suchtfachmann bei der AOK Hamburg, über das eigens eingerichtete Mobbing-Telefon in Hamburg. In viereinhalb Monaten verzeichnete man 350 Anrufe. Zwei Drittel Frauen und etwa die Hälfte „wirkliche Mobbing-Fälle“.

Er könnte bei der ganzen Sache reich werden, glaubt Ralf Holzer. „Durch die Volkshochschulen reisen, ein paar Folien auflegen, das reicht völlig“. Holzer ist Betriebsrat beim Jahreszeiten-Verlag in Hamburg und veranstaltet hin und wieder in seiner Gewerkschaft, der IG Medien, ein Seminar zum Thema. Da ist viel Zuspruch, zumal auch der DGB immer mehr Angestellte bei sich organisiert.

Vielleicht ist aber auch die Medien-Branche prädestiniert für einen miesen innerbetrieblichen Umgang in den höheren Etagen. Da sind Zeitschriften nicht ausgenommen, die sich öffentlich gern über die Abgründe des Mobbing echauffieren. Holzer: „Du brauchst jemandem nur öfter Aufträge zu erteilen, die er gar nicht erfüllen kann.“ Dann sagt der Chef irgendwann: „Ich habe über Sie nachgedacht“. Am besten freitags. Das wirkt dann lange nach. Aus der Sicht des Betriebsrates ist „Mobbing“ ein Mittel im Klassenkampf. Eine dritte Denkschule.

Eines Tages findet sich ein Herausgedrängter möglicherweise im Mobbing-Arbeitskreis der evangelischen Nordelbischen-Kirche wieder. Dort versucht Psychiater Peter Halama an diesem Abend zum vierten Mal, die Anwesenden zu überreden, sich doch auf eine Hypnose einzulassen. „Wenn wir uns nämlich immer nur darüber unterhalten, was der Vorgesetzte oder Kollege für ein Arsch ist, so ist das alles linkshirnig.“ Man sollte doch endlich mal die rechte Hälfte einschalten. Das will hier keiner. Nicht jetzt. Nicht heute. Die Gemobbten, putzig, wie schnell dieses komische Wort über die Lippen geht, wollen lieber noch mal ihren Fall schildern. Nochmal und nochmal.

Für Udo Möckel ist das ein wiederholter Beleg seiner Erfahrung. „Mobber und Gemobbte sind in der Wahrnehmung eingeschränkt.“ Die Arbeit mit ihnen ist nicht leicht. Als einer der bekanntesten Mobbing-Experten kann er sich vor Anfragen kaum wehren.

Das wissen auch die Medien. Heute nachmittag, sagt er, rief das Fernsehen an. „Herr Möckel, helfen Sie uns.“ In der letzten Sendung hatten sie etwas über Gemobbte. Jetzt wollen sie mal was Tolles über Mobber machen. „Kennen Sie nicht jemanden, der sich outet? Etwa in dem Sinne ,Ich mobbe jeden Tag fünf Kollegen' oder so?“ Udo Möckel will sehen, was sich machen läßt.

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