piwik no script img

Archiv-Artikel

Wenn die Würde zerbricht

NORDISCHES KINO „Die Unbeugsame“ zeigt in blassen, bittertraurigen Bildern die Annäherung einer Rotgardistin und eines Soldaten im Finnischen Bürgerkrieg (23.45 Uhr, Arte)

Der Film vermeidet die gängigen Geschlechterrollen vom Helden und der schönen Maid

VON MAX BÜCH

Der Blick brennt sich in das Bewusstsein. Ihre Augen sprechen, was sich ihr Mund weigert zu erzählen. Widerstand und Verzweiflung mischen sich mit kaltem Hass. Die Lippen aufgesprungen, blutig und starr, das Gesicht blass und verdreckt. Pihla Viitala verkörpert die finnische Rotgardistin Miina Malin mit einer ergreifenden Eindringlichkeit, die ihre Schönheit nicht verblassen lässt, doch vor der Stärke und der Bestimmtheit des Charakters in den Hintergrund tritt.

Außen kämpfen

„Die Unbeugsame“, der deutsche Titel der Romanverfilmung von Leena Landers „Käsky“, beleuchtet eine hierzulande wohl eher unbekannte Tragödie der finnischen Landesgeschichte und trägt in der deutschen Interpretation der bewegenden Darstellung der Miina Malin verständlicherweise Rechnung, auch wenn die wörtliche Übersetzung „Befehl“ den neutraleren Blick des Dramas genauer gefasst hätte. Die Darstellung der beinharten Amazone lässt sich durchaus mit der Interpretation von Noomi Rapace in den aktuellen Stieg-Larsson-Verfilmungen vergleichen – das nordische Kino scheint momentan ein Garant für starke Frauenrollen zu sein.

1917 hat sich Finnland im Zuge der Russischen Revolution nach über hundert Jahren von Russland abgewandt und für unabhängig erklärt. Ende April 1918 ist der darauf folgende Bürgerkrieg dem Ende nahe, der Aufstand der leninistischen Rotgardisten mit deutscher Unterstützung von den konservativen weißen Truppen blutig niedergeschlagen. Miina Malin gerät als Teil einer Fraueneinheit in Gefangenschaft, wird Opfer der massenhaften Vergewaltigungen und entkommt durch Glück und durch die Hilfe des Soldaten Aaro Harjula als einzige ihrer Mitkämpferinnen der Exekution.

Soldat Harjula verlangt, die Gefangene rechtmäßig vor das Feldgericht des Richters Hallenberg zu bringen, der als Feingeist bekannt ist. Durch einen Zwischenfall verlängert sich die Dauer der Reise erheblich und es kommt zur Annäherung.

„Würdest du heute Nacht neben mir schlafen, aber nicht so wie zwei Soldaten?“

Während Miina Malin die willensstarke Kämpferin darstellt, die für ihre Ideale in den Tod geht, kann Aaro Harjula mit dieser unbedingten Bestimmtheit nicht mithalten. Regisseur Aku Louhimies vermeidet die gängigen Geschlechterrollen vom Helden und der schönen Maid. Auch wenn sich der Soldat Harjula seine Menschlichkeit und das Gefühl für Recht und Ordnung trotz seiner Kriegserfahrungen bewahrt hat, so fehlen ihm dennoch der Mut und die innere Stärke, sich dem militärischen System zu widersetzen, dem eigenen Gefühl zu gehorchen. Er bleibt Rad im Getriebe. Und auch wenn Harjula letztlich seiner Bestimmung folgt und für seine Liebe eintritt, sein Ziel erreicht er nur durch die Brechung seiner Würde und durch Selbstaufopferung.

„Wenn man Hunger hat, kann man alles essen. Auch andere Menschen.“

Innen sterben

Aku Louhimies erzählt einen Teil der finnischen Geschichte, stellt Krieg in seiner visuellen, vor allem aber emotionalen Grausamkeit dar und zeigt das innere Sterben der Menschlichkeit. Die karge Blässe der finnischen Einöde in Verbindung mit dem immer wiederkehrenden Thema von Beethovens 7. Sinfonie bildet den bittertraurigen Hintergrund für das Zerbrechen der menschlichen Würde – sei es der Richter Hallenberg, der sein Gewissen im Alkohol ertränken möchte, oder die unbeugsame Rotgardistin Miina, die ihrem Zerbrechen durch emotionale Kälte entgeht.