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Wenn die Post auf Literatur macht...

■ Drei Jahre Post-Zensur im Oldenburger Literatur-Telefon / Texte dürfen nicht „politisch informieren“ und auch nicht „offensichtlich unsachliche Angriffe“ enthalten

„Guten Tag meine Damen und Herren. Hier ist die Fernsprechansage Gedichte und Kurzprosa, gefördert von 'De Spieker‘, Heimatbund für niederdeutsche Kultur e.V.. Sie hören die plattdeutsche ...“, quäkt es amtsmäßig aus der Hörmuschel.

Unter der Nummer 1156 veröffentlichen seit über drei Jahren Autoren aus dem Oldenburger Land Gedichte und Kurzprosa im Literatur-Telefon, einem Ansagedienst, wie ihn die Deutsche Bundespost in 20 Städten unterhält.

26.000 mal sei der Literatur-Dienst allein im letzten Jahr angewählt worden, berichtet stolz Fritz Lottmann, der als Redakteur für die Auswahl der Texte verantwortlich ist. Rechtliche Grundlage des Literatur-Telefons ist ein Vertrag zwischen der Oberpostdirektion Bremen und dem „Spie

ker“, der bestimmt, daß die zu liefernden Texte „keine politischen Informationen“ und keine „offensichtlich unsachlichen Angriffe“ enthalten dürfen. Die Autoren veröffentlichen unentgeltlich, die redaktionelle Verantwortung trägt der „Spieker“.

„Spieker„-Redakteur Lottmann, gleichzeitig Geschäftsführer der niederdeutschen Schriftstellervereinigung „Schrieverking“, sieht jedoch die Freiheit der Autoren nicht eingeschränkt. Für ihn grenzt der Passus nur Beiträge aus, die „parteipolitisch ausgerichtet sind“ und „was bei uns hereinkommt, fällt nicht unter den Paragraphen, obwohl wir auch viel sozialkritisches bringen.“ Andere beurteilen das anders.

Bereits 1985, bei der Einrichtung des Literaturtelefons, versuchten einige kritische Autoren

sowie der Kulturdezernent der Stadt Oldenburg, Ekkehard Seeber, den Zensur-Paragraphen streichen zu lassen. Die Oberpostdirektion Bremen lehnte jedoch ab, und schloß, als sich die Stadt Oldenburg weigerte diesen Vertrag zu unterzeichnen, einen Direktvertrag mit dem „Spieker“ ab, dessen Verfassungsmäßigkeit Kulturdezernent Seeber bezweifelt.

Den kritischen Autoren bleibt derweil nur, keine Beiträge für das Oldenburger Literaturtelefon zu liefern. Seeber überlegt jetzt, nach dem Vorbild der Stadt Hannover, im Kulturamt einen von der Postzensur unabhängigen Anrufbeantworter als lokales Literaturtelefon einzurichten. Denn, und das ist nun einmal mehr bewiesen: „Postbeamte und Künstler, das kann nicht gut gehen.“ Iko Andra

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